| # taz.de -- Niedersächsische Schulbücher: Gender-Lücke im Curriculum | |
| > Geschichte ohne Frauen: In Niedersachsens neuen Lehrplänen sind weibliche | |
| > Helden Mangelware. Der Unterricht behandelt 52 Persönlichkeiten, davon | |
| > sind nur acht Frauen. Gegen das Rollback des Feminismus begehrt eine | |
| > Lehrerin auf. | |
| Bild: Die Erwähnte: Schüler lernen in Geschichte zunächst nur Herrscherin Kl… | |
| Its a mans world - dieser Klage von James Brown können sich | |
| niedersächsische Schüler anschließen. Von den 52 Persönlichkeiten, die sie | |
| laut dem neuen Kerncurriculum im Geschichtsunterricht von der fünften bis | |
| zur zehnten Klasse kennen lernen sollen, sind nur acht Frauen, darunter | |
| auch die griechischen Göttinnen Hera und Athene. | |
| "Das ist sehr konservativ, wie in den Geschichtsbüchern der 80er Jahre", | |
| sagt Christiane Goldenstedt, Lehrerin für Geschichte und Französisch am | |
| Gymnasium in Ganderkesee bei Bremen. Sie hat sich an den niedersächsischen | |
| Landtag gewandt, um gegen das Rollback des Feminismus zu protestieren. | |
| Unterzeichnet wird ihre Petition von der Frauenforscherin Annette Kuhn | |
| (Bonn), der Literaturprofessorin Helga Grubitzsch (Paderborn) und dem | |
| Landesfrauenrat. | |
| Mit so wenigen weiblichen Personen im Curriculum sei es doch "kaum möglich, | |
| die Frauengeschichte in den Unterricht zu integrieren", sagt Goldenstedt. | |
| Und fügt hinzu: "Mit welchen historischen Persönlichkeiten sollen sich die | |
| Schülerinnen denn identifizieren? Mit Göttinnen?" | |
| Schüler und Schülerinnen lernen im Geschichtsunterricht laut dem Lehrplan, | |
| der in Teilen bereits in Kraft getreten ist, zunächst als einzige Frau die | |
| ägyptische Herrscherin Kleopatra kennen. Bis hin zum 12. Jahrhundert, wenn | |
| die Benediktinerin Hildegard von Bingen erwähnt wird, handelt der Lehrplan | |
| sonst nur von Männern. | |
| Erst rund 600 Jahre später finden die Kaiserin Maria Theresia und Zarin | |
| Katharina die Große Erwähnung in den Büchern. Bis zur Ermordung der | |
| Kommunistin Rosa Luxemburg 1919 klafft erneut eine Gender-Lücke im | |
| Curriculum. "Frauen werden ausgeblendet", die Gleichbehandlung mit dem | |
| anderen Geschlecht finde nicht statt, sagt Goldenstedt. | |
| Für sie fehlen Olymp de Gouges, Frauenrechtlerin während der französischen | |
| Revolution, die Kommunistin Clara Zetkin, die Pazifistin Bertha von Suttner | |
| oder die "Mütter" des Grundgesetzes, Elisabeth Selbert, Friederike Nadig, | |
| Helene Weber und zuletzt auch Helene Wessel. | |
| Dabei wurde der Lehrplan bereits nach der Beschwerde Goldenstedts | |
| frauenfreundlicher gestaltet: In der Erstfassung des Curriculums waren | |
| Niedersachsens Schüler nur mit einer Frau bekannt gemacht worden: der | |
| Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Ihr Name war nicht mal explizit | |
| erwähnt, sondern unter dem Begriff "Geschwister Scholl" mit ihrem Bruder | |
| Hans zusammengefasst worden. Das sei genug, findet das Kultusministerium. | |
| Da heute themenorientierter unterrichtet werde, mache die Argumentation mit | |
| fehlenden Namen wenig Sinn. Und: Sehr wohl könnten die Lehrer | |
| "Trümmerfrauen", "Amazonen" oder "Frauen in den Zünften" im Unterricht | |
| würdigen. | |
| Für solche Themen bleibe jedoch angesichts von Turboabitur und gestrafften | |
| Lehrplänen kaum Zeit, wendet die Grünen Politikerin Ina Korter ein. Auch | |
| sie findet den Genderaspekt zu wenig berücksichtigt. Ob CDU und FDP es | |
| "eigentlich auch in Ordnung finden", wenn demnächst in niedersächsischen | |
| Schulbüchern "die erste Kanzlerin Angela Merkel gar nicht mehr auftaucht"? | |
| "Geschichte ist lange von Männern gemacht worden - daran kann man nichts | |
| ändern", sagt der Vorsitzende des Verbandes der Geschichtslehrer in | |
| Deutschland, Peter Lautzas. Deshalb wendet er sich auch gegen jede | |
| "Frauenquote". | |
| Dennoch hält der Historiker "ein Gran" der Klagen für "zutreffend: Die | |
| Gender-Thematik ist ein bisschen in Vergangenheit geraten", sagt Lautzas. | |
| Auch er sieht eine "Rückkehr zu traditionellen Werten" im | |
| Geschichts-Unterricht. Ob deshalb jedoch mehr Persönlichkeiten "aus dem | |
| linken Spektrum" - wie das für ihn Goldenstedt fordert - im Unterricht | |
| behandelt werden müssen, zweifelt Lautzas an. "Das Anliegen", sagt der | |
| Geschichtslehrer, "ist also grundsätzlich berechtigt, aber nicht in dieser | |
| Form." | |
| 2 Mar 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Kai Schöneberg | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Historikerin über Fürstin Maria Theresia: „Man ging legerer mit Travestie u… | |
| Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger über die Habsburger-Fürstin Maria | |
| Theresia von Österreich, die vor 300 Jahren geboren wurde. | |
| Kommentar Zu wenig Frauen in Geschichtsbüchern: Athene würde lauthals fluchen | |
| Der niedersächsische Kultusausschuss fand es störend, dass in das | |
| Geschichts-Curriculum noch mehr Frauen hinein sollten. |