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# taz.de -- Die Wahrheit: Erfolgreich als Alltagsschamane
> Aufgeben ist keine Option: Selbsthilfebücher kommen demnächst als
> hantelschwere Folianten daher, schon damit der Titel aufs Cover passt.
Bild: Robin Dutt schreibt sich ab jetzt auf Shirt oder Fahne nur noch „die ra…
Während ich mich aus ungeklärten Gründen schon immer für komplett anders
und viel besser als das Gros der tauben Menschheit halte (kein schlechtes
Grundgefühl, bitte mal ausprobieren), muss ich leider allmählich erkennen,
dass dieser Einschätzung die Faktenbasis fehlt.
Nicht nur, dass ich mit dem Alter nun doch unangenehme Ausbeulungen und
Falten an mir wahrnehme, wo doch nach meinem Plan nur die anderen Tölpel
zum Opfer des Zeitlaufs und ihres Mangels an Disziplin werden sollten – es
ist ja allgemein bekannt, dass der Rest der Welt an seinem Unglück selbst
schuld ist, während ich mein relatives Wohlergehen natürlich voll verdient
habe. Plötzlich werde ich also nicht nur alt und fett wie alle, nein, ich
teile zu meiner Verblüffung noch etwas mit der schwabbligen Masse: den
Glauben an die Veränderbarkeit der Welt durch Literatur.
Doch während mir neue Romane versprechen, im Lauf der Zeit vielleicht ein
paar erfahrungsgesättigte Jahresringe dort anzusetzen, wo man sie nicht
gleich sieht, nämlich im Hirn, scheinen meine Mitleser mehr das Praktische
im Auge zu haben. Der neueste Hochglanzprospekt meiner Buchhandlung
präsentiert auf dem Titelbild eine durchtrainierte Boxerin, die sich die
Pfote mit rosa Bandagen umwickelt.
Seit wann liest man mit Boxhandschuhen? Soll man gar nicht: „Das
Quäldichworkout“ wird so beworben, ach du liebe Güte, herausgegeben von
einem anerkannten Kochbuchverlag, der seine Kuh gleich doppelt melken
möchte. Nein, halt, dreifach, denn für die Kopfschüttlerinnen, die denken,
dass sie schon von ihren Albträumen oder ihren Mitmenschen ausreichend
gequält werden (ich kenne davon mindestens eine), prangt der Titel „Der Weg
zur Selbstliebe“ gleich daneben. Mit sanft pastellfarbenem Cover. Was denn
nun? Mein Hirn erleidet wegen der widersprüchlichen Botschaften einen
spontanen shut down. Da hilft mir das Buch „Power durch Pause“ das es
ebenfalls auf den Titel geschafft hat.
Ungecoacht will anscheinend niemand mehr durchs Leben gehen. Meine
Lokalzeitung reist schon lange mit dem Trend und gibt gerade eine halbe
Seite für eine Beratung zum wichtigen Thema „Das perfekte Valentinstagmenü�…
hin. Der Beitrag lässt sich auf „bitte keine Bohnen und keinen Kohl“
eindampfen, da wäre ich noch gerade selbst drauf gekommen, aber es wird
dennoch gewiss bald ein Buch dazu geben.
Und wieder frage ich mich, warum ich nicht längst reiche Ratgeberautorin
geworden bin. Es liegt gewiss an „Der Feind in meinem Kopf und wie ich ihn
bekämpfe“. Jetzt sind die Nischen natürlich schon weitgehend besetzt. Ich
könnte nur noch mit zusammenfassenden Titeln reüssieren: „Der Weg zur
quälenden Selbstliebe, mit Pausen-Power und Faszien-Yoga. Aufgeben ist
keine Option!“ Dieses Buch wäre passenderweise ein hantelschwerer Foliant,
schon damit der Titel aufs Cover passt. Oder: „Achtsamkeit. Entrümpeln als
Alltagsschamane, mit Low-Carb-Rezepten und Energiemedizin.“ Bitte kaufen!
Verweigern ist keine Option.
8 Feb 2017
## AUTOREN
Susanne Fischer
## TAGS
Selbsthilfe
Kanaren
Celle
Kirche
Fußball
Partnerschaft
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