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# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Erstklassiger Scheißfußball
> Die Furcht, künftig eine Liga tiefer antreten zu müssen, lässt die Clubs
> schlechter kicken. Warum sollten wir uns das anschauen?
Bild: Darmstadt gegen Wolfsburg
Mitten in der gruseligen ersten Halbzeit des Abstiegsduells Wolfsburg gegen
Darmstadt übergab sich der Redakteur des führenden Fachblattes auf der
Pressetribüne. Ich sah die Schlagzeile „Fußball zum Kotzen“ kommen, denn
mir war auch schon übel. Aber so schlimm war es dann gar nicht, weil der
VfL in der zweiten Hälfte anfing, Fußball zu spielen. Und damit (oder
dadurch?) sogar gewann.
Danach wurde aber gesagt, was zur Standardrhetorik abstiegsbedrohter Clubs
gehört. Dass alles egal sei, Hauptsache, man hole die Punkte und bleibe in
der Bundesliga.
Wir reden hier nicht nur von der engsten Abstiegszone, es handelt sich um
eine fast schon flächendeckende Bewegung. „Fußball spielen“, so wie wir d…
als kulturelle DNA noch in uns tragen und fühlen, man schaut, dass man an
den Ball kommt und dann kombiniert man los, das ist vorbei. Real, aber vor
allem als Wert.
Im Fernsehen fällt das weniger auf, weil immer ein Trainer zu entlassen ist
oder weil jemand was gesagt hat, was angeblich wahnsinnig kontrovers oder
lustig ist. Aber im Stadion war Ingolstadt eben noch eine Chiffre für
cleveren Fußball ohne Fußball, und nun ist fast schon überall Ingolstadt.
Sie brauchen noch jemand, der so blöd ist, zumindest manchmal
Classic-Fußball spielen zu wollen, damit sie ihre Qualitäten einbringen
können. Ist aber kaum noch jemand, mit Ausnahme der außer Konkurrenz
agierenden Bayern.
Ich will jetzt nicht auf dem alten Menotti insistieren und seine Theorie
vom „rechten Fußball“, der nur zerstören wolle. Dem Trainer, Spieler,
Clubangestellten, Wurstverkäufer, Sponsor ist es wirklich schnurz, wie man
gewinnt: Abstieg ist für ökonomisch und sozial direkt Betroffene
existenziell, sodass sie auf keinen Fall spielerisch damit umgehen können.
Was ich aber herausfordern will, ist dieses grassierende Denken, dass es
„nur um die Punkte“ geht. Warum tun Leute sich das an, die Fußball sehen
wollen? Die Zuschauer seien ihm völlig egal, sagte Hamburgs Torwart René
Adler. Hauptsache, ein Punkt. Wie gesagt, aus seiner Sicht einleuchtend.
Aber was soll denn ich mit diesem Punkt anfangen? Worum geht es denn beim
Fußball, wenn nicht um Fußball? Warum soll man Scheißfußball schauen, damit
man im nächsten Jahr wieder Scheißfußball schauen muss? Das ergibt doch
überhaupt keinen Sinn und schon gar keinen Spaß.
Die Antwort ist offensichtlich: Es geht nicht um Fußball. Es geht um
Teilhabe an „Erstklassigkeit“. Für den Klub, die Stadt, den Fernsehfan und
auch den Stadionzuschauer. Wenn sich diese Teilhabe in Scheißfußball
materialisiert, sei’s drum. Hauptsache, erstklassiger Scheißfußball. Diese
Abstiegsangst entspricht der einer Gesellschaft, die nicht in der Lage ist
zu fragen, worum es eigentlich geht, weil sie komplett darauf fixiert ist,
den Status zu erhalten, der sie kirre und starr macht.
19 Mar 2017
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Fußball
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