# taz.de -- Israelische Ausnahmesängerin: Daliah Lavi ist tot | |
> Sie war eine der erfolgreichsten Popsängerinnen der Siebziger – und hatte | |
> keine Angst vor den nazikontaminierten Deutschen. | |
Bild: Sie war am Pophimmel die Supernova: Daliah Lavi | |
In den sechziger Jahren konnte sie ihr später großes deutsches Publikum in | |
einem der Winnetou-Filme entdecken. Damals hatte sie, die Jüdin aus Israel, | |
gerade in Europa Fuß gefasst, um ihre Talente zu einer Karriere zu | |
schmieden. Daliah Lavi, geboren 1942 in Schawe Zion, einem damals vom | |
Völkerbund verwalteten Gebiet, in Palästina als Daliah Levenbuch, hatte | |
eine in Breslau geborene deutsche Mutter und einen russischstämmigen Vater | |
– ihre Mutter Ruth floh in den dreißiger Jahren vor den Nationalsozialisten | |
nach Palästina. Lavis Großeltern und viele ihrer Verwandten waren Opfer des | |
Holocausts. | |
Ob sie die mörderische Vergangenheit Deutschlands daran hinderte, gerade | |
dort die stärksten Akzente ihrer künstlerischen Laufbahn zu setzen? Vor | |
neun Jahren sagte sie [1][in einem Interview mit der TAZ]: „Etwas zögerlich | |
war ich schon – nicht meinetwegen, sondern weil ich mich fragte, was meine | |
Mutter dazu sagen würde. Also fragte ich sie, und sie antwortete mir ganz | |
einfach: ‚Ich vertraue dir.‘ (…) Nun betrachtete ich die Sache ganz ander… | |
wie eine Mission. Ein junges Mädchen, in Israel geboren, das nach | |
Deutschland kommt, um stolz und selbstbewusst auf einer Bühne zu stehen! | |
Und den jungen Menschen offen zu begegnen.“ | |
Und die Älteren, die noch ihre Naziprägungen in sich trugen? „Ich habe nie | |
versucht, diese zu erreichen, denn dafür war es zu spät. Ältere Menschen | |
sind nicht mehr so offen, sie haben ihre Vorlieben, und sie wären auch | |
nicht zu mir gekommen. Um in ihrem Alltag weiterhin zu bestehen und zu | |
überleben, hätten sie es auch nicht gekonnt. Denn mit ihrer Schuld konnten | |
sie auch nicht mehr mit sich selbst leben.“ | |
Lavi kam wie eine Erscheinung in die deutsche Popszene, die gewöhnlich als | |
Schlagermilieu missverstanden wird. 1970, nachdem sie in Großbritannien | |
ihre Stimme in einer Show der BBC zeigte, erhielt sie in der Bundesrepublik | |
einen Plattenvertrag. Was folgte waren Hits im besten Sinne, Gravuren im | |
alltagskulturellen Gedächtnis von seit dem Wahlsieg Willy Brandts 1969 | |
sozialliberal sich verstehen wollenden Republik: „Liebeslied einer | |
Sommernacht“, [2][„Oh, wann kommst du?“], „Lieben Sie Partys?“, „We… | |
mein Lied so zerstört, Ma?“, „Nichts haut mich um, aber du“, „Wär' ic… | |
Buch“, „Jerusalem“ und das feinsinnige Lied über ein alterndes Paar, das | |
seine Zuneigung einander jenseits aller Jugendlichkeit zu bewahren suchen | |
möge: [3][„Willst du mit mir geh'n?“] | |
## Lachende Frische im Auftritt | |
Lavi war am Pophimmel die Supernova. Gegen sie waren ästhetische Entwürfe | |
wie die von Gitte Haenning, Katja Ebstein, Mary Roos oder Marianne | |
Rosenberg eher nur fahle Sonnen mit tüchtigen Formschwankungen. Geschrieben | |
hat die meisten Texte Lavis die junge Texterin Miriam Frances. Die | |
Kompositionen waren allermeist an angloamerikanischem Material orientiert – | |
im Original stammen sie von Gordon Lightfoot oder Melanie Safka, | |
atmosphärisch oft am hippiesk grundierten Country angelehnt. | |
Jüdische Künstlerinnen gab es in den sechziger Jahren in der Bundesrepublik | |
etliche, Elisa Gabbai, Carmela Corren und sowieso die berühmte Esther | |
Ofarim. Was Lavi von diesen abhob, war eine lachende Frische im Auftritt, | |
eine Ernsthaftigkeit, die kein Hehl daraus machte, aus Israel zu kommen und | |
Jüdin zu sein. Sie hat in Israel auch Militärdienst geleistet. | |
Ob sie auf ihr Jüdischsein in Deutschland Reaktionen erhalten habe? „Nein. | |
Weil ich es auch nicht zuließ. Ich stehe sehr aufrecht, so im | |
metaphorischen Sinn. Ich stelle eine Energie um mich herum her, die es | |
anderen einfach nicht erlaubt, etwas Dementsprechendes zu mir zu sagen. | |
Denn sie hätten sich auf was einstellen müssen. Ich glaube, ich stelle da | |
unterbewusst etwas her. Eine Art Herausforderung: Los, sag es mir! Dann | |
werde ich dir aber mal was sagen! So kam ich hierher. Nicht versteckt und | |
auch nicht, um mit dem Finger auf andere zu zeigen.“ | |
## Selbstvertraut und allürenarm | |
Die Achtundsechzigerbewegung meinte sie damit ohnehin nicht. Sie war für | |
das Publikum, das sie verehrte, zu klein – und seit Ende der Sechziger auf | |
politisch antidemokratischen Trips – und antiisraelischen: Es war ja | |
ohnehin eine Zeit, in der der nationalsozialistische Mord an den | |
europäischen Juden kein Thema war, die Shoah noch nicht smalltalkfähig im | |
Sinne neudeutscher Selbstbespiegelung. | |
Dass sie populär war, ohne einen einzigen Nummer-eins-Hit zu haben, mag | |
auch ihrer Präsenz auf der Bühne wie auch im Gespräch zugeschrieben werden: | |
ihre Stimme modulationsfähig, ihr Timbre auf lebensfreudige | |
Interpretationsfähigkeit gerichtet. Ihre Körpersprache verführerisch ohne | |
einen Funken Anbiederei, sie selbst selbstvertraut und allürenarm. | |
Daliah Lavi war häufiger verheiratet, tourte vor neun Jahren noch auf einer | |
Art Farewell-Reise durch das Land ihrer größten Erfolge – und zog sich, | |
ohne Wehmut, ins eheliche Leben in die USA zurück. Dort, in Asheville, | |
North Carolina, ist sie am Mittwoch im Alter von 74 Jahren gestorben. Sie | |
wird in Israel begraben. Es darf getrauert werden – um eine Aufrechte, die | |
den Deutschen eine Chance schenkte und viele von ihnen diese auch erkennen | |
wollten. | |
5 May 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Daliah-Lavi-ueber-US-Wahl-und-mehr/!5173271 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=yWj0yImBwvw | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=uSE4ef0vHzE | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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