# taz.de -- Neues Album von Bonnie „Prince“ Billy: Gemütlichkeit am Abgrund | |
> Der US-Singer-Songwriter verneigt sich auf „Best Troubadour“ vor seinem | |
> Idol Merle Haggard. Er verwandelt Songs in intime Hausmusik. | |
Bild: Bringt Leben in die Songs von Merle Haggart: Bonnie „Prince“ Billy | |
„Three chords and the truth“, drei Akkorde und die Wahrheit, lautet eine | |
Definition für Country. Einmal wurde Will Oldham alias Bonnie „Prince“ | |
Billy gefragt, welchen Song er als alternative US-Nationalhymne vorschlagen | |
würde, einen Song, der ein realistisches Bild seines Heimatlandes zeichnen | |
würde. Man solle die Songs des Countrymusikers Merle Haggard auf | |
Zufallswiedergabe stellen, lautete seine Antwort. | |
Auf der Suche nach der Wahrheit befindet sich Will Oldham mindestens seit | |
1993, damals erschien das Debütalbum seiner Band Palace Brothers: „There Is | |
No-One What Will Take Care of You“. Das kam dieser wie auch immer gearteten | |
Wahrheit schon sehr nahe. Und bereits damals hatte man den 23-Jährigen mit | |
einem Bein in der Klapse gesehen. So radikal traurig und höchst poetisch | |
klang niemand sonst. | |
Dann suchte und fand Oldham mit seiner Musik auch noch den Anschluss an die | |
seltsamen alten Traditionen von Country und Folk. Er machte damit die | |
Insignien des White Trash – Baseballkappe und Holzfällerhemd – wieder | |
interessant und ist also als einer der Urheber auszumachen für ein | |
Folk-Revival, das uns heute so hohles Zeug wie Mumford and Sons und die | |
Fleet Foxes beschert – handgemachte Musik zum Mitsingen, die qualitativ | |
nicht mal an das Craft Beer heranreicht, zu dessen Verzehr sie den | |
Soundtrack bereitstellt. | |
Eine Entschuldigung dafür darf man von einem Will Oldham nicht erwarten, | |
gewisse Wiedergutmachungen liefert er regelmäßig in Form neuer Alben, jetzt | |
mit einer Verneigung vor seinem Idol Merle Haggard. Auf „Best Troubadour“ | |
hat er Songs aus Haggards gewaltigem Katalog neu eingespielt. Statt der | |
erwartbarem Hits hat sich Oldham dessen Spätwerk vorgeknöpft. Denn Haggard, | |
auch das sagte Oldham einmal im Interview, habe sich trotz allem Ruhm nie | |
zurückgelehnt und einfach nur Songs gespielt: „Merle Haggard hat beim | |
Songwriting immer den Anspruch, so gut zu sein wie Jimmie Rodgers, Bob | |
Wills und Lefty Frizzell“, erklärte Oldham vor dem Tod seines Idols im Jahr | |
2016. | |
## Die Hosen runterlassen | |
Eine dieser unorthodoxen Coverversionen ist Haggards „I Am What I Am“ vom | |
gleichnamigen Album (2010): „I won’t be a slave / And I won’t be a prison… | |
/ I’m just a nephew / To today’s Uncle Sam / I believe Jesus is God / And | |
the pig is just ham / And I’m just a seeker, I’m just a sinner / And I’ll | |
be what I am“. Haggard hat diesen Song musikalisch äußerst karg angelegt, | |
als Geständnis eines alten Mannes, der die Hosen runterlässt, weil er | |
niemandem mehr etwas vorzumachen braucht. Und er klopft sich dabei dezent | |
auf die eigene Schulter. | |
Bei Oldham wird daraus das wärmste und tragendste Stück des Albums, es tönt | |
wie in mildes Sonnenuntergangslicht getaucht: Was beim 73-jährigen Haggard | |
als so simples Geständnis daherkommt, bei Bonnie „Prince“ Billy wird es zur | |
Feier einer Größe, die er selbst noch nicht erreicht hat (auch wenn Oldham | |
schon weit gekommen ist auf dem Weg zum ‚Ihr könnt mich alle mal‘). | |
Und doch nimmt „Best Troubadour“ den entgegengesetzten Weg: Aufgenommen in | |
Oldhams Wohnzimmer, klingen diese Anverwandlungen wie Hausmusik, nah und | |
ungezwungen, und das macht einige der Songs so lebendig, wie sie es | |
vielleicht ursprünglich nie waren: Die intimen Texte, viele davon im Duett | |
gesungen, entwickeln einen Sog, den man bei Haggards Einspielungen nicht | |
findet, so staatstragend und onkelhaft wirken sie bisweilen. Oft ist das | |
auch dem Zeitgeist der Aufnahmen geschuldet. | |
Dass sich Oldham vor allem für Haggards Spätwerk entschieden hat, liegt an | |
der Tatsache, dass die Songs des Alten am wenigsten croonerhaft klingen. | |
Dennoch fragt man sich für einen Moment, warum Countrysongs überhaupt unter | |
Studiobedingungen aufgenommen werden, lebendig werden sie nur in der Kneipe | |
oder im Wohnzimmer. | |
## Ein großes Herz | |
Doch das ist wahrscheinlich nur eine Auffassung von Country. Im | |
konservativen Heartland mit seinem Glamour und seiner schlagerhaften | |
Anmutung ist Oldham ein Außenseiter. Aber Country definiert sich ja auch | |
über ein großes Herz, in dem immer Platz ist für Randfiguren, wie Townes | |
Van Zandt oder Blaze Foley (aus dessen Feder stammt „If I Could Only Fly“, | |
das den Titel für ein Haggard-Album gegeben hat und sich auf „Best | |
Troubadour“ findet). | |
„Best Troubadour“ ist ein Tribute-Album, eine Ehrerbietung, wie sie im | |
Country Tradition hat. Auch Merle Haggard, sagt Oldham, sei ja kein | |
monolithisches Original, im Gegenteil habe dieser immer deutlich gemacht, | |
auf welchen Schultern er stünde – auf denen von Bob Wills, Lefty Frizzell | |
und vielen anderen. Verneigung hin oder her, mit seiner markant-gebrochenen | |
Stimme macht Oldham zwangsläufig jede Coverversion zum Oldham-Song. | |
Im Vergleich zu Haggards männlichem Bariton bekommen dessen Songs bei | |
Oldham eine ganz andere Gültigkeit: Wenn Oldhams gebrochener Gesang mal | |
wieder gerade so die Kurve zum harmonischen Abschluss bekommt, als sei | |
darin alles Torkeln und Taumeln auf dem Lebensweg enthalten, vielleicht | |
auch alle Lüge, die dann am Ende doch zur Wahrheit wird (und umgekehrt). | |
Verstärkt wird das noch, wenn Oldham mit Kolleginnen im Duett singt. | |
Es sind Gegensätze, die sich bei Oldham wie in einer geheimnisvollen | |
musikalischen Emulsion scheinbar mühelos vereinigen. Oldham hat selbst | |
große Songs komponiert, für „I See a Darkness“ wurde er gar von Superstar | |
Johnny Cash zum Duett gebeten. Oldhams Größe ist aber seit jeher die | |
inszenatorische Geste, die Haltung, mit der er eigene und fremde Songs | |
interpretiert. Die besondere Zärtlichkeit und Zerbrechlichkeit, die er | |
dabei an den Tag legt. Die auch eine hemdsärmelige, beschwingte | |
Gemütlichkeit nicht ausschließt, wie sie auf „Best Troubadour“ von Drew | |
Millers gemächlich dudelndem Saxofon repräsentiert wird. Direkt daneben | |
gähnt der Abgrund von Einsamkeit, Verlassenwerden und Tod („Roses in the | |
Winter“, „My Old Pal“). | |
## Liebe zwischen Schwarz und Weiß | |
Three chords and the truth: Bei Bonnie „Prince“ Billy kommen noch ein paar | |
Instrumente dazu. Zudem steht Merle Haggard ja noch für eine andere Seite | |
des Country: Er gilt als archetypisch für den Bakersfield-Sound, der sich | |
in den späten fünfziger Jahren als Gegenmodell zum glatten, | |
streicherbeladenen Country aus Nashville etablierte. Als musikalische | |
Neuerungen werden Haggards Songs auf „Best Troubadour“ aber nicht gefeiert, | |
es geht Oldham um dessen Imagewandel, um einen Künstler, der sich | |
glaubwürdig von seinem einstigen reaktionären Weltbild verabschiedet hat. | |
Über Haggards berühmtesten Song „Oakie From Muskogee“ (nicht auf diesem | |
Tribute-Album), wurde ausgiebig diskutiert, darüber, ob er seine | |
Hippie-hassende Botschaft ernst meinte oder ob sie insgeheim ironisch | |
angelegt war. Sogar US-Präsident Richard Nixon soll sich daraufhin für | |
Haggard begeistert haben. Dieser schien seit seinen Gefängnisaufenthalten | |
Amerika noch mehr zu lieben, denn da sei ihm deutlich geworden, sagte er | |
einmal, von welch großartigem Land er in seiner Gefängniszelle | |
ausgeschlossen war. Was er aber an den USA liebte, ist eine andere Frage. | |
Dass ein Song über eine Liebe zwischen Schwarz und Weiß nicht die | |
Nachfolgesingle zu „Oakie From Muskogee“ wurde, geht auf den Geschäftssinn | |
seines Managements zurück. | |
Mit seiner Herkunft aus ärmsten Verhältnissen, einer kriminellen Laufbahn | |
schon als Jugendlicher, die mehrere Gefängnisaufenthalte nach sich zog, | |
unter anderem in Saint Quentin, wo er Johnny Cash live gesehen hat, bringt | |
Haggard jedenfalls jede Menge street credibilitymit. Seine Plattenfirmen | |
haben lange verheimlicht, dass ihr Star ein Vorstrafenregister hatte. Auf | |
„Best Troubadour“ trifft also dieser gebrochene Star, der dem Establishment | |
zeitlebens seine Version von „three chords and the truth“ entgegengehalten | |
hat, auf den Alternative-Folk-Auteur, der im Angesicht der Craft-Beer-Welle | |
eine fast biblische Statur bekommt. Das Ergebnis kann sich hören lassen. | |
Haggards Tod im April 2016 hätte Oldham fast einen Strich durch die | |
Rechnung gemacht, den Plan eines Tribute-Albums hegte er nämlich schon | |
früher. Ursprünglich wollte er Haggard seine Versionen vorspielen. Ob | |
dieser sich zu Lebzeiten zu einem Duett mit Oldham bereit erklärt hätte? | |
Wir werden es nie erfahren. Interessant wäre es, welchen Song sie dafür | |
ausgewählt hätten: „I Am What I Am“ wäre es sicher nicht geworden. | |
19 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Dirk Schneider | |
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Hamburg | |
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