# taz.de -- Petition der Woche: Gegen Mobbing, für Aufmerksamkeit | |
> Harvey ist behindert und wird im Internet gehänselt. Seine berühmte | |
> Mutter Katie Price kämpft deshalb für ein neues Gesetz. | |
Bild: Fünffache Mutter: Katie Price | |
„Harvey Price, du fetter Spast!“, schreibt jemand auf Twitter. Ein anderer | |
stellt eine Fotomontage ins Netz, die den 14-Jährigen mit Joint im Mund | |
zeigt. Wer ein bisschen sucht, findet noch viel Schlimmeres, aber das ist | |
das, was Harvey Price’ Mutter Katie selbst weiterverbreitet. Katie Price | |
ist Medienprofi. Zweimal schon war sie im britischen Dschungelcamp. Wegen | |
ihrer vergrößerten Brüste zog sie Boulevardblätter an und sich für | |
Nacktmagazine aus. | |
Vor Kurzem hat hat das Ex-Playmate, inzwischen Mutter von fünf Kindern, | |
[1][eine Petition an das britische Parlament gestartet]. Es geht um ihren | |
ältesten Sohn. Er leidet unter dem Prader-Willi-Syndrom, hat deswegen | |
ständig Hunger. Außerdem ist er blind und Autist. Und Mobbingopfer. Katie | |
Price will, dass die Täter bestraft werden, aber Onlinemobbing steht in | |
keinem Gesetz. | |
Price fordert: „Macht speziell Onlinemobbing zur Straftat und legt eine | |
Datenbank mit den Tätern an!“ Über 200.000 Unterschriften hat sie | |
gesammelt. Schon die Hälfte hätte gereicht, damit sich das Parlament in | |
Westminster mit der Sache beschäftigen muss – vorausgesetzt, alle | |
Unterzeichner sind Briten oder wohnen in Großbritannien. Die Petition läuft | |
noch bis Ende September. | |
Erst im Februar hatte ein 19-Jähriger beleidigende Nachrichten über Harvey | |
Price verbreitet. Die Polizei nahm ihn fest. Der Vorwurf: Bedrohung. Er kam | |
auf Kaution frei. Wie in Großbritannien gibt es auch in Deutschland keinen | |
„Mobbing“-Tatbestand. | |
Stattdessen kann das Strafgesetzbuch greifen: Beleidigung, Nötigung, das | |
Recht am eigenen Bild. Die Krux am Cybermobbing: Die Täter agieren oft | |
anonym und die Server der Seiten, auf denen sie aktiv sind, stehen im | |
Ausland, wo die britische oder deutsche Rechtsprechung nicht gilt. Der | |
Polizeichef des County Essex, Stephen Kavanagh, sagte dem Guardian, man sei | |
außerdem von dem „ungeahnten Ausmaß an Onlinemobbing“ überfordert. Kavan… | |
leitet eine der größten britischen Polizeibehörden. | |
## 44 Prozent der Jugendlichen betroffen | |
Price geht es mit ihrem Aufruf nicht nur um ihren Sohn. Es gehe ihr um alle | |
Mobbingopfer, sagt sie. In sozialen Netzwerken wird ihr vorgeworfen, es | |
gehe ihr um sich selbst. Seit seiner Geburt 2002 habe sie ihren behinderten | |
Jungen in die Öffentlichkeit gezerrt und mit ihm Schlagzeilen generiert. | |
Tatsächlich finden sich zwischen all den Werbebeiträgen auf ihren Seiten in | |
den sozialen Medien dutzende Fotos und Videos, in denen sie ihren Sohn wie | |
eine Handtasche bei sich trägt. | |
Ist das noch der Reflex einer stolzen Mutter, der Kampf einer Aktivistin | |
oder das auf Kosten ihres Kindes ausgetragene Geschäft einer Unternehmerin? | |
Der Kampf gegen Onlinemobbing ist gut und richtig, aber es sieht oft so | |
aus, als verknüpfe Price diesen Kampf zu sehr mit der für sie wichtigen | |
Ressource Aufmerksamkeit. | |
Die Polizei warnt längst davor, Kinderfotos auf Facebook zu | |
veröffentlichen. Zu groß sei die Gefahr, das Material werde unkontrolliert | |
verbreitet oder an Kriminelle verkauft. Harvey Price kann diese Folgen mit | |
14 Jahren selbst schwer abschätzen, vielleicht wird er es aufgrund seiner | |
Behinderung nie können. Seine Mutter nimmt ihm die Entscheidung ab. | |
Sie brauche sich deswegen jetzt nicht wundern, wenn Leute „Witze“ über ihn | |
machten, auch das schreiben Menschen auf Twitter und Facebook. Das ist | |
natürlich Unsinn. Wer mit der Öffentlichkeit, die Price herstellt, die | |
verbale Gewalt gegen ihren Sohn rechtfertigt, macht genau das, was Price | |
vorgeworfen wird: ihren Sohn benutzen. Katie Price wehrt sich gegen die | |
Vorwürfe. Viele seien von Onlinemobbing betroffen. Laut einer Studie des | |
Onlineforums „No Bullying“ sollen 44 Prozent der britischen Jugendlichen | |
schon einmal Opfer von Mobbing gewesen sein. | |
Der Kampf von Price begann 2011, nachdem der Comedian Frankie Boyle Witze | |
über Harvey gemacht hatte. Das Fernsehen sendete die Dokumentation: „Katie | |
Price: Standing Up for Harvey“. Sie verlangte eine Entschuldigung. Außerdem | |
lieferte sie private Einblicke in ihr und vor allem das Leben ihres Sohnes, | |
zeigt ihn zum Beispiel beim Baden. Sie sagte: „Ich kann mich verteidigen, | |
aber Harvey kann es nicht.“ Und das ist der Knackpunkt. Harvey Price kann | |
sich nicht nur nicht gegen seine Mobber verteidigen, gegen seine Mutter | |
kann er es auch nicht. | |
23 Apr 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://petition.parliament.uk/petitions/190627 | |
## AUTOREN | |
Andreas Neukam | |
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