# taz.de -- Historikerin über Fürstin Maria Theresia: „Man ging legerer mit… | |
> Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger über die Habsburger-Fürstin Maria | |
> Theresia von Österreich, die vor 300 Jahren geboren wurde. | |
Bild: Strategin, Mutter, Regentin – so wird Maria Theresia gerade in einer Wi… | |
taz: Frau Stollberg-Rilinger, Sie nennen Ihre Biografie Maria Theresias | |
eine postmoderne. In welchem Sinne? | |
Barbara Stollberg-Rilinger: Man könnte sie auch postheroisch nennen. Ich | |
wollte die klassische, nationalstaatliche Erzählung über Maria Theresia | |
dekonstruieren. Danach ist sie die Schöpferin des modernen Staates | |
Österreich. Das halte ich für einen Mythos. Sie ist außerdem nach dem | |
Mythos des 19. und 20. Jahrhunderts eine bürgerliche Monarchin, hat ein | |
bürgerlich-intimes Familienleben geführt, war ihren Kindern und Untertanen | |
eine liebevolle Mutter und eine Bürgerkönigin. Dagegen wollte ich | |
anerzählen. | |
Worauf basiert dieser Mythos – Maria Theresia als Gründerin des modernen | |
Staates? | |
Am bedeutungschwersten hat es Hugo von Hofmannsthal ausgedrückt. Er | |
beschrieb Maria Theresia als Gebärerin, die dem österreichischen Staat | |
ebenso das Leben geschenkt hat wie ihren 16 Kindern. Das hat die männlichen | |
Historiker fasziniert. Sie wurde gar nicht als wirkliche Herrscherin aus | |
Fleisch und Blut wahrgenommen, sondern mythisch überhöht als legendäre | |
Figur, die den Staat selbst verkörpert. Auf eine sonderbare Art und Weise | |
wurde sie auch dämonisiert – das Dämonisch-Mütterliche. Das ist eine | |
Projektion von politisch-nationalstaatlichen Größenfantasien aus einer | |
Zeit, in der es diese Größe nicht mehr gab. | |
Aber es gab auch Kritik an der „Weiberherrschaft“. | |
Seit der Französischen Revolution war das politische Ideal, dass der | |
politische Körper nur von Männern konstituiert werden kann. Unter den | |
Bedingungen dynastischer Herrschaft war weibliche Regentschaft nicht | |
ungewöhnlich. Trotzdem gab es in der gesamten Vormoderne eine klare | |
Geschlechterhierarchie, nach der die Frauen den Männern an Körper, Geist | |
und Seele unterlegen sind. Alle gelehrten Wissenssysteme haben untermauert, | |
dass Frauen nur defizitäre Männer sind. Diese Geschlechterhierarchie wurde | |
von Maria Theresia auf den Kopf gestellt, weil sie eine selbstständig | |
herrschende Frau war. Diese Herrschaft war schon in ihrer Zeit angefochten | |
– ein willkommener Vorwand für den Erbfolgekrieg. | |
Welche Rolle spielte die „Weiberherrschaft“ in dem bürgerlichen | |
Dekadenzvorwurf gegen das Ancien Régime? | |
Der weibliche Körper ist defizient gegenüber dem männlichen Körper, | |
dekadent sind die Männer, die verweiblicht sind. Der Vorwurf der | |
Revolutionäre gegen das Ancien Régime war, dass es den Frauen, ob Mätressen | |
oder Regentinnen, einen so großen Raum ließ. Das war auch der Vorwurf gegen | |
Maria Theresias Tochter Marie Antoinette, da geht es dann schon um den | |
dekadenten und sittenlosen weiblichen Körper. | |
Krieg wurde oft in der Symbolik sexueller Überwältigung dargestellt. Sie | |
nennen Flugblätter, auf denen Maria Theresia auf dem Sofa von Friedrich II. | |
und anderen europäischen Fürsten bedrängt wird. Welche Wirkung hatten diese | |
Darstellungen auf die Wahrnehmung und die Ausübung ihrer Herrschaft? | |
Ich glaube nicht, dass sie diese Bilder kannte. Die Spott-Flugblätter waren | |
eine kommerzialisierte Form von Medien, vor allem aus dem englischen und | |
niederländischen Raum. In der Zeit des Erbfolgekrieges, in den frühen | |
1740ern, als sie die Thronfolge verteidigte, hat man sie als | |
Vergewaltigungsopfer dargestellt. Bis zu den Niederlagen der Bayern. | |
Nachdem sie ihr Erbe erfolgreich verteidigt hatte, ist sie so nicht mehr | |
dargestellt worden. Der ganze österreichisch-preußische Gegensatz ist | |
sexuell kodiert. Maria Theresia und Friedrich von Preußen waren etwa gleich | |
alt, hatten im selben Jahr den Thron bestiegen, er der dreiste Eroberer, | |
sie die Verteidigerin des uralten Erbes. Erst im 19. Jahrhundert, als sich | |
der preußische und der österreichische Nationalmythos herausbildeten, hat | |
man die beiden zur Verkörperung universaler Gegensätze stilisiert. | |
Nämlich? | |
Als Verkörperung des Gegensatzes von männlich-weiblich, kalte Vernunft | |
versus warmes Gefühl, Sterilität – Friedrich von Preußen hatte keine Kinder | |
– versus Fruchtbarkeit und so fort. An den Geschlechtergegensatz hat man | |
alle möglichen anderen Gegensätze angelagert. | |
Das ging bis in die stadttopografischen Beschreibungen hinein. | |
Ein Kulturhistoriker aus den 1950er Jahren, Wilhelm Hausenstein, spricht | |
von Berlin als Inbegriff eines „männlichen“ Barock mit seiner „kräftig | |
einstoßenden Via triumphalis“, während er das barocke Wien als weiblich | |
beschreibt: Da herrschten „achsenlose Agglomeration“ und weibliche Fülle �… | |
Bis in die einzelnen Metaphern gibt es diese sexuelle Kodierung. | |
Welche Rolle spielte Schönheit im Ancien Régime? | |
Schönheit war wichtig, auch bei den Männern. Sie haben sich nicht weniger | |
üppig geschmückt als die Frauen. Wenn Gesandte von dem Hof berichten, an | |
den sie geschickt wurden, beschreiben sie immer zuerst das Äußere der | |
Hofgesellschaft. In dieser hierarchischen Gesellschaft entsprach es dem | |
Bild einer harmonisch geordneten, lesbaren Welt, dass die Ranghöchste die | |
Schönste ist. Hinzu kommt, dass Schönheit ein Zeichen von Gesundheit ist, | |
beim weiblichen Körper ein Zeichen von Fruchtbarkeit. | |
Hat sie ihre Weiblichkeit bewusst inszeniert? | |
Um das Problem, das man mit der „Weiberherrschaft“ hatte, zu überwinden, | |
hat man sich gesagt, kraft einer rechtlichen Fiktion ist Maria Theresia ein | |
Mann. Sie galt als König von Böhmen und Ungarn und nicht als Königin, weil | |
sie selbst die Herrschaft geerbt hatte und nicht Gattin eines Königs war. | |
Das war ein elementarer Unterschied. Kaiserin dagegen war sie nur als | |
Gattin des gewählten Kaisers. Es ist charakteristisch, dass man im Ancien | |
Regime eine solche Rollentrennung vornehmen konnte. Ein Mann konnte auch | |
umgekehrt in einem zeremoniellen Akt die Frauenrolle spielen. Der | |
Obersthofmeister schreibt zum Beispiel einmal, dass er bei einer Hochzeit | |
„als Dame figurierte“. Figuriert, das klingt fast postmodern. Maria | |
Theresia trat als Mann in Erscheinung, als sie bei der ungarischen Krönung | |
auf dem Pferd ritt, das Schwert führte und in jeder Hinsicht die männliche | |
Rolle spielte. Andererseits hat sie auch symbolisches Kapital daraus | |
geschlagen, dass sie eine Frau war. | |
Inwiefern? | |
Sie hat sich auch im Zeremoniell als Mutter inszeniert, das war eine | |
Neuerung. Sie hat beispielsweise die Gesandten dazu genötigt, ihren | |
Kindern, selbst einem Zweijährigen, bei offiziellen Audienzen die Hand zu | |
küssen. Die Gesandten waren pikiert darüber. Es war neu, dass man sich auf | |
diese Weise als Herrscherfamilie inszenierte. Es ist aber nicht | |
misszuverstehen als bürgerlich-intime Familiarität, wie das manche | |
bürgerlichen Besucher missdeutet haben, die dachten, sie würden in das | |
innerste Familienleben einbezogen. Die Präsentation der Kinder war vielmehr | |
ein Ausstellen der dynastischen Herrschaft. | |
Sie sprachen vom Spiel. Das ging mit der bürgerlichen Ordnung verloren. | |
Was die Geschlechterdifferenz angeht, war man im Ancien Régime deutlich | |
flexibler als im 19. Jahrhundert. In der höfischen Gesellschaft ging man | |
viel legerer mit Travestie und Homosexualität um. Transgenderverkleidungen | |
waren an der Tagesordnung. Das erschien im bürgerlichen 19. Jahrhundert als | |
absoluter Sittenverfall. | |
Man war für die Reproduktion der Ordnung auf die Kernfamilie angewiesen. | |
Ja, in der bürgerlichen Gesellschaft wurde das Geschlechterverhältnis | |
polarisiert, wie Karin Hausen es genannt hat. Geschlechter unterschieden | |
sich nun kategorial. | |
Neben dem Mythos „die große Herrscherin“ gibt es auch den Mythos „die gr… | |
Frau“. Die bekannte französische Feministin Elisabeth Badinter zieht Maria | |
Theresia gar als „kostbaren Meilenstein in der Geschichte der Frauen“ und | |
Role Model heran. | |
Ich kann eher verstehen, dass die feministische Geschlechtergeschichte um | |
Maria Theresia einen Bogen gemacht hat. Sie war vereinnahmt von der | |
konservativ-nationalstaatlichen, männlichen Historiografie. Aus meiner | |
Sicht ist sie kein Rollenmodell. Solche Identifikationen widerstreben mir | |
grundsätzlich. Das Spannende am Metier der Geschichte ist ja, sich die | |
Fremdheit des Anderen vor Augen zu führen. Projiziert man eigene | |
Wertvorstellungen in die Geschichte, bestätigt man nur, was man sowieso | |
schon empfindet. Ich brauche Maria Theresia nicht, um Feministin zu sein. | |
14 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Tania Martini | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Biografie | |
Österreich-Ungarn | |
Literatur | |
Transgender | |
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