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# taz.de -- Integration durch Isolation: Göttingen lagert Geflüchtete ein
> Die Stadt Göttingen will vier ihrer zwölf Geflüchteten-Unterkünfte
> schließen. An der teuersten im abgelegenen Gewerbegebiet Siekhöhe hält
> sie fest
Bild: Geflüchtete bringt Göttingen in einer Halle fernab des Getöses der Uni…
GÖTTINGEN taz | Die Kritik an der Geflüchteten-Unterkunft auf der Siekhöhe
in Göttingen ist drastisch: „Kaum soziale Kontakte, Isolation statt
Integration, fehlende Privatsphäre, Stress und unzumutbare
Lebensbedingungen“. So hieß es schon im Herbst in einem offenen Brief
vieler Initiativen über die Realität in der Massenunterkunft in einer
ehemaligen Lagerhalle. Sie liegt mehrere Kilometer vom Göttinger
Stadtzentrum entfernt zwischen einem Gewerbegebiet und der Autobahnabfahrt.
Nun sollen in Göttingen bis zum Herbst 2018 vier von zwölf städtischen
Geflüchteten-Unterkünften dichtgemacht werden. Erhalten bleiben soll neben
Unterkünften im Stadtgebiet aber ausgerechnet eben die am meisten
umstrittene und teuerste Unterkunft auf der Siekhöhe.
Das sieht ein Vorschlag der neuen Sozialdezernentin Petra Broistedt vor.
Die Verwaltung will mit den geplanten Schließungen monatlich rund 140.000
Euro einsparen. Am 9. Mai will die Verwaltung ihre Schließungspläne im
Sozialausschuss des Stadtrates vorstellen.
Auch andere niedersächsische Städte wollen Unterkünfte schließen oder für
andere Zwecke nutzen, da die Zahl der Flüchtlinge zurückgeht. Die
Erstaufnahmen in Niedersachsen sind zurzeit nur dünn belegt. In der Folge
bekommen auch die Kommunen weniger Schutzsuchende zugewiesen.
In städtischen Unterkünften in Göttingen gibt es derzeit 1.372 Plätze für
geflüchtete Menschen, frei sind davon aktuell 536. Die Stadtverwaltung geht
davon aus, dass bis zum Ende dieses Jahres 792 Plätze nicht belegt sind.
Eine der Unterkünfte, die geschlossen werden sollen, ist bereits heute
nicht mehr bewohnt.
Die Bedingungen auf der Siekhöhe aber, wo die Massenunterkunft erhalten
bleiben soll, haben Flüchtlinge und ihre Unterstützer seit Beginn der
Belegung im vergangenen Jahr scharf kritisiert: Unter anderem seien die
Wohnparzellen nach oben offen und böten keinen Rückzugsort vor der
Geräuschkulisse und der Dauerbeleuchtung.
Das Rote Kreuz als Betreiber der Einrichtung bemühe sich zwar um
„abwechslungsreiche Beschäftigungsmöglichkeiten“, diese ersetzten aber
nicht gemeinsame Aktivitäten mit Göttinger Bürgern. Der Besuch von
Sportvereinen, Gespräche mit Nachbarn oder die Teilnahme an
Kindergeburtstagen würden durch die Unterbringung in dem Gewerbegebiet am
Stadtrand erschwert.
Dass in der Halle auch künftig Asylbewerber leben sollen, während andere
Bleiben dicht gemacht werden, hat auch Niedersachsens Flüchtlingsrat auf
den Plan gerufen. Auch er bemängelt die „abgelegene Lage, die
Hallenstruktur und die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten“, die zu einer
Isolation der Geflüchteten auf der Siekhöhe führe.
„Es ist absolut nicht nachvollziehbar, dass auch besonders schutzbedürftige
Gruppen wie Kinder und Frauen unter solchen Umständen untergebracht werden,
obwohl deutlich bessere Unterkünfte zur Verfügung stehen“, sagt Laura
Müller vom Flüchtlingsrat.
Dass die Stadt ungeachtet der Kritik am Standort Siekhöhe festhalten will,
begründete Verwaltungssprecher Detlef Johannson auf taz-Anfrage unter
anderem mit dem guten baulichen Zustand und der Ausstattung der Halle.
Zudem handele es sich um die einzige Einrichtung mit Vollverpflegung,
medizinischer Versorgung und einer Quarantänestation: „Das ist ein gutes
Angebot als lokale Erstaufnahmestation für alle Neuankömmlinge mit
Clearingangebot.“
Wohl in der Einschätzung, dass weiterhin viele Flüchtlinge nach Göttingen
kommen, hatte die Kommune die Halle bis 2021 angemietet. Bei jetziger
Schließung sei eine Nachnutzungsmöglichkeit aber nicht in Sicht.
Das wirtschaftliche Argument zieht aber nur bedingt. Aus
Verwaltungsunterlagen, aus denen das Göttinger Tageblatt zitierte, geht
hervor, dass die Flüchtlingsbetreuung auf der Siekhöhe am teuersten ist:
monatlich 1.142 Euro pro Platz. In den vier Unterkünften, die geschlossen
werden sollen – zwei davon in Wohngebieten – liegen die Kosten deutlich
darunter.
28 Apr 2017
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Geflüchtete
Unterbringung von Geflüchteten
Unterbringung
Gewerbegebiet
Göttingen
Göttingen
Schwerpunkt Überwachung
Mieterhöhung
Minderjährige Geflüchtete
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