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# taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: „Évacuez!“
> Die Plätze in den Kinosälen sind umkämpft. Dass aber niemand hineinkommt,
> ist sogar für Cannes unüblich. (K)eine Bombe ist schuld.
Bild: Schauspielerin Stacy Martin, kurz bevor „Redoubtable“ in Cannes läuft
Kurze Unterbrechung der Festivalroutine: Man muss in Cannes ja viel Zeit
zum Warten einplanen, weil man sonst riskiert, gar nicht erst in den Film
zu kommen. Eine halbe Stunde vor Filmbeginn kann es schon knapp werden. Das
lange Warten kann aber auch Überraschungen mit sich bringen. So war bei der
Pressevorführung von Michel Hazanavicius’ Godard-Hommage „Le Redoutable“
selbst wenige Minuten vor Filmbeginn noch kein Einlass. Auf einmal liefen
alle Kontrolleure die Treppe hinab, hin zur Presse. Aber nicht zum
Einlassen. Stattdessen rief einer von ihnen: „Évacuez!“
Die wartenden Pressevertreter brauchten einige Zeit, um auf die Weisung zu
reagieren. Die meisten waren anscheinend schon so vom Schlangestehen
genervt, dass sie die Aussicht auf eine Bombe im Festivalpalast nicht groß
erschüttern konnte. Oder sie hatten den Ruf nicht gehört. Dann, als man im
Glauben, der Palast werde gesperrt bleiben und die Vorführung komplett
ausfallen, schon fast den Rückzug angetreten hätte, schritten doch die
ersten Journalisten die Treppe zum Kino hoch. Zum Glück falscher Alarm!
Ein Glück auch für „Le Redoutable“. Regisseur [1][Michel Hazanavicius]
gelingt mit seinem Biopic eine ironische Verneigung vor dem Kollegen
Jean-Luc Godard, in der er dessen Umbruchphase 1967/68 sowohl erzählt als
auch mit seinen eigenen filmischen Strategien ins Bild setzt. Mit viel Sinn
für Situationskomik, Louis Garrel als hinreißend stinkstiefeligem Godard.
Godard hatte 1968 übrigens dazu beigetragen, dass das Festival von Cannes
aus Solidarität mit den Pariser Maiunruhen abgebrochen wurde. Jetzt
verschob sich der Filmbeginn lediglich um 40 Minuten. Am Ende gelöster und
verdienter Applaus. Ein weiterer Höhepunkt im Wettbewerb ist „The Square“.
Der schwedische Regisseur [2][Ruben Östlund], der 2014 mit „Höhere Gewalt“
einen internationalen Erfolg hatte (in dem er eine Familie im Skiurlaub
unter die Lupe nahm), seziert diesmal einen Starkurator bei der Arbeit.
Christian, so sein Name, bereitet in Stockholm eine Ausstellung vor, die
soziale Fragen als interaktives Spiel inszeniert. Die titelgebende Arbeit
ist eine vier mal vier Meter große Fläche auf einem öffentlichen Platz.
Personen, die innerhalb des Quadrats stehen, sollen gegeneinander bestimmte
Verpflichtungen eingehen.
## Unnahbar-smarte Arroganz
Östlund findet stets neue Mittel, um auf satirische Weise zu demonstrieren,
dass für Christians Leben selbst solche Verpflichtungen nicht gelten. Er
schläft mit einer Journalistin, die ihn interviewt hat („Mad Men“-Star
Elisabeth Moss in Hochform). Als diese ihn mit der Frage konfrontiert, ob
ihm die gemeinsame Nacht etwas bedeute, zeigt er sich lediglich stolz auf
seine Eroberung.
Ins Laufen kommt der Plot durch einen simplen Diebstahl: Christian werden
sein Portemonnaie und Telefon geklaut. Darauf verteilt er im Haus der
mutmaßlichen Diebe Drohbriefe an alle Bewohner. Als sich ein Junge
zurückmeldet, der dadurch Ärger mit seinen Eltern bekommen hat, ist
Christian unfähig, Verantwortung zu übernehmen.
Claes Bang gibt diesen Christian mit unnahbar-smarter Arroganz, die erst
nach und nach gebrochen wird. Wobei Östlund für jede Situation einen Weg
findet, diese ins Absurde zu steigern. Eine lakonisch-beißende
Gesellschaftskritik und ein intellektueller Spaß, bevorzugt in
nüchtern-kalten Interieurs gedreht. Und, mit „Le Redoutable“, ein erster
Palmen-Kandidat.
21 May 2017
## LINKS
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## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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