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# taz.de -- Die Auswirkungen des Terrors: Manchester United?
> Auch Tage nach dem Attentat zeigen die Mancunier ihre Anteilnahme. Doch
> die Zahl islamfeindlicher Hassverbrechen hat sich verdoppelt.
Bild: Manchesters Muslime beten gemeinsam mit Juden und Christen für die Opfer…
Manchester taz | Familien stehen andächtig um eine Blumenwiese. Der
zart-süßer Geruch umringt die gleichsam daraus wachsenden Luftballons.
Dazwischen Fotos, Teddybären, Manchester-United-Schals und Kerzen. Auf dem
Straßenpflaster stehen, mit mit Kreide gemalt, Gedanken wie „Ruhe in
Frieden“, „Wir sind alle vereint“ – Worte des Trosts und der Zuversicht.
Mittendrin legt eine Familie einen Kranz nieder mit den Worten „Geliebte
Cousine“.
Eigentlich soll das Leben in Manchester und dem Rest des Landes nach dem
Attentat weitergehen. Immerhin ist die nationale Sicherheitsstufe seit
Samstag wieder gesenkt worden. Auch die Armee verschwindet langsam wieder
von den Straßen. Schon am Mittwoch wurden Blumen und Botschaften vom
Albert-Platz zum benachbarten St.-Ann-Platz verlagert, um Platz für eine
Sportveranstaltung zu machen. Auch das Zehn-Kilometer-Rennen ging wie
geplant von der Bühne.
Doch viele Mancunier beschäftigt die Attacke vom vergangenen Montag
weiterhin. Die Feier zum Europa-League-Sieg der Fußballmannschaft
Manchester United wurde abgesagt. Stattdessen gab es am Sonntag eine
Andacht in der Kathedrale.
Nicht nur Erwachsene, auch Kinder strömen noch immer zum St.-Ann-Platz, um
öffentlich zu trauern und ihr Mitgefühl zu zeigen. Eryn Wroe ist fünf Jahre
alt und kam mit Mutter Jules hier her. Eryn weiß, dass sich am Montag in
Manchester etwas Schlimmes in der Arena zugetragen hat und auch Kinder
umgekommen sind, eines fast so alt wie sie. Eryn wollte nun unbedingt ein
Bild für das Kind malen, mit extra viel Pink!
## Doppelt so viele Hassverbrechen
Am Freitag, dem letzten Tag vor Ramadan, versammelten sich hier auch
Mitglieder der muslimischen Gemeinschaften. Sie verteilten Essen und
Getränke, während verschiedene Repräsentanten kurze Reden und ein
gemeinsames Gebet abhielten. Gulnar Bano Khan Qadri, 48, kam sogar mit
Union-Jack-Hidschab. „Ausdruck, wie ich mich fühle“, erklärt sie. „Ich …
geborene Mancunerin und Britin, ich gebe alles für diese Stadt.“ Vielen
Muslimen ist es wichtig, ihre Solidarität und Verbundenheit zu zeigen. Seit
letztem Montag hat sich die Zahl islamfeindlicher Hassverbrechen in
Manchester verdoppelt, so verlautet eine Statistik.
Nadeem Akhtar, 54, ist Mitglied der Didsbury Moschee, wo einst der
Attentäter Salman Abedi und dessen Familie beteten. Mitglieder der Gemeinde
und andere hatten Abedi wiederholt den Behörden gemeldet. Diese taten nicht
genug, um ihn sicherzustellen.
Akhtar fragt sich, was er selbst noch hätte tun können. Er fühle sich zum
ersten Mal in seinem Leben bedrängt und verunsichert, obwohl er hier
geboren wurde und eine nichtmuslimische, englische Frau geheiratet hat,
sagt er. Er habe das Gefühl, dass erwartet werde, dass sich Menschen wie er
für das Attentat rechtfertigten. Die Tochter seines Freunds sei beim
Verlassen einer Madrassa diese Woche islamfeindlich angeschrien worden.
Obwohl sie zurückschrie und die Rassisten wegliefen, wird die Moschee in
Didsbury polizeilich geschützt, anderswo versuchten Unbekannte eine Moschee
in Brand zu setzen.
500 Meter entfernt stehen die Cocktailbars, Pubs, Nagel- und
Schönheitsstudios des wohlhabenden Viertels. Peter und Jill, beide 52, sie
wollen ihren Nachnamen nicht nennen, sitzen auf der Gartenterrasse einer
Bar und genießen Sommercocktails. Der Täter am Montag sei nicht anders, als
der rechtsextreme Mörder der Politikerin Jo Cox von letztem Jahr, beide
seien falsch informierte Extremisten. Peter glaubt, dass die meisten Leute
unten in der Moschee vollkommen in Ordnung seien.
## Alle lieben Labour
Inzwischen reden Politiker direkt über präventive Maßnahmen. Peter glaubt,
man dürfe die Hauptthemen der Wahl aber nicht aus dem Auge verlieren. Ihm
gehe es auch um das Gesundheitssystem, die Altersversorgung und den Brexit,
dessen Gegner er sei. Er hofft, dass die EU-freundlichen Liberaldemokraten
in seinem Viertel eine Chance haben. Es wäre ein rarer gelber Fleck in
einer traditionell roten Labour-Stadt.
In Rusholme, dem Zentrum muslimischen Lebens in Manchester mit seinen
Shisha-Bars, Restaurants und kurdischen Barbieren, gibt es für Hussain
Shahid, 18, nur Jeremy Corbyn. An einer Straßenecke preist er im Gespräch
mit seinem Freund die Ansichten des Labour-Parteiführers, dass
Großbritannien sich seine Auslandspolitik bewusst machen müsse, um
Terrorattacken vorzubeugen.
Auch in der Gelato Bar gegenüber ist sich eine Gruppe muslimischer junger
Frauen einig, dass sie Labour wählen wollen, schon allein deshalb, weil
Labour die Studiengebühren abschaffen will. Doch auch hier fällt das
Gespräch wieder auf die Terrorattacke. Habiba Khan, 18, im dunkelblauen
Sommerkleid mit weißen Baumwollhidschab, erwähnt, dass sie Leute von einem
Fahrrad aus als Terroristin beschimpften. „Was hat dieser Abgedrehte mit
unserer Religion zu tun“?, fragt sie energisch. „Sie sehen meinen Hidschab
und vergessen, dass ich Mensch bin!“ Dies hätten die rechten Medien zu
verantworten, glaubt sie. In ihrem College sei es anders. „Wir haben alle
verschiedene Hintergründe und sind doch alle vereint“, erzählt ihre
britisch-somalische Freundin. Genau das war auch das Motto bei der
Andachtsfeier letzten Dienstag, ein Wortspiel auf den Fußballverein
Manchester United – Manchester vereint.
In der Nähe des Albert-Platzes verbildlichen dieses Motto auch drei junge
Frauen. Shauna Jein, 21, Rose Brocklesby, 22 und ihre Freundin Aliyah
Henry, 21, sitzen hier auf einer Bank in der Sonne. Aliyah, im roten Kleid
mit elegant farblich abgestimmtem rotem Hidschab mit Blumenmuster, ist die
einzige Muslimin unter ihnen. „Wir haben Aliyah gerade zum Essen
eingeladen, weil jetzt Ramadan beginnt“, sagen Shauna und Rose.
## Ein neues, unbekanntes Manchester
Sie alle verstehen nicht, wie jemand auf die Idee einer Kollektivschuld
kommen kann und Frauen mit Hidschab mit Terroristen gleichsetzt. Auch
Aliyah glaubt diese Woche von jemandem aus einem Auto heraus beschimpft
worden zu sein. „Ich hatte das gar nicht sofort wahrgenommen“, schildert
sie. „Das Manchester, das wir kennen, ist nicht so“, erzählen Shauna und
Rose.
Und doch gibt es Leute, die aus diesem vereinten Manchester herausfallen.
Michael, 41, sitzt an einer anderen Straßenecke in der Nähe des
Piccadilly-Bahnhofs auf dem Boden. Vor ihm ein Kaffeebecher mit Münzen.
Seit sechs Monaten ist er obdachlos, seinen Nachnamen will er nicht sagen.
Nach dem Angriff am Montag wurde bekannt, dass ein obdachloser Mann einem
sterbenden Opfer Beistand geleistet hatte. „Das zeigt den Leuten, dass auch
wir echte Menschen sind.“
Michael hoffte, dass Leute ihn jetzt mehr wahrnehmen, aber sie gehen wie
immer an ihm vorbei. Ihn tröstet die bevorstehende Fußball-WM. „Ich werde
mir so viele Spiele ansehen, wie ich kann, dann wird es mir besser gehen.“
Am Ende schafft der Fußball, was der Politik nicht gelingt.
28 May 2017
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
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