# taz.de -- Neues Album von Nite Jewel: Verwildern auf der Suche nach dir | |
> US-Synthiepop-Sirene Nite Jewel sagt von sich selbst, sie sei ein „harter | |
> Hund“. Auf ihrem neuen Album „Real High“ offenbart sie weiche Seiten. | |
Bild: Ihr Bass ist krass: Nite Jewel | |
Nite Jewel findet es schwierig, ihrem Sound einen Begriff zu geben. Daher | |
ein Vorschlag zur Güte: Smog-Pop. Die Musik, die die in Los Angeles | |
ansässige Ramona Gonzales seit 2008 als Nite Jewel veröffentlicht, kriecht | |
so unerbittlich in die Gehörgänge, wie die Dunstglocke über ihrer | |
Heimatstadt hängt. | |
Auf ihrem gerade erschienenen vierten Album, „Real High“, kommen noch die | |
Dämpfe hinzu, die entstehen, wenn man bei angezogener Handbremse aufs | |
Gaspedal tritt. | |
Die elf Songs auf „Real High“ sind geprägt von imposanten Synthie-Exzessen | |
und vakuum-verpackten hundsgemeinen Funk-Intermezzi, für die auf „Had To | |
Let Me Go“ der kalifornische Funkateer Dâm Funk (alias Damon Riddick) | |
verantwortlich ist. Ansonsten regieren housy Beats und die ganze klangliche | |
Pracht der synthetischen achtziger Jahre. Nur destilliert „Real High“ | |
daraus eine Form der Achtziger, die es vor der Zusammensetzung von Nite | |
Jewel so aber nicht wirklich gegeben hat. | |
Über allem schwebt in entrückter Erhabenheit Nite Jewels glockenreiner und | |
gleichzeitig abwesender Gesang, der in hohen Lagen an die frühe Kate Bush | |
erinnert. Das leicht mehlige Timbre schlägt die Brücke zu Alison Moyet, die | |
kühle Geradlinigkeit von Yazoo setzt in beinah jedem Takt Akzente. Manche | |
hören Anleihen bei Janet Jackson und Aaliya. Die beiden Letzteren schätzt | |
Nite Jewel, gibt auch an, von ihnen beeinflusst zu sein, aber nacheifern | |
wolle sie den beiden R&B-Sängerinnen auf keinen Fall. | |
## Meditieren über Liebe | |
Gonzales spricht von sich selbst als „real tough guy“, die im alltäglichen | |
Umgang keine Einblicke in ihre Gefühlswelt zulässt. Aber mittels ihres | |
Alter Ego Nite Jewel sei es ihr möglich, Verwundbarkeit zu zeigen. Doch | |
auch hier muss es nicht um sie persönlich gehen. Im Titeltrack, einer | |
ätherischen Ballade, meditiert sie über eine Liebe, deren Vollkommenheit | |
sie in Versuchung bringt, die ganze Sache zu beenden. | |
Kollegin Julia Holter nennt das im Gespräch mit Nite Jewel „das Erfassen | |
abstrakter Dinge auf unmittelbare, persönliche Weise“, was laut Gonzalez | |
eine treffende Charakterisierung ihres Kompositionsprozesses ist. Holter | |
hat die Backingvocals auf „When I Decide (It’s Alright)“ beigesteuert, | |
einer bumpy Uptempo-Nummer, die von einer durchgängig federnden Basslinie | |
getragen wird. | |
## Der Bass als Isomatte | |
Der Bass, Gonzales’ „erstes Bandinstrument“ (angefangen hat sie mit | |
Klavier), ist in allen Songs präsent. Wie eine Isomatte liegt er schützend | |
unter „In the Nite“, in dem sie mit zittrig-zärtlicher Stimme singt: „In | |
the nite I go wild looking for you.“ Und auch der dezent treibende Beat der | |
mit Bedacht übersteuerten Drums auf „Had to Let Me Go“ wird vom Bass im | |
Zaum gehalten. Die Forderung, losgelassen zu werden, trägt die 32-Jährige | |
fast trotzig vor, lässt ihre ansonsten sehr getragene Stimme Kaskaden | |
vollführen. | |
Die Songs von „Real High“, das Nite Jewel wie auch das letztjährige Album | |
„Liquid Cool“ auf ihrem Label Gloriette veröffentlicht, beeindrucken durch | |
ihre innere Geschlossenheit. Die mag daher rühren, dass sie Zeit hatten zu | |
wachsen. Nite Jewel schrieb sie während vierjähriger Rechtsstreitigkeiten | |
mit ihrer einstigen Plattenfirma, die sie an Veröffentlichungen hinderten. | |
Produziert hat sie mit Ehemann Cole M. G. N., der ansonsten für Stars wie | |
Snoop Dogg arbeitet und fünf Songs mitkomponierte. Auch wenn es auf „Real | |
High“ dafür keine Anhaltspunkte gibt, Gonzales’ musikalische Laufbahn hat | |
mit Jazz begonnen, und der lässt sie nach eigenem Bekunden auch nicht los. | |
Immer wenn sie bei ihr ums Eck im Viertel Echo Park eine Jazzsängerin hört, | |
vergeht sie fast vor Neid. „Das will ich auch machen“, sagt sie. Smog-Jazz | |
dann vermutlich. | |
12 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Sylvia Prahl | |
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