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# taz.de -- Jugendliche trinken weniger Alkohol: Tod aus Langeweile
> Nur noch wenige Jugendliche trinken regelmäßig Alkohol. Doch ohne
> gemeinsame Spielplatzbesäufnisse gehen wichtige Skills verloren.
Bild: Lieber sonnen als saufen – so will es die deutsche Jugend
„Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit“, weiß der hierzulande
bekanntlich selbst meist nicht ganz nüchterne Volksmund. Da man betrunkenen
Kindern folglich doppelt Glauben schenken muss, gilt einer Umfrage der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) unser vollstes
Vertrauen: Der Alkoholkonsum von Jugendlichen in der Altersklasse der 12
bis 17-jährigen ist im Vergleich zu 2004 um über die Hälfte gesunken.
Vielen Teenies werden folglich einige der wunderbaren Vorzüge des Alkohols,
wie sie meine Generation noch genießen darf, vorenthalten bleiben: die
umsichtige [1][Vermeidung quälend langer Jahre in geriatrischer Pflege]
durch frühzeitige Löffelabgabe (Organversagen, Selbstmord, Unfall); die
auch bei Rauchern zu lobende Unterstützung der Volkswirtschaft durch den
großzügigen Verzicht auf allzu lange Inanspruchnahme der Rentenkassen;
spannende private und gesellschaftliche Dramen durch psychosoziale
Degeneration; ein unkonventionelles Berufsleben als Flaschensammler oder
Lesebühnenautor.
Die erfahrungsgemäß wenigen, die das hier mit feinstem Florett gestickte
Muster hauchzarter Ironie zu deuten vermochten, erkennen natürlich, dass
weniger Suchtkarrieren in die Schienen gebracht und weniger Leben aufgrund
allzu leichtfertigen Frühkonsums zerstört werden.
Das ist erst mal gut. Doch besteht dann nicht die Gefahr, dass die Kids in
Zukunft vermehrt aus Langeweile sterben? Denn die Gründe für die
Entwicklung sind noch unklar. Während die Bundesdrogenbeauftragte Marlene
Mortler (CSU) die Ergebnisse ihrer Präventionskampagne „Alkohol? Kenn dein
Limit“ auf die Fahnen schreibt, lassen sich Ursachen und Wirkungen auch
problematischer interpretieren. Denn wo das gemeinsame Spielplatzbesäufnis
fehlt, hinterlässt es Einsamkeit und eine Leerstelle, die zuvor ja weniger
der Alkohol füllte, sondern mehr noch die mit seinem Konsum verbundenen,
dem Leben zugewandten Begleitaspekte.
Wir tranken an der Bushaltestelle, wo wir die Fahrpläne auswendig lernten.
Auf der Tanke, was uns mit sämtlichen Automarken vertraut machte. Wir
tranken im Wald, wo wir Tier, Pflanze und ganz nebenbei die Vorzüge von
Stechapfel, Tollkirsche und Fliegenpilz studierten. Das alles waren
wichtige Skills, die auf das echte Leben da draußen vorbereiteten.
## Alkohol, die Droge der Eltern und der CDU
Doch was ersetzt die kulturelle Funktion gemeinschaftlicher Saufgelage bei
den nüchternen Jugendlichen von heute? Politik ist es nicht – da ist die
Verdrossenheit nach wie vor groß. Die Natur macht ihnen Angst – wer einmal
eine ganze Schulklasse schreiend vor einer Biene hat wegrennen sehen, weiß
ein Lied davon zu singen. Sport ist ihnen egal. Eine umfassende
Lebensuntüchtigkeit macht sich breit, denn sie hängen ja eh nur die ganze
Zeit im Netz. Wozu dabei auch noch trinken?
Vermutlich gilt Alkohol obendrein als zunehmend uncool: die Droge der
eigenen Eltern, der alten Römer und der gesamten CSU außer Marlene Mortler.
Doch – und hierin liegt die hoffnungsvolle Botschaft – die Leerstelle, die
der Alkohol hinterlässt, kann relativ kongenial gefüllt werden. Durch
Cannabis, vor allem aber auch durch den Einsatz von „Legal Highs“ wie
Kräutermischungen, Badesalz und Lufterfrischern. Dabei gibt es bisher auch
relativ wenig Tote. In dieser Kategorie blieb unsereiner nur der schnöde
Klebstoff.
Legal Highs führen nun wieder zu ganz eigenen, wertvollen Erlebnissen, die
unseren früher dann doch nicht mehr so unähnlich sind: Abrupte
Fensterstürze, Euphorie beim Betrachten eines weißen Blatt Papiers,
sensationelle Panikattacken. Um die Jugend von heute brauchte einem also
trotz allem nicht bange zu sein.
19 May 2017
## LINKS
[1] /Clean-Eating-als-Trend/!5401503
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Cannabis
Gesundheit
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Alkoholismus
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Getränke
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