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# taz.de -- Massenstreik in Argentinien: Die Wut an der Basis
> Hunderttausende protestieren gegen die Politik des konservativen
> Präsidenten Mauricio Macri. Es geht um Lohnerhöhungen und Arbeitsplätze.
Bild: Der erste Schultag musste ausfallen: Die argentinischen Lehrer*innen stre…
Buenos Aires taz | Argentiniens Präsident Mauricio Macri erlebt die erste
große Streik- und Protestwoche gegen seine Anpassungspolitik. Am Montag und
Dienstag streikten die Lehrkräfte an den öffentlichen Schulen und
vereitelten den planmäßigen Schulanfang nach den langen Sommerferien. Am
Dienstag hatte der Gewerkschaftsdachverband CGT zu einem großen Marsch vor
das Produktionsministerium in der Hauptstadt Buenos Aires aufgerufen – und
mehrere Hunderttausend Menschen gingen auf die Straße.
Der Protest richtet sich gegen die anhaltenden Entlassungen, den Abbau der
Importbeschränkungen, der der heimischen Industrie zu schaffen macht, und
gegen die Forderung der Regierung bei den anstehenden Tarifverhandlungen
maximal 18 Prozent Lohnerhöhungen zu vereinbaren. Doch was als friedlicher
Protestmarsch begann, endete in Tumulten und Bildern von flüchtenden
Gewerkschaftsführern.
Abgesehen von einer großen Demonstration zum Anlass des 1. Mai im
vergangenen Jahr hat sich der Dachverband der Gewerkschaften CGT seit
Macris Amtsantritt im Dezember 2015 zurückgehalten. Im Gegenzug stimmte die
Regierung einem Antientlassungspakt zu und billigte Lohnerhöhungen, die
fast an die Inflationsrate von bis zu 40 Prozent heranreichten.
Beides ist inzwischen Makulatur. Nachdem die Entlassungen im öffentlichen
und privaten Sektor kein Ende nahmen, erklärten die Gewerkschaften den Pakt
für gescheitert. Fast zeitgleich kündigte die Regierung die 18-prozentige
Deckelung der Lohnerhöhungen an. Das wäre zwar ein Inflationsausgleich,
aber die 18-prozentige Inflationsrate für 2017 wurde von der Regierung
prognostiziert.
## „Die Regierung geht auf Konfrontationskurs“
„18 Prozent sind ein Witz,“ sagt Veronika Vega von der Gewerkschaft der
öffentlichen Verwaltungsangestellten UPCN. Um 5 Uhr morgens ist sie mit
ihren Kolleginnen in der Provinzhauptstadt Santa Fe losgefahren, jetzt
marschieren sie über die große Avenida 9 de Julio in Buenos Aires. Noch
hätten die Lohnverhandlungen in ihrer Heimatprovinz Santa Fe nicht
begonnen, „aber mindestens 30 Prozent brauchen wir“, sagt die 39-Jährige,
hakt sich bei ihren Kolleginnen unter und geht Richtung Ministerium.
Fernando Tancredi marschiert auf der Avenida Corrientes zur Avenida 9 de
Julio. Der Gewerkschaftssekretär der Bankangestellten von Chivilcoy in der
Provinz Buenos Aires hat andere Zahlen parat. „Die allgemeinen Prognosen
sagen schon jetzt 24 Prozent vorher.“ In seiner Branche wurde nach harten
Verhandlungen bereits ein Abschluss erzielt. „24,5 Prozent für das Jahr
2017. Und sollte die Inflationsrate darüber liegen, wird nachverhandelt.“
An der Ecke Corrientes und 9 de Julio steht Gladys Munro und sieht den
Vorbeiziehenden zu. „Die Regierung ist auf Konfrontationskurs gegangen“,
sagt die 25-jährige Ökonomiestudentin. Für sie sei Australien das große
Vorbild.
Anfang der 1980er Jahre stagnierte dort die Wirtschaft, die
Arbeitslosigkeit betrug rund 10 Prozent, die Inflation lag knapp unter 20
Prozent, das Defizit im Staatshaushalt erreichte Rekordniveau. „Also alles
so ähnlich wie jetzt in Argentinien“, sagt die Studentin. Dann hätten sie
auf der Insel alles umgekrempelt, Arbeitsgesetze geschliffen, eine
Steuerreform durchgezogen und weniger auf die Industrie und mehr auf
Dienstleistungen und die Veredelung von Rohstoffen gesetzt.
## An der Basis brodelt es
Munro setzt ihre Hoffnung auf den konservativen Präsidenten. „Nach einem
Jahr Kuscheln mit der Gewerkschaftsführung hat Macri die Umstrukturierung
jetzt angepackt.“ Die ersten Arbeitsgesetze seien schon geschliffen, der
Abbau der Importschranken bereits im Gang, um konkurrenzunfähige
Industriebetriebe zum Aufgeben zu zwingen. „Was jetzt tobt, ist der Kampf
um die Lohnkosten.“ Im regionalen Vergleich sei Arbeitskraft in Argentinien
für Investoren zu teuer, meint sie. Das alles wüssten auch die
Gewerkschaftsführer.
Dass es an der Basis weitaus heftiger brodelt als an der Spitze, trat bei
der Abschlussveranstaltung offen zutage. Viele hatten damit gerechnet, nun
endlich das Datum für den ersten Generalstreik gegen Macri zu erfahren.
Doch die Führung blieb bei ihren vagen Aussagen, und als sich der
CGT-Vorsitzende Héctor Daer gar den Versprecher: „Der Streik wird vor
Jahresende stattfinden, pardon, vor Monatsende“, schlug die Stimmung
gänzlich um, spielten sich tumultartige Szenen ab und besetzten wütende
Gewerkschafter die Bühne.
8 Mar 2017
## AUTOREN
Jürgen Vogt
## TAGS
Argentinien
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Donald Trump
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