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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Der Superstratege von Buenos Aires
> Jaime Durán Barba gilt als graue Eminenz der Rechten in Südamerika. Er
> brachte Macri an die Macht und sieht Utopien als Zeitverschwendung an.
Bild: Barba brachte ihn an die Macht: Bei Gewerkschaftern ist Mauricio Macri eh…
Die lateinamerikanische Rechte arbeitet an ihrem Comeback: mit
juristisch-institutionellen, medienwirksam inszenierten [1][Coups wie in
Brasilien] oder mit einer Strategie der Spannung wie in Venezuela. Aber
auch auf normalerem Wege wie der Unternehmer Mauricio Macri, der in
Argentinien nach zwölf Jahren linker Regierungen im November 2015 zum
Staatschef gewählt wurde.
Die Gründe für den Rechtsruck sind zunächst in der Wirtschaftskrise und
deren politischen Folgen zu suchen. Mit dem Preisverfall und der
rückläufigen Nachfrage bei Rohstoffen geriet der Motor einer durchaus
erfolgreichen Umverteilungspolitik ins Stottern. Damit kehrten
Arbeitslosigkeit, Inflation und Armut zurück, und die Ungleichheit nahm
wieder zu. Begünstigt wurde der Rechtsruck auch dadurch, dass die linken
Regierungen durch zahlreiche Korruptionsskandale in Verruf gerieten.
Schließlich waren die Regierungen vom mühsamen Alltagskram derart
absorbiert, dass sie keinerlei strategischen Überlegungen entwickelten, die
nötig gewesen wären, um ihre Politik zu überprüfen und neu zu justieren.
All das verschaffte bestimmten Fraktionen der Rechten die Chance, zu
ernten, was die Linke gesät hatte. Diese Kräfte wollten nicht mehr mit dem
gescheiterten Neoliberalismus, dem Kuschen vor den USA und den repressiven
bis diktatorischen Regierungsformen der Vergangenheit assoziiert werden.
Daher entwarfen sie eine ganz neue politische Agenda, die auch ihre
Wahlkampagnen prägte.
Vier Themen standen dabei im Vordergrund: Erstens erkannte man die sozialen
Fortschritte der linken Regierungen an und versprach, diese zu
konsolidieren. Zweitens wollte man die Beziehungen zwischen Staat und
Gesellschaft erneuern, was eine Absage an Vetternwirtschaft und
„Populismus“ bedeutete, aber auch an einen „interventionistischen“ Staa…
der dennoch Drogenhandel, Unsicherheit und Korruption bekämpfen sollte.
Drittens wollte man die nationale Einheit stärken, nachdem die Linke
angeblich die Gesellschaft polarisiert hatte. Viertens wollte man das
politische Personal erneuern: Akteure aus Unternehmen und NGOs sollten die
alten Kader aus dem traditionellen militärischen und politischen Milieu
ersetzen.
Solche neuen Töne wurden der lateinamerikanischen Rechten von Beratern
beigebracht, die mit Marketing, quantitativer und qualitativer
Sozialforschung, Psychologie und Kommunikationstechnologien vertraut sind.
Einer von ihnen spielte bei den Wahlen in Argentinien eine Schlüsselrolle.
## Der Intimfeind von Expräsident Correa
Jaime Durán Barba empfängt uns in seiner Wohnung in Buenos Aires. Der agile
70-Jährige ist seit 35 Jahren im Geschäft. In Europa kennt ihn keiner, doch
in Argentinien ist sein Name untrennbar mit dem des Staatschefs verbunden.
Er leitete die PR-Abteilung und sämtliche Wahlkampagnen Macris, seit der
Erbe des italienisch-argentinischen Bau- und Automagnaten Francisco Diego
Macri 2004 in die Politik ging.
Mauricio Macri, von 2007 bis 2015 Bürgermeister von Buenos Aires, wurde
Ende 2015 zum Präsidenten gewählt. Damit wurde auch sein Berater prominent.
Mit seiner Beraterfirma Informe Confidencial arbeitet Durán Barba nicht nur
für den argentinischen Präsidenten, sondern auch für die Partei Propuesta
Republicana, die er 2005 gründen half. Heute ist er Sonderberater des
Präsidenten.
Barba ist die graue Eminenz der argentinischen Rechten. Seit den 1990er
Jahren unterhält er enge Beziehungen zu südamerikanischen Anhängern des
Washington Consesus. Also zu Vicente Fox und Felipe Calderón in Mexiko, zu
dem Grünen Antanas Mockus in Kolumbien, zur evangelikalen Grünen Marina
Silva in Brasilien, zu Jamil Mahuad in Ecuador (Präsident von 1998 bis
2000, unter dem Barba Staatssekretär war), zu Blanca Ovelar in Paraguay und
zum argentinischen Rechtsperonisten Carlos Menem.
Obwohl Durán Barba seit den 1980er Jahren in Argentinien lebt, liegt ihm
seine Heimat Ecuador noch immer am Herzen. Er ist ein Intimfeind von
Expräsident Rafael Correa, für drei von dessen politischen Gegnern hat er
Wahlkampfhilfe geleistet.
## Die Welt verändern ist Zeitverschwendung
In Nordamerika ausgebildete Berater wie Barba waren in Lateinamerika
bislang nicht sehr verbreitet. „Unser Beruf ist nicht Politikwissenschaft,
sondern angewandte Politik“, sagt Barba. Die soll helfen, mittels
systematischer Umfragen und Studien Wahlen zu gewinnen.
Dabei sei die entscheidende Frage, „wer innerhalb eines bestimmten
Zeitraums für uns stimmen kann, warum und wie.“ Menschen überzeugen zu
wollen, dass die Welt verändert werden muss, hält Barba für reine
Zeitverschwendung, das sei etwas für linke Idealisten.
Es geht also nicht um politische Überzeugungen, sondern um die Frage, was
man sagen muss, um zu gewinnen. Barbas zentrales Instrument ist dabei die
qualitative Umfrage. Dabei beobachtet er kleine Gruppen von acht bis zehn
sorgfältig nach ihrem sozialen Profil ausgewählten Menschen über einen
langen Zeitraum sehr genau. Man fragt die Probanden, die auch bezahlt
werden, nach ihrem Geschmack, ihren Wünschen, der Priorität ihrer Anliegen.
Man misst auch ihre Reaktionen und Gefühle – „vor allem ihre Ressentiments…
– gegenüber dem konkreten „politischen Angebot“ eines Kandidaten, eines
Gegners, einer Botschaft oder einer Partei.
„Jeder betrachtet die Welt von seinem Standpunkt aus“, erklärt Durán Barba
und zeigt auf eine Wand mit einer Sammlung alter Landkarten. Sie zeigen,
welche Vorstellungen über die Welt in den großen Reichen der Weltgeschichte
herrschten: bei Persern, Chinesen oder Afrikanern. „Seit unvordenklichen
Zeiten gehen die Menschen, wenn sie an die übrige Welt denken, von ihrer
eigenen Lebenswirklichkeit aus. Stets sehen sie sich selbst im
Mittelpunkt.“
Was folgt daraus? „2005 ermittelten wir bei unseren Zielgruppen in Buenos
Aires eine Krise bei den Männern über 45. Ihr Problem war die längere
Lebenserwartung vor dem Hintergrund des notorischen Jugendkults. Dann
ergab unsere Studie, dass in den Stellenanzeigen für Männer meistens
Bewerber unter 50 gesucht wurden.“
Auf diesen Befund reagierte die Wahlkampagne mit der Videobotschaft: „Du
bist über 45? Macri wird dir einen Job verschaffen!“, untermalt von der
Melodie eines Bandoneon; dazu die Gesichter von Sigmund Freud, Isaac
Newton, Thomas Edison, Pablo Picasso, Mutter Teresa und Louis Pasteur. Sie
alle waren über 45 Jahre alt, als sie zu Dienern der Menschheit wurden.
Diese Botschaft transportierte ein konkretes Wahlversprechen:
Steuererleichterungen für Firmen, die einen bestimmten Prozentsatz von
Arbeitnehmern über 45 und über 60 einstellen.
## Politik der Leidenschaften
Durán Barba will seine Kunst vom schlichteren Gewerbe der Werbung
unterschieden wissen: „Man muss zwei oder drei Jahre lang jeden Tag an der
Vorbereitung einer Wahlkampagne arbeiten und eine Ausgangsstrategie
entwickeln, die man anpassen und immer wieder überprüfen muss.“
Als Anhänger des demokratischen Pluralismus glaubt Barba, dass die
wachsende Kluft zwischen Wählern und Regierungen nur zu überbrücken ist,
wenn man die klassische Vorstellung von den Aufgaben der Politik infrage
stellt. Politik müsse den „ideellen Ballast“ abwerfen und aufhören, einer
„kollektiven Transzendenz“ zu dienen. Vielmehr habe sie „von den Menschen,
ihren Ansichten, ihren Bedürfnissen, ihrem Alltag“ auszugehen.
Barbas mit Gramsci-Anklängen durchsetztes Vokabular könnte auch
Theoretikern eines linken Populismus gefallen: „Die Politik ist viel mehr
eine Sache der Leidenschaften, der Affekte, der Gefühle und Ressentiments
als eine Sache der Vernunft und der Programme.“
Die großen Ideale, der Streit zwischen links und rechts und der
Klassenkampf taugen nicht mehr zur politischen Mobilisierung der Menschen,
glaubt Barba. Der Begriff Volk existiert für ihn nicht. Die Demokratie sei
„ein System, in dem sich verschiedene Interessengruppen an bestimmten
Punkten verbünden, um je nach den konkreten Möglichkeiten eine Zeit lang
die Macht auszuüben“. Politik bedeutet also: „Koalitionen bilden, sie am
Leben erhalten und die Konkurrenz ausschalten.“
## Wovon der Wähler vor dem Einschlafen träumt
Auch für das Versagen der Linken hat Barba eine Erklärung. Da sie ihre
Siege in der Epoche des Rohstoffbooms errang, habe die Linke ihre Wähler
„zum Konsum und zur Utopie der Mittelschicht verführt“. Aber gerade für
diese Schicht habe sie kein politisches Angebot entwickelt. Damit habe sich
die Linke ihr eigenes Grab geschaufelt.
Am Ende unseres Gesprächs führt Barba eine Auswahl von Werbespots vor, die
seiner Ansicht nach zum Sieg von Macri entscheidend beigetragen haben.
Einer der Filme zeigt den Kandidaten mit aufgeknöpftem Hemd an einem
sonnigen Morgen in Concepción del Uruguay in der Provinz Entre Ríos. Er
sitzt an einem Gartentisch und trinkt den traditionellen Mate mit Nicolás,
einem jungen Familienvater, der ein Baby in den Armen hält.
Der künftige Präsident und der junge Mann sitzen ganz ungezwungen da und
unterhalten sich auf Augenhöhe. „Glaubst du, dass man das Land wieder auf
die Beine bringen kann?“, fragt der Politiker. „Ich hoffe es. Denn wenn man
mich fragt, was ich für unser Land möchte . . .“ Nicolás stockt: „Ich ka…
nicht reden, es tut mir leid.“ Zwischen den beiden Männern entsteht ein
langes Schweigen, sehr ungewöhnlich in einem solchen Spot. Der junge Vater
blickt auf sein Baby, dann kommen ihm die Tränen. Schließlich legt ihm
Macri die Hand auf die Schulter und sagt: „Mach dir keine Sorgen.“ Dann
kommt der Wahlkampfslogan: „Wir glauben an den Wandel.“ Schlussbild:
Mauricio und Nicolás umarmen sich.
Man müsse nur eine Frage stellen, sagt Durán Barba und lächelt zufrieden:
„Wovon träumt mein Wähler, wenn er schlafen geht? Vom Sozialismus? Nein,
von seinem Wohlergehen, von dem, was sein Leben und das seiner Angehörigen
verbessern könnte.“
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
6 Apr 2017
## LINKS
[1] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5300054
## AUTOREN
Christoph Ventura
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