# taz.de -- Torsten Albig (SPD) im Portrait: Der Geschichtenerzähler | |
> Ministerpräsident Torsten Albig setzt im Wahlkampf ganz auf das | |
> Gerechtigkeitsthema. Vielleicht hat er es ein wenig zu sehr | |
> heruntergeplaudert. | |
Bild: Albig , der Moralist. Die Abteilung Attacke überlässt er lieber anderen. | |
Kiel taz | Um die letzte Pressekonferenz vor der Wahl abzuhalten, ist die | |
Seebar in Kiel-Düsternbrook ein geradezu ideales Plätzchen. Torsten Albig, | |
der SPD-Ministerpräsident, hat dorthin eingeladen, zusammen mit Ralf | |
Stegner, dem Landeschef. Beide sitzen mit dem Rücken zur Kieler Förde, | |
hinter ihnen schippern die Schiffe übers leicht wellige Wasser. Es sollen | |
letzte schöne Wahlkampfbilder entstehen. Denn darum geht es ja im Endspurt: | |
Sich selbst möglichst gut darzustellen – und die anderen möglichst | |
schlecht. | |
Die Botschaft, die damit einhergeht, darf Torsten Albig verkünden: „Wir | |
werden den Weg weitergehen.“ Einen Weg, den Albig mindestens so schön | |
findet wie den Blick aufs wellige Wasser der Kieler Förde. Für alles | |
Schlechte, also die Kritik an all jenen Themen des CDU-Spitzenkandidaten | |
Daniel Günther, die nach SPD-Lesart einen hanebüchenen Unsinn darstellen, | |
ist Albig nicht zuständig. Dafür haben die Genossen Ralf Stegner, | |
fußballerisch gesprochen verkörpert er den „aggressive leader“, das | |
Kampfschwein sozusagen. | |
Wenn Stegner über die Konservativen ablästert, klingt das so, als referiere | |
jemand über den Verwesungsprozess eines gestrandeten Herings. Sein | |
Mundwinkelspiel erreicht Rekordtiefen, der Blick wird grimmig. „Die bringen | |
neues Chaos für die Schulen“, wettert er. Oder: „Günther verspricht alles, | |
er hat keine Kontrolle über die Fakten.“ Er bringt noch ein paar Sätze von | |
diesem Format: „Die einzige Rettung für die CDU ist, dass sie in der | |
Opposition bleibt.“ Und dann darf endlich Albig sprechen, als Zweiter, | |
natürlich. | |
Er tut, was ein Amtsinhaber ganz pflichtschuldig tun muss. Er erzählt die | |
guten SPD-Geschichten, ein paar bewährte und ein paar neue. Die Neueren | |
haben mit den nicht ganz so tollen SPD-Umfragewerten zu tun. Albig lächelt | |
sie förmlich weg, spricht von einem „besonderen Wahlkampf“ und davon noch | |
nie einen selbigen verloren zu haben. Er sagt: „Noch nie war das Gefühl auf | |
der Straße so gut wie jetzt, da gibt’s keine Zweifel.“ | |
Die Umfragewerte sagen allerdings etwas anderes aus. Da liegt die CDU bei | |
32 Prozent, die SPD bei 30, die Mehrheit der regierenden Koalition aus SPD, | |
Grünen und SSW wackelt bedenklich. | |
Bei der Ursachenforschung stellt sich immer wieder auch die Frage, ob | |
Torsten Albig mit seinen Geschichten überhaupt durchdringt. Viele spötteln, | |
dass der Ministerpräsident vor lauter Stegnerschaft gar nicht wahrnehmbar | |
sei. Erst jüngst hatte dies CDU-Mann Günther im TV-Duell aufgegriffen, er | |
stichelte: „Ansprechpartner im Landeshaus ist für alle Herr Stegner und | |
nicht Herr Albig. Ich stelle mir die Rolle des Ministerpräsidenten anders | |
vor, aktiver.“ | |
Nun will ein Journalist wissen, ob die inzwischen knapp besseren | |
Umfragewerte der CDU auch damit zusammenhingen, dass Albig im Wahlkampf zu | |
wenig in Erscheinung getreten sei. Nein, das finde er nicht, sagt Albig. | |
Stegner wirft ein: „Haben Sie die großen Wahlkampfplakate gesehen …?“ – | |
kurze Pause – „…und die stehen nicht wie bei der Konkurrenz frei auf dem | |
Feld herum.“ Wieder mal liefert Stegner den griffigeren Satz, obwohl doch | |
Albig gefragt worden ist, obwohl doch Albig bei seiner Wahlkampftour so | |
vorbildlich all die schönen SPD-Geschichten erzählt hat, die eigentlich | |
hängen bleiben sollen. Hat er sie etwa nicht richtig erzählt? | |
Ein Blick zurück. Anfang April gastiert Torsten Albig in Schleswig. Im | |
Schloss Gottorf ist der altehrwürdige Hirschsaal für ihn reserviert. 99 von | |
100 Stühlen sind belegt, hinten kann man sich Häppchen und Sekt gönnen, | |
vorne auf der Bühne spricht Torsten Albig – natürlich über Gerechtigkeit. | |
Ein großes Thema. Der SPD-Platzhirsch, der er hier sein kann, füllt es mit | |
vielen netten Anekdoten. Ein paar drehen sich um ihn selbst. Eine erzählt | |
vom Aufstieg des kleinen Jungen „aus einfachsten Verhältnissen“ zum | |
Ministerpräsidenten. Die Mutter Putzfrau, der Vater Soldat und fester | |
CDU-Wähler. Keine Professoreneltern, macht Albig deutlich, „einfachste | |
Verhältnisse“. | |
Andererseits: Verhältnisse, die mehr oder weniger wohl für die meisten | |
Kinder dieser Generation gegolten haben. Jedenfalls: Dank eines | |
funktionierenden staatlichen Bildungssystems sei ihm der Aufstieg eben | |
gelungen. So begründet er, warum etwa Kitas kostenfrei sein müssen – damit | |
auch ärmere Eltern ihre Kinder in gute Hände geben können. Albig erzählt | |
auch von seinem Sohn, der erst auf einer Waldorfschule sein Glück gefunden | |
und eben mehr Zeit benötigt habe. Ein Plädoyer für das aktuelle | |
Schulsystem, das Wahlfreiheit garantiert. SchülerInnen sollten individuell | |
entscheiden, ob ihnen ein längerer oder ein kürzerer Weg zum Abitur besser | |
passt. Die CDU will bekanntlich den Schulfrieden brechen und ausschließlich | |
auf das neunjährige Gymnasium setzen. | |
Im locker-flockigen Stil beschreibt Albig die Liebe zu seiner Partei. 1982 | |
trat er, der angehende Jurastudent, in die SPD ein und begann seine | |
Karriere im Ortsverein. Soll heißen: Auch der politische Start erfolgte | |
weit unten und ganz klassisch. „Apfelstraße Bielefeld, ein typischer | |
Arbeiterbezirk“, nostalgiert Albig im Schleswiger Schloss. „Wir waren immer | |
im Apfelkrug, wo es nach Zigarren stank.“ | |
Irgendwann habe ihm einer der Alten erzählt, „wie das so war in der | |
Weimarer Republik, SPDler zu sein, und wie es anschließend noch viel | |
schwerer war, man die Fahnen habe verstecken müssen.“ Prägend sei das | |
gewesen, so Albig, der sich als Roter mit Herzblut präsentiert: „Die SPD | |
hat schwere Zeiten erlebt, die meiste Zeit kämpften wir gegen Mächtige.“ | |
Heute dagegen ist es seine Partei, die Ordnungsregeln setzen kann. Seine | |
Partei, die ihre Rolle als Arbeitnehmervertreterin in der neuen Arbeitswelt | |
so interpretiert, dass Eigentumsrechte gewahrt bleiben – aber dass zum | |
Beispiel die gläserne Digitalwelt nicht vom Kapital ausgenutzt wird. „Wir | |
Sozialdemokraten können das steuern“, verspricht Albig eine digitale | |
Gerechtigkeit. | |
Er verspricht noch mehr. Zum Beispiel gerechte Familienpolitik, wieder aus | |
der persönlichen Erfahrung gespeist: „Früher musste meine Frau alle Last | |
der Familie tragen. Ich war ein chauvinistischer Kerl.“ Vor einem Jahr ging | |
seine Ehe in die Binsen. Sein Leben habe sich schneller entwickelt als | |
ihres, sagte Albig der Bunte. Man habe sich kaum noch auf Augenhöhe | |
ausgetauscht. „Ich war beruflich ständig unterwegs, meine Frau war in der | |
Rolle der Mutter und Managerin unseres Haushaltes gefangen.“ | |
Er machte steil Karriere. Als Pressesprecher verteidigte er die harte | |
Sparpolitik des SPD-Finanzministers Hans Eichel. Offensichtlich so gut, | |
dass die Dresdner Bank ihn abwarb. Später ging’s zurück in die Politik, | |
wieder ins Finanzministerium, diesmal zu Peer Steinbrück, der nicht gerade | |
im Verdacht steht, besonders links zu sein. Ob Torsten Albig, der die | |
Finanzwelt zwischen Brüssel und Frankfurt aus dem Effeff kennt, | |
Gerechtigkeitsfragen damals so wichtig waren wie heute? | |
Vor allem in Sachen Flüchtlingspolitik präsentiert er sich gerne als | |
letzter, großer Messias in der politischen Landschaft. Auch dazu weiß er | |
eine Geschichte zu verkaufen. Immer und immer wieder. Sie erzählt vom | |
afghanischen Bäckerlehrling, der die besten Sahnetorten im Ort mache. Klar, | |
dass man den nicht abschieben könne; klar, habe der dieselben Chancen | |
verdient wie er einst. Wer will Torsten Albig, dem Gerechten, wie er häufig | |
genannt wird, da widersprechen? Sigmar Gabriel und Martin Schulz zum | |
Beispiel. Der SPD-Hoffnungsträger ließ es sich sogar bei Gastauftritten im | |
schleswig-holsteinischen Wahlkampf nicht nehmen, Albig dafür zu | |
kritisieren, dass er keine Afghanen abschieben lässt. | |
Albig hat viele Themen sachlich und eloquent dargestellt. Er hat viel Zeit | |
darauf verwendet, zu erklären, worauf seine Überzeugungen basieren, | |
insbesondere seine humane Flüchtlingspolitik. Vielleicht hätte es manchmal | |
ein bisschen mehr Kampfschwein und weniger Erklärbär sein müssen. | |
4 May 2017 | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
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