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# taz.de -- Die Wahrheit: Die fünf Ws
> Der Liebste wollte auf eine kanarische Insel, ich musste mit. Dort war
> schnell alles wie immer. Bloß der Mölchkaffee heißt jetzt Latte.
Ich sitze gern vorm Computer, denn wenn ich was anderes im Leben soll, bin
ich rasch überfordert. Zum Beispiel Ferien machen. Das beginnt bei mir mit
den fünf Ws: Wohin, wie lange, warum eigentlich, wird das Flugzeug
abstürzen und waren wir da nicht neulich erst?
Wenn der Liebste nicht wäre, würde ich meine arbeitsfreie Zeit komplett mit
computergestützem Sudoku-Lösen verbringen. Da stürzt allenfalls das
Programm ab. Aber er hatte versprochen, dass es auch im Urlaub Sudokus
geben würde, so konnte ich schlecht nein sagen.
Der Liebste wollte auf eine Kanarische Insel, weil er der einzige unter 80
Millionen Deutschen ist, der da noch nicht war. Ich versuchte alles, um ihn
davon abzubringen: Erzählte, wie ich vor 35 Jahren ein Segelschiff von
Bremerhaven nach Gran Canaria überführte (Sudokus waren noch nicht
erfunden) und nach zwei Wochen Segeln schließlich an Land als Erstes auf
den Hinweispfeil zu einer „Bayern-Bierbar“ stieß. Wie ich vor 20 Jahren mit
Fanny Müller nach La Palma reiste, nur um an jeder Ecke auf
scheinalternative Landsleute zu stoßen, die statt einer Begrüßung „Guten
Tach ein Mölchkaffe!“ ins Restaurant brüllten.
Allerdings erwähnte ich blöderweise auch, dass wir damals überraschend Tom,
den Wahrheit-Zeichner, getroffen hatten, womit klar war, dass auch Menschen
auf die Inseln reisen, mit denen man gern einen Milchkaffee trinken geht.
Wie ich vor zehn Jahren nach Lanzarote reiste, wo alle Mietwagen schon weg
waren, weshalb ich die Insel im TUI-Bus erkunden musste, wollte er dann
schon nicht mehr hören. Er ist ja auch nicht doof.
„Und dann die Engländer!“, zeterte ich. „Du musst den Gurt schließen, s…
lassen sie das Flugzeug nicht starten“, konterte er. „Mit diesen komischen
Leuten zusammen will ich nicht sterben“, wimmerte ich gegen die
aufheulenden Turbinen an, aber das kannte er schon.
Fuerteventura präsentierte sich überwältigend: Knapp 40 Grad, grauer Dunst,
schroffe Berge, Sahara-Dünen, ein mäßig designtes Gestrüpp hier und da. In
meinem Computer hätte es nicht schöner aussehen können.
Am nächsten Tag kühlte es ab, klarte auf, und alles war wie immer auf den
Kanaren: Englische Männer, die sich das Wappen ihres Fußballvereins über
den linken Nippel haben tätowieren lassen und das samt Sonnenbrand stolz im
Strandcafé präsentieren. Deutsche Frauen, die meinen, sie müssten ihre
nackten Quarkbeutel jedem ins Gesicht schlenkern.
Wenn man in die andere Richtung guckte, war allerdings alles wunderschön.
Strand und Wasser und Harmonie und Bilderbuch. Kein Kleidungsstück mehr
ohne Olivenölfleck. Die Speisekarte des kleinen Hafenrestaurants pries
„Reisengarnelen“ an, und das Eiscafé warnte uns: „Hörnchen und Bälle w…
nicht am Tisch serviert.“ Dafür waren wir dankbar, denn unser Spanisch wird
schon lange nicht mehr am Tisch serviert.
Unser Reisetipp für die Kanaren: Mölchkaffe heißt jetzt Latte. De nada.
Beziehungsweise da nich für.
10 May 2017
## AUTOREN
Susanne Fischer
## TAGS
Kanaren
Ferien
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Niedersachsen
Möbel
Österreich
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Selbsthilfe
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