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# taz.de -- Daliah Lavi über US-Wahl und mehr: "Los, sag es mir!"
> Die US-israelische Sängerin und Schauspielerin Daliah Lavi, 66, über
> ihren Erfolg im Deutschland der Siebzigerjahre, den Holocaust, den Nahen
> Osten, McCain, Obama - und warum sie mal George W. Bush gewählt hat.
Bild: Enttäuscht von McCain: Daliah Lavi
taz: Frau Lavi, wenn Sie ein Bild von sich von 1970 sehen, als Ihr Erfolg
in Deutschland begann, was sehen Sie da in Ihrem eigenen Gesicht?
Daliah Lavi: Ein junges Mädchen, das noch viel zu lernen hat! Ich sehe mich
selbst als eine junge Frau, die noch nicht weiß, welche Überraschungen das
Leben noch birgt, gute wie schlechte.
Welche waren es schließlich?
Uuihhh, dafür bräuchten wir jetzt ungefähr fünf Tage, um das zu erzählen.
In etwa, bitte?
Jedenfalls sage ich heute: Ich habe viel gelernt, und ich lerne immer noch.
Ich habe gelernt, dass Menschen im Grunde gleich sind. Das habe ich
gelernt, als ich an verschiedenen Orten gelebt habe, ich habe fast die
ganze Welt bereist. Ich habe viel gelesen über die verschiedenen Religionen
und versucht zu verstehen, warum Menschen sich gegenseitig umbringen. Und
weshalb die meisten Kriege aufgrund religiöser Überzeugungen stattfinden.
Das habe ich versucht zu verstehen.
Und Ihr Resümee?
Das Ergebnis war, dass es nichts mit den Büchern zu tun hat, sondern mit
den Menschen. Mit Interpretationen. Jeder interpretiert etwas so, wie es
sich für ihn selbst gut anfühlt.
Sind Sie selbst religiös?
Auf meine eigene Art und Weise. Ich glaube an das Universum, ich glaube an
die Energien innerhalb dieses Universums. Ich glaube, dass es ein System
gibt, das wir nur nicht verstehen. Ich glaube an unsichtbare Kräfte, die
uns leiten, wenn wir zuhören, und es nicht tun, wenn wir nicht offen sind.
Ich glaube an etwas, das jenseits menschlicher Auffassungsgabe existiert.
Wir wissen nicht, was es ist. Wir geben ihm so viele Namen und jeder
behauptet, seiner sei der richtige. Ich glaube das nicht.
Stimmt es, dass 1970 Ihr erster deutscher Hit, "Liebeslied einer
Sommernacht", 50-mal aufgenommen werden musste?
Kann sein, ich weiß es wirklich nicht mehr. Nicht jedenfalls wegen meines
Gesangs. Vielleicht hatten sie im Studio Probleme mit meinem Deutsch,
immerhin war es das erste Lied, das ich auf Deutsch gesungen habe.
Haben Sie nicht von Ihrer in Breslau gebürtigen Mutter Deutsch gelernt?
Ich komme aus einem kleinen Dorf in Israel, Shavei Zion, das in den
Dreißigerjahren von Auswanderern aus Deutschland gegründet wurde. Und, na
ja, alle sprachen deutsch, natürlich auch meine Mutter. Aber das Deutsch,
das ich dort lernte, war kein Hochdeutsch.
Sondern?
Straßendeutsch. Ich habe heute noch einen recht begrenzten Wortschatz, ich
benutze immer die gleichen Wörter. Bei anspruchsvollen Diskussionen bin ich
mit ihnen schnell am Ende.
Haben Sie Angehörige, Verwandte während des Holocaust verloren?
Ja. Drei der Brüder meines Vaters flohen aus Russland mit den Partisanen,
dem Vater, der Mutter und der Schwester, die schwanger war. Und sie wurden
alle ermordet auf grauenhafte Weise, wie ich herausgefunden habe. Die drei
Brüder schafften es bis nach Palästina. Sie flohen mit den Partisanen und
kamen irgendwie auf eines der Schiffe und schafften zu überleben.
Haben Sie nie Skrupel oder Angst gehabt, in das Land der Holocausttäter zu
kommen?
Doch, das habe ich. Etwas zögerlich war ich schon - nicht meinetwegen,
sondern weil ich mich fragte, was meine Mutter dazu sagen würde. Also
fragte ich sie, und sie antwortete mir ganz einfach: "Ich vertraue dir."
Ein Segen!
Ja, denn nun betrachtete ich die Sache ganz anders, wie eine Mission. Ein
junges Mädchen, in Israel geboren, das nach Deutschland kommt, um stolz und
selbstbewusst auf einer Bühne zu stehen! Und den jungen Menschen offen zu
begegnen.
Und die Älteren?
Ich habe nie versucht, diese zu erreichen, denn dafür war es zu spät.
Ältere Menschen sind nicht mehr so offen, sie haben ihre Vorlieben, und sie
wären auch nicht zu mir gekommen. Um in ihrem Alltag weiterhin zu bestehen
und zu überleben, hätten sie es auch nicht gekonnt. Denn mit ihrer Schuld
konnten sie auch nicht mehr mit sich selbst leben.
Und hat das funktioniert?
Und wie!
Haben Sie in Deutschland nie Reaktionen auf Ihr Jüdischsein erfahren?
Nein. Weil ich es auch nicht zuließ. Ich stehe sehr aufrecht, so im
metaphorischen Sinn. Ich stelle eine Energie um mich herum her, die es
anderen einfach nicht erlaubt, etwas Dementsprechendes zu mir zu sagen.
Denn sie hätten sich auf was einstellen müssen. Ich glaube, ich stelle da
unterbewusst etwas her.
Was?
Eine Art Herausforderung: Los, sag es mir! Dann werde ich dir aber mal was
sagen! So kam ich hierher. Nicht versteckt und auch nicht, um mit dem
Finger auf andere zu zeigen.
Sie leben in den USA. Sind Sie noch oft in Israel?
Jedes Jahr.
Um die Familie zu besuchen?
Na ja, ich habe nicht mehr viel Familie dort. Möchten Sie auch eine Tasse
Ingwertee? Den liebe ich. Ist das hier Süßstoff oder Zucker? Ich muss auf
meine Figur achten … Kleiner Scherz.
Haben Sie jemals Fälle von Antisemitismus in Deutschland selbst erleben
müssen?
Ich habe ihnen nicht das Gefühl gegeben, dass sie mich angreifen könnten.
Hätten sie es versucht, hätte ich ihnen das Genick gebrochen. Nein, ich
mache Witze, aber es stimmt, dass ich eine entspannte Atmosphäre schuf. Ich
hatte keine Angst. Während einer Tour erfuhr ich, dass jemand ein Attentat
auf mich plane. Und ich sagte, okay, ich werde trotzdem auftreten. Also
schleusten sie Polizisten ein, aber ich war nicht bereit, Angst zu haben.
Deutschland ist Israels bester Freund?
Ja. Israels bester Freund.
Nicht die USA?
Das ist eine andere Ebene. In den USA verstand man Israel immer als die
einzige Demokratie im Nahen Osten. Die USA betrachten Israel auch sehr
praktisch. Da war ein Land, das alles für die USA tat. Israel ist ein
kleiner Fleck auf der Landkarte. Man kann kaum den ganzen Namen darüber
schreiben. Man fängt mit dem I im Meer an und endet in Jordanien mit dem L.
Man kann es nicht einmal ausschreiben. Es gibt viele Araber in Israel. Alle
Grenzen sind sehr nah. Die Leute denken zu wenig praktisch nach. Wenn die
arabischen Staaten Israel mit den neuesten intelligenten Waffen angriffen,
würden sie die Araber auch töten. Sie würden ihre eigenen Leute mit den Tod
reißen
Israel gilt als Ein-Bomben-Land, es bräuchte also nur eine Bombe, um
vernichtet zu werden.
Ja, genau wie Jordanien, Ägypten, Syrien oder Libanon.
Haben Sie Barack Obama gewählt?
Was denken Sie denn?
Keine Ahnung.
Barack Obama ist für mich eine Hoffnung. Er ist unverfälscht, ich hoffe, er
bleibt es auch, denn McCain war es auch. Für mich ist es nicht so wichtig,
ob jemand Demokrat oder Republikaner ist. Ich schaue auf den Menschen.
Warum nicht McCain?
Er war ein Maverick, ein "Querdenker". Jetzt ist er so aufgesetzt. Im
Wahlkampf fing er plötzlich an, schmutzig zu reden, was er vorher nie getan
hat. Menschen tun ja fast alles, um zu gewinnen. Ich war so enttäuscht von
ihm.
Haben Sie letztes Mal für Bush gestimmt?
Das erste Mal, ja. Ich war für Al Gore, aber ich hatte Angst, dass er nicht
stark genug sein würde.
Und Bush?
Ich mochte seinen Vater. Ich fand, er hatte gute Arbeit gemacht im Krieg
gegen Saddam Hussein. Und er war straight. Ich hoffte, und das war naiv,
der Sohn würde wie der Vater sein. Aber das war falsch, sehr falsch. Und
ich erkannte, dass ich falsch gelegen hatte, als sie eine Kehrtwende
machten - von Afghanistan zum Irak.
Erläutern Sie!
In Afghanistan war der Krieg richtig. Es gibt Kriege, die richtig sind. Es
gibt eine Zeit, wo es richtig ist, zu kämpfen, und in Afghanistan war das
der Fall. Aber was sie danach taten, unglaublich.
Nach vielen Jahren haben Sie wieder ein ganz anständiges Album
veröffentlicht. Hatten Sie das Singen vermisst?
Ganz ehrlich: nein.
Sie hätten ein Idol für ältere Showstars werden können.
Wie meinen Sie das?
Wir denken, in den Sechzigerjahren war es nicht gerade üblich, dass
Sängerinnen über 30 die Bühne betreten und performen. Madonna ist 50 und
noch schwer am Rackern.
Mit ihr ist es anders. Ich verrate Ihnen, warum. Sie ist nicht mit ihrem
Alter gewachsen. Sie versucht, die gleichen Dinge zu machen wie in ihrer
Jugend. Alles tough, sehr akrobatisch. Aber ich glaube, wenn eine
50-Jährige versucht, wie 25 zu wirken, ist das nicht mehr ihr Stil.
Und wie sehen Sie Cher?
Ich denke, Cher ist eine Entertainerin. Sie ist so verrückt. Sie ist wild,
sie ist eine richtige Las-Vegas-Entertainerin. Und auf der Bühne ist sie
sagenhaft. Sie liebt sich selbst, aber nimmt sich nicht ernst - und das ist
doch sehr okay.
Hören Sie selbst noch Musik, privat?
Ich höre nicht meine eigene Musik, aber Radio oder so höre ich die ganze
Zeit. Am liebsten Klassik. Weil es mich beruhigt. Ich liebe klassische
Musik. Wir haben einen Sender, wo den ganzen Tag klassische Musik läuft.
Und manchmal höre ich neue Musik, Rock. Bruce Springsteen!
INTERVIEW: JAN FEDDERSEN & ARNO FRANK
5 Nov 2008
## TAGS
Musik
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Israelische Ausnahmesängerin: Daliah Lavi ist tot
Sie war eine der erfolgreichsten Popsängerinnen der Siebziger – und hatte
keine Angst vor den nazikontaminierten Deutschen.
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