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# taz.de -- Harburger Exotik: Sendetürme und Talismane
> Die in Südafrika geborene Künstlerin Bianca Baldi zeigt im Kunstverein
> Harburger Bahnhof, was man sehen kann, wenn man hinten im Kopf Augen
> hätte
Bild: Funktürme sollten das Deutsche Reich mit seinen Kolonien verbinden
Ein leichtes Wummern ist da, ein Vibrieren, schwer zu orten. Wie von einer
Maschine, die tief unter einem arbeitet, die etwas in Gang hält und die
nicht so schnell aufhören wird. Und dann ist die Quelle ausgemacht: eine
schwarze, kompakte Lautsprecherbox, die in einer Ecke steht und aus der es
unablässig klopft. Sie füllt und bestimmt so den nicht gerade kleinen
Ausstellungsraum des Kunstvereins Harburger Bahnhof.
Es hätte auch eine Lok sein können. Eine schwere, rumorende Diesellok, die
sich seit Langem warmläuft. Denn tritt man an die vielen hohen Fenster des
Kunstvereins, schaut man auf die Bahnsteige und die Gleise des Harburger
Fernbahnhofs, Drehkreuz für die Züge Richtung Norden, Süden und Westen,
ICE-Haltestelle, meistens jedenfalls.
„Eyes in the Back of Your Head“, so hat die in Südafrika geborene und
aufgewachsene Künstlerin Bianca Baldi ihre den Kunstverein füllende Arbeit
genannt, die sie während eines Residenz-Stipendiums an einem ethnologischen
Museum in Slowenien entwickelte. Zuvor hatte sie in Venedig und Frankfurt
am Main Kunst studiert, aktuell lebt sie in Brüssel. Seit sieben Jahren ist
sie in Europa unterwegs.
Ihr Thema: „Was ist da, was wir nicht sehen, was aber wirkt“, sagt sie. Und
sie verweist darauf, dass Begriffe wie „Medium“, „Kanal“ oder auch
„Kommunikation“ sowohl in der Sphäre des Spirituellen wie des
Technisch-Medialen von zentraler Bedeutung sind. „Mich interessiert, auf
welche Infrastruktur das vordergründig nicht Sichtbare, das nicht Fassbare
zurückgreifen kann“, sagt Baldi.
Dabei stehen zwei Elementgruppen im Zentrum ihrer Arbeit:
Talismanschriftrollen aus Togo in Westafrika, die man gefaltet mit sich
trägt, die man also nicht anschauen, nicht im eigentlichen Sinne lesenmuss,
und die nur da sein müssen, um seinen Träger zu schützen und ihm Glück zu
bringen.
## Muster der Talismanschriftrollen
Und dann sind da meterlange Bahnen, die von der Decke hängen – aus
bedrucktem Stoff, der so seicht schimmert und zu spiegeln scheint, als sei
er vielleicht doch aus sehr dünnem Plexiglas gepresst. Sieben luftige,
kabinenähnliche Räume entstehen so – angeordnet nach Mustern der
Talismanschriftrollen.
Urwald und gerodeter Urwald ist auf dem Stoff zu erkennen. Schmale
Schienenstränge zeigen sich, die durch das entsprechend verwüstete Land
führen. Und dann, wenn man sich ein wenig eingesehen hat, fallen einem auf
manchen Bilderbahnen die Sendemasten auf, die steil in den Himmel ragen.
Baldi greift dabei auf historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Ingenieuren
der Firma Telefunken zurück, die ab 1911 im Auftrag des deutschen
Kaiserreiches in deren damaliger Kolonie „Togoland“ eine Funkstation
aufbauen sollten. Vom Ort Kamina aus, im Landesinneren Togos, keine 400
Meter hoch gelegen, sollte nicht nur die Kolonie mit dem Reich „durch die
Luft“ verbunden werden.
Von hier aus sollte auch der Funkverkehr mit den deutschen Kolonien
Kamerun, Deutsch-Südwest-Afrika (das heutige Namibia) und Deutsch-Ostafrika
(das heutige Tansania) und eben dem Reich gebündelt werden.
## Kaum einen Monat in Betrieb
Tage, bevor der Erste Weltkrieg beginnt, der auch in den europäischen
Kolonien Afrikas toben wird, reißt die deutsche, unbewaffnete
Bedienungsmannschaft die Anlage ein. Kaum mehr als einen Monat hat sie am
Ende gearbeitet und sich doch an der Weltpolitik beteiligt: als Medium.
Ganz versteckt, im Durcheinander von Gestrüpp und den nun vergrößerten
Schadstellen auf dem Fotonegativ nicht sofort zu erkennen, sieht man auf
einer der Bildplanen einen Arbeiter, leicht gebückt, beim Roden des Waldes:
Afrikanische Arbeiter wurden damals zwangsrekrutiert, um die Station
aufzubauen. Und man wollte sie nicht auf den Bildern haben. Nur manchmal
übersah man eben einen.
„Es ist ein starker Ort“, sagt Baldi, dreht sich um ihre eigene Achse und
zeigt, wie sich auf den transparenten Bahnen die Architektur des Bahnhofs
spiegelt. Sie hat ihre Arbeit nicht eigens für den Kunstverein Harburger
Bahnhof konzipiert, umso kraftvoller sind die Referenzen, die sich nun
einstellen. „Die Bauteile der Funkstation wurden damals von Hamburg aus
geliefert“, erzählt sie. Wurden per Bahn erst in den Hamburger Hafen
gebracht, dann nach Togo verschifft und dort per eigens dafür gebauter
Schmalspurbahn bis zu ihrem Bestimmungsort weiter transportiert.
Historisch passend auch der Ausstellungsort selbst: Denn der heutige
Ausstellungsraum ringt mit der Architektur eines einstigen Wartesaals
erster und zweiter Klasse, 1897 in Betrieb genommen. Ein Restaurant gehörte
dazu, in dem man als Speisen Hummer und Schildkrötensuppe anbot, die man
dann unter Palmen aß, noch bevor die Reise losging.
Gehörte einem nicht die Welt und sei sie noch so exotisch? Die Wände
entsprechend flankiert von Porträts Kaiser Wilhelm Zwo, Fürst Bismarck und
Graf Moltke. In der Nachkriegszeit herabgesunken zum puren Wartesaal,
später dem Zeitgeist gemäß eine Spielhalle, dann stand der Saal länger leer
– bis 1999 der damals gegründete Kunstverein ihn übernehmen konnte, um von
nun an fast 360 Quadratmeter an Fläche zu bespielen. Eingefasst von
kompakten Säulen, großen und hölzernen Fensterflügeln und behimmelt von
einer beeindruckend schönen Kassettendecke.
Die Bahnanbindung könnte ein Vorteil sein: Keine 20 Minuten braucht die
S-Bahn vom Hamburger Hauptbahnhof bis hier her. Doch der Kunstverein
Harburger Bahnhof wird von den kunstinteressierten Hamburgern nicht gerade
überlaufen, so als sei die dazwischenliegende Elbe trotz aller Elbbrücken
ein kaum überwindbares mentalesHindernis. Doch soll es umgekehrt auch so
sein, dass die Harburger nicht allzu oft nach Hamburg fahren. Mit dieser
Situation produktiv umzugehen, obliegt der kuratorischen Leitung des
Vereins, die aller zwei, drei Jahre wechselt und die aktuell Lisa Britzger
und Jennifer Smailes innehaben.
## Kunstverein in Frauenhand
Schaut man zurück, fällt einem anhand der Liste bisherige Kuratorinnen auf,
dass der Harburger Kunstverein seit längerem in Frauenhand ist. „In unserem
Berufsfeld sind weit mehr Frauen als Männer unterwegs und so kommen sie
zunehmend in Leitungsfunktionen – irgendwann müssen die Frauen da ja
landen“, sagt Lisa Britzger. Sie verweist darauf, dass dieser Trend in den
etwas kleineren Kunstvereinen seit längerem anhält, sich bei den normalen
Kunstvereinen langsam festigt. Aber: „Bei den großen Häusern und den Museen
ist das noch anders, da gibt es ein sehr zeitverzögertes Nachrücken.“
Wichtiger ist den beiden jedoch etwas anderes: dass sie als Doppelspitze
agieren können. „Wir beide haben an der selben Hochschule studiert, wir
kennen uns seit langem, und das sehr gut, so dass man zusammen auf neue
Ideen kommt, statt das man einsam vor sich hin plant und nur für sich
entscheidet“, sagt Jennifer Smailes.
„Wir wollen die Kunst in soziale und politische Fragestellungen einbinden,
wir wollen die Kunst aber auch Kunst sein lassen“, umreißen Britzger und
Smailes ihr programmatisches Feld. Zuletzt waren daher Arbeiten von
Christopher Kulendran Thomas zu sehen, der sich mit mobilen Formen des
entsprechend temporären Wohnens beschäftigt und sich dabei auf die
Erfahrungen der Volksgruppe der Tamilen bezieht, die vor dem Hintergrund
des jahrzehntelangen Konfliktes auf der Insel Sri Lanka immer wieder neue
Formen des Zusammenlebens erproben musste.
Auf Bianca Baldi wird im Sommer die Künstlergruppe „Corporation of people’s
situations“ (Cops) folgen, die sich dem semiöffentlichen Raum widmet,
passend auch zum dann stattfindenden G20-Gipfel, der die allgemeine
Bewegungsfreiheit und auch Bewegungskultur neu definieren und gewiss
einschränken wird.
Aber erst mal sind noch Bianca Baldis so raumfüllende wie
assoziationsreiche Arbeiten zu betrachten – und auch zu genießen. Und wer
am späteren Nachmittag, fast frühen Abend vorbei schaut, wenn es noch hell
ist, aber demnächst langsam dämmert, wird mit dem Wechsel von Tageslicht zu
langsam künstlichem Licht als Besucher noch mal ganz anders in Baldis so
ganz eigene mediale Welt geworfen.
25 Apr 2017
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Kunst
Hamburg
Südafrika
Deutscher Kolonialismus
Kunst
Südafrika
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