# taz.de -- Kolumne „Minority Report“: Digga, wer bist du eigentlich? | |
> Der Überjournalist Henning Sußebach weiß ganz genau, was Rassismus ist. | |
> Deshalb klärt er uns in der „Zeit“ endlich auf. | |
Bild: Der Überjournalist ist eine Kartoffel | |
Henning Sußebach ist einer dieser Namen, die ich ständig höre, aber mir nie | |
merken kann. Vielleicht weil er so unfassbar deutsch ist. Jedenfalls höre | |
ich den Namen ständig von Kolleg*innen jüngeren Jahrgangs, die davon | |
träumen, mit Magazinjournalismus viel Asche zu verdienen. Sie sagen, er sei | |
„der Überjournalist“ (kann ich mir schon besser merken). [1][Jetzt habe ich | |
zum ersten Mal einen Text von ihm gelesen in der Zeit. ] Und ja, er | |
schreibt echt okay. Für eine Kartoffel. | |
Das mit der Kartoffel ist wichtig. Das mit der Kartoffel ist nämlich der | |
Kernpunkt, um den sich seine Argumentation in besagtem Text dreht. Unter | |
der Überschrift „Wo kommst du eigentlich her?“ beschäftigt sich der | |
Überjournalist mit der Frage, warum Menschen mit Migrationshintergrund eben | |
diese Frage als rassistisch empfinden und kommt zu dem Schluss: weil sie | |
keine Ahnung haben. | |
Ich musste den Text nicht mal zu Ende lesen, um auf diese Folgerung zu | |
stoßen. Sie steht nämlich schon im ersten Absatz. Sinngemäß so: „ICH BIN | |
KEIN RASSIST. ICH FRAGE WAS ICH WILL DU OPFER!“ Und so geht es zehntausend | |
Anschläge weiter. | |
Natürlich gibt es triftige Gründe, die dagegen sprechen, dass der | |
Überjournalist ein Rassist ist, und er zählt sie auf (aber in vollem | |
Bewusstsein darüber, dass genau das der alte Rassistentrick ist! Ha! | |
Raffiniert!). Ich dagegen habe nachgezählt, wie oft der Überjournalist in | |
diesem einen Artikel den syrischen Flüchtling erwähnt, den er bei sich zu | |
Hause aufgenommen hat. Fünfmal. | |
## Dankbarer Syrer | |
Er hat sein Arbeitszimmer für den SYRER frei gemacht. Der SYRER ist immer | |
dankbar, wenn man ihn fragt, woher er kommt. Weil er dann auch mal was | |
erklären darf. Alle anderen Kanaken im Land sollen sich also bitte nicht so | |
anstellen. | |
Redakteur*innen beschreiben gelungene Texte manchmal als „unerwartbar“. Ich | |
bin auch Redakteurin, und gehöre somit zu den Kanaken, die es „geschafft“ | |
haben, und die laut dem Überjournalisten besonders empfindlich auf seine | |
Frage reagieren („Dönerverkäufer antworten immer“ – vielleicht weil sie… | |
einen Dürüm andrehen wollen?). | |
Und ich frage mich: Was ist erwartbarer als ein weißer Dude, der sich | |
darüber lustig macht, dass er ein weißer Dude ist, aber trotzdem | |
beansprucht, besser zu wissen, was verletzend oder ausgrenzend oder nervig | |
ist, als die von Rassismus betroffenen Personen selbst, die bei seiner | |
Frage regelmäßig kotzen müssen? | |
Der rebellische Überjournalist wird seine Frage natürlich weiterhin | |
stellen, und auf diese „Sprechverbote“ in Hamburg-Ottensen scheißt er | |
sowieso. Übrigens, for the record: Nein, die Frage ist nicht per se | |
rassistisch. Die Annahme, uns darüber belehren zu müssen, was wir als | |
rassistisch empfinden dürfen, ist es schon. | |
Dass diese Frage die tollsten Gespräche eröffne, bleibt dennoch eine | |
einseitige Einschätzung. Der Überjournalist mag es romantisch finden, | |
Fremde auf der Straße zu fragen, warum ihr Haar so kraus ist. Er spitzt die | |
Ohren. Wir greifen nach der Brechtüte. Und die brennende Frage lautet | |
irgendwann nicht mehr: Wo kommst du eigentlich her? Sondern: Digga, wer | |
bist du eigentlich? | |
29 May 2017 | |
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[1] http://www.zeit.de/2017/20/rassismus-identitaet-integration-hautfarbe-herku… | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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