# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Ausländer in Kaltland | |
> Wer sich auf den Sozialstaat verlässt, ist verlassen, sagt unser Autor | |
> Helmut Höge, und dass es einen großen Unterschied zwischen diesen und | |
> jenen Flüchtlinge gebe. Eine Buchbesprechung | |
Bild: Kann kalt sein – das Land. Hier eine verschneite Brandenburger Landscha… | |
Kaltland“, das war 1994 ein Titel der Punkband Toxoplasma auf ihrem Album | |
„Leben verboten“, genau genommen hieß er „Deutsch in Kaltland“, aber d… | |
konnte man wegen der Schreierei des Sängers kaum verstehen. | |
2011 griffen die Autoren Karsten Krampitz, Markus Liske und Manja Präkels | |
diesen Titel noch einmal auf – für eine im Rotbuch-Verlag erscheinende | |
Aufsatzsammlung über die schlimmsten Neonazi-Exzesse während und nach der | |
Wende (Hoyerswerda, Rostock etc.). Diese begannen mit der Veränderung des | |
Slogans „Wir sind das Volk“ in „Wir sind ein Volk“, den die Bild-Zeitun… | |
11. November 1989 erstmalig unter dem Ostvolk verbreitete (dem Westvolk | |
gingen beide Versionen am Arsch vorbei). | |
Unter der Ein-Volk-Parole traten dann statt linker Regimekritiker zunehmend | |
ressentimentgeladene, ausländerfeindliche Nationalisten in Erscheinung, die | |
sich bis heute immer stärker in der Öffentlichkeit (als Pegida, AfD etc.) | |
bemerkbar machen. In der Aufsatzsammlung „Kaltland“ hat die taz-Autorin | |
Manja Präkels (geb. 1974) dies im Mikrosozialen nachgezeichnet: Sie wuchs | |
im märkischen Zehdenick auf, wo sie dann auch einen Freund hatte. Dieser | |
mauserte sich in der Wendezeit zum Anführer einiger Rechtsradikaler, die | |
schließlich nicht davor zurückschreckten, ein paar linke Freunde von ihr | |
derart zu jagen, dass die sich im letzten Augenblick im Elternhaus von | |
Manja Präkels versteckten. Die Rechten waren kurz davor, das Haus zu | |
stürmen, um die darin Verschanzten zu „vernichten“. | |
## Schreckensgeschichte fortgeschrieben | |
Die „Kaltland“-Herausgeber hatten 2011 die Gruppe Toxoplasma um Erlaubnis | |
gefragt, diesen Titel für ihr Buch zu nehmen. Dies tat 2017 auch der Verlag | |
Droemer-Knaur, bevor er ebenfalls ein Buch der Arabistin Jasna Zajček (geb. | |
1973) unter dem Titel „Kaltland“ veröffentlichte. Er hätte jedoch besser | |
getan, die Herausgeber des ersten „Kaltland“-Buchs zu fragen. Immerhin: | |
Jasna Zajček schreibt diese ostdeutschen Schreckensgeschichten quasi fort | |
– bis heute. Wesentliche Teile darin handeln von ihrer Arbeit als | |
Deutschlehrerin für vor allem syrische Flüchtlinge in einem Lager bei | |
Bautzen, wo es 2016 ebenfalls (wie in Hoyerswerda) zu einer Art Pogrom | |
gegen Ausländer kam. Daneben scheute die Autorin sich nicht, den Neonazis, | |
ihren Demonstrationen und diversen Organisationen auf die Pelle zu | |
rücken. | |
Gleich mehrere Rezensenten schrieben: „Mit harter Radiernadel zeichnet sie | |
das Bild eines kalten Landes.“ Das klingt, als hätte die Autorin eine | |
Kaltnadelradierung veröffentlicht, es ist jedoch eher das Gegenteil: eine | |
von heißem Engagement getragene Recherche im wirklichen Leben, keine Zitate | |
und keine Literaturhinweise. Sonst hätte sie sich vielleicht auf „Kaltland | |
1“ bezogen und bestimmt auf den ebenfalls realitätsgesättigten Roman | |
„Gott ist nicht schüchtern“ von Olga Grjasnowa (geb. 1984), der | |
gewissermaßen das Vorspiel zu „Kaltland 2“ bildet. | |
Die aus Baku stammende Autorin lebt mit einem Regisseur in Neukölln | |
zusammen, der 2013 aus Syrien nach Deutschland kam. Ihr gerade erschienener | |
Roman beginnt mit dem „Arabischen Frühling“ (2010/11) und handelt von | |
relativ wohlhabenden und gebildeten jungen Leuten in Damaskus, die sich | |
davon zaghaft anstecken lassen und schließlich buchstäblich durch Blut und | |
Tränen waten – bis sie, zum Teil als Bootsflüchtlinge, in Berlin landen, wo | |
sie nun auf Asyl hoffen. Genauso wie die Flüchtlinge im Lager bei Bautzen, | |
denen Jasna Zajček Deutsch beizubringen versuchte – bis man ihren Vertrag | |
vorzeitig kündigte. | |
Es gibt jedoch einen großen Unterschied zwischen diesen und jenen syrischen | |
Flüchtlingen: In Bautzen stoßen sie durchweg auf mehr oder weniger | |
hasserfüllte Ablehnung in der Bevölkerung und müssen sich sogar mit | |
Knüppeln zur Wehr setzen, während die in Berlin residenzverpflichteten | |
überraschend viele solidarische Unterstützer fanden und finden. Dies | |
betrifft sozusagen die Resonanz von unten. Während die „Hilfe“ von oben | |
hier wie dort aus korrupten, gleichgültigen und unfähigen | |
Behördenvertretern sowie aus verbrecherischen und raffgierigen Unternehmern | |
besteht. Wer ausschließlich auf den Sozialstaat angewiesen ist und sich auf | |
ihn verlässt – ist verlassen. Das ist die Lehre aus „Kaltland 1“ und „… | |
28 May 2017 | |
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