# taz.de -- Noise-Band Wolf Eyes auf Tour: Der Kosmos öffnet sich am Fließband | |
> „Undertow“ heißt das neue Album von Wolf Eyes. Mit ihm hält das Detroit… | |
> Trio die Fahne des brachialen US-Experimentallärms hoch. | |
Bild: Helden mit Sonnenbrillen: Wolf Eyes | |
Um sich der Kunst der Detroiter Band Wolf Eyes anzunähern, empfiehlt sich | |
ein kurzer Abstecher ins Jahr 2006. Damals veröffentlichte das Trio um | |
Sänger und Keyboarder Nate Young ein Album namens „Human Animal“, zum | |
Abschluss ist darauf ein 140 Sekunden langes Stück zu hören, das aus | |
Kreischen, Fiepen und Wummern besteht. Der Titel: „Noise Not Music“, | |
angelehnt an einen gleichnamigen Song der US-Crust-Band No Fucker. | |
„We Make Noise Not Music“, brüllt Young da also das Credo der Band heraus, | |
und wenn man sich heute, elf Jahre später mit den aktuellen Bandmitgliedern | |
– ebenjenem Nate Young, Saxofonist John Olson und Gitarrist „Crazy Jim“ | |
Baljo – unterhält, so erklären sie, dass sich in der Herangehensweise seit | |
Gründung der Band im Jahre 1996 wenig geändert hat: „Im Prinzip spielen wir | |
seit 20 Jahren den gleichen Song. Er ist eben immer noch nicht gut genug.“ | |
Die aus der Kleinstadt Chelsea nahe Detroit stammenden Wolf Eyes sind seit | |
gut zwei Dekaden manische Produzenten von Experimentalmusik, die meist auf | |
Synthesizer, Gitarren, Saxophon sowie (verzerrtem) Sprech- oder | |
Schreigesang basiert; die Musik-Datenbank Discogs listet insgesamt 288 | |
Veröffentlichungen mit Wolf-Eyes-Beteiligung. | |
Mit „Undertow“, ihrem gerade erschienenen neuen Album, haben sie den Song | |
ihres Lebens um fünf Stücke, verteilt auf 28 Minuten, verlängert. Es | |
erscheint auf Lower Floor Records, einem von der Band neu gegründeten | |
Label, das die vielen Kleinstlabels, die sie zuvor hatten, ersetzen soll. | |
## Rhode Island und Michigan | |
Im US-Noise hat es seit Mitte der 90er zwei Szenen gegeben, denen | |
international größere Aufmerksamkeit zuteil wurde: Die eine bildete sich in | |
Rhode Island rund um den Subkultur-/Kunst-Spot Fort Thunder und die dortige | |
School of Art and Design mit den Bands Lightning Bolt und Black Dice als | |
Speerspitzen. Und die andere eben in Detroit um die Labels Hanson Records | |
und American Tapes und Bands wie Wolf Eyes, den längst aufgelösten Nautical | |
Almanac und Hair Police. Beide Szenen sind bis heute eng miteinander | |
verbandelt. | |
Dass diese beiden Zirkel mit die spannendste Geräuschmusik des | |
angebrochenen Jahrhunderts zu verantworten haben, liegt daran, dass sie die | |
Ideen der musikalischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts – Free Jazz, | |
Impro, Experimental – aufgeschnappt und mit Einflüssen aus NoWave, Punk und | |
elektronischer Musik versehen haben. | |
Gleichzeitig haben sie der Experimentalmusik vom Akademischen ein bisschen | |
weggenommen und stattdessen etwas Spielerischeres hinzugegeben. | |
US-Musikautor Marc Masters schrieb über die Band Lighting Bolt einmal: | |
„They made Noise Punk again“. Für Wolf Eyes und ihr Umfeld gilt das | |
genauso. | |
Der Noise-Punk auf „Undertow“ kommt ziemlich schleppend und depressiv | |
daher, die Gitarren und Synthies siechen dahin, manchmal ächzt ein Saxophon | |
dazu, und Nate Young spricht mantraartig und wie im Tranquilizerdelirium | |
Sätze vor sich hin, etwa die einleitenden Worte: „I spent too much time | |
staring outside/ this place is never gonna change“. | |
Oder im abschließenden Stück „Thirteen“: „I never had a lot/ I never lo… | |
lot/ I just lied in this room (…)“. Man stelle sich vor, David Lynch drehe | |
einen Film, düsterer als alles, was er bislang gemacht hat, und man bekommt | |
einen Eindruck von der Atmosphäre dieser Musik. | |
## Jemand drückt auf „Record“ | |
Young, Olson und Baljo, die während des Skype-Interviews wild durcheinander | |
reden und die sich in der Öffentlichkeit nur in Notfällen ohne Sonnenbrille | |
zeigen, sehen Wolf Eyes auch als Resultat der Musikgeschichte Detroits. | |
John Olson sagt: „Der Sound von Michigan ist so tief in unserer DNA, wir | |
können und sollten gar nicht versuchen uns davon abzusetzen. Mark E. Smith | |
hat mal gesagt: 'The worst thing a band can do is sound like they are from | |
nowhere.’ Das trifft auch auf uns zu. Beim All Tomorrows Parties Festival | |
haben wir mal mit dem Line-Up Wolf Eyes, Negative Approach, MC 5 und | |
Stooges gespielt. Normalerweise kann man lange darauf warten, den prägenden | |
Sound einer Region so konzentriert auf einer Bühne serviert zu bekommen.“ | |
„Weird“ nennen sie die aktuelle Situation der Kulturszene im bekanntlich | |
herunter- und inzwischen wieder etwas herauf gewirtschafteten Detroit. Zum | |
einen seien Leute wie Jack White gekommen und hätten mit Third Man Records | |
einen Plattenladen und ein Presswerk aufgemacht; es gäbe Kreative, die der | |
Stadt wieder auf die Beine helfen wollten. | |
„Gentrifizierung“ schrien dann aber sofort die anderen – dabei sei diese | |
ziemlich sicher das geringste Problem Detroits, so Young. Und „weird“ sei | |
natürlich auch die Situation in den USA: Anlässlich der Inauguration Trumps | |
haben Wolf Eyes, die sich eigentlich nicht als politische Band verstehen, | |
rund 7.000 Dollar über Musik-Downloads eingesammelt, um das Geld linken | |
NGOs zukommen zu lassen. | |
Wolf Eyes selbst nennen ihre Musik heute – durchaus zutreffend – „Trip | |
Metal & Psychological Jazz“, den sie in Massenproduktion herstellten, | |
weshalb sie wiederum gut an den Geburtsort des Fordismus passten. | |
Wie so eine Fließbandproduktion im Proberaum aussieht? Olson: „Nate kommt | |
mit einem dumpfen Beat an, schnattert ein bisschen Text vor sich hin und | |
schmeißt den Gig-Simulator an, Crazy Jim fügt einen Riff und elektronisches | |
Psycho-Gebrabbel dazu, ich beiße in ein lackiertes PVC-Rohr, der Kosmos | |
öffnet sich, wir gleiten in ihn hinein. Jemand drückt auf ‚Record‘. Diesen | |
Prozess wiederholen wir, so oft es geht.“ | |
5 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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