# taz.de -- Aufgeschreckte Couchpotaoes: Die Kinder der Beznesser | |
> Zehn Jahre hat der Filmemacher Alex Pistra die Treffen mit seinem | |
> tunesischen Vater dokumentiert. Er hatte ihn seit früher Kindheit nicht | |
> mehr gesehen. | |
Bild: Der Regisseur Alex Pistra mit Schweizer Halbschwester und tunesischem Vat… | |
Alex Pistra ist Filmemacher und wurde 1979 in den Niederlanden geboren. Er | |
wuchs allein mit seiner Mutter Anneke auf. Seinen Vater Mohsen, den die | |
Mutter aus dem Urlaub in Tunesien mitbrachte, hat er seit seiner frühesten | |
Kindheit nicht mehr gesehen. Als der wieder in Tunesien lebende Vater | |
überraschend Kontakt sucht, fährt der inzwischen 25-jährige Alex nach | |
Tunis. | |
Dieser ersten Begegnung folgen weitere Besuche – 10 Jahre lang dokumentiert | |
Alex Pistra diese Begegnungen mit seiner tunesischen Unterschichtsfamilie. | |
Herausgekommen ist ein spannender Dokumentarfilm, voller Ambivalenzen. | |
„Bezness as usual“ wurde auf dem diesjährigen arabischen Filmfest in Berlin | |
gezeigt. | |
Es fing mit dem Tourismus der 60er Jahre an den Stränden des Südens an. Mit | |
dokumentarischen Szenen von den Anfängen dieses Badetourismus und mit | |
privaten Videoaufnahmen zeigt Pista das fröhliche Treiben im Bikini und | |
weißen Schlaghosen. Gut gebaute einheimische Männer mit poppiger Mähne | |
flirten mit braungebrannten Urlauberinnen. | |
## Ungleicher Liebeshandel | |
In seinem 1992 gedrehten Film „Bezness“ (Business) setzte sich der | |
tunesische Regisseur Nouri Bouzid kritisch mit der Prostitutionskarriere | |
eines jungen Tunesiers auseinander. Der Begriff Beznesser, der mit der | |
Liebe Geschäfte macht, hat sich durchgesetzt. Es ist das Unwort für | |
enttäuschte weibliche Gefühle im touristischen Liebeshandel geworden. | |
Während die Frauen den braunen Augen und der Aufmerksamkeit der Machos | |
erliegen, träumen diese vom besseren Leben auf der anderen Seite des | |
Mittelmeers. | |
Der ungleiche Liebeshandel ist allerdings keine Klamotte aus den 70er | |
Jahren: Er funktioniert bis heute dort, wo ökonomisch ungleiche Partner | |
sich paaren. Business as usual in einem globalen Markt mit seinen | |
strukturellen Ungleichheiten. Der Motor für die Entwicklung des | |
Sextourismus ist das Wohlstandsgefälle zwischen den Reisenden und den | |
Ländern, die sie bereisen. Erst erobern sie dein Herz, dann räumen sie dein | |
Konto ab: „5.000 deutsche Touristinnen fallen jedes Jahr auf Beznesser | |
rein“, schreibt Bild der Frau 2011 und schickt zwei Reporterinnen auf | |
verdeckte Recherche nach Kenia. | |
Alex fädelt sich ein in die neue Kleinfamilie seines Vaters in Tunis und | |
dessen Großfamilie in Sousse, die Kamera immer dabei. Er konfrontiert | |
seinen Vater, aber auch seine Onkel – allesamt einst erfolgreiche Beznesser | |
– mit ihrer Geschichte. Dabei findet er weitere vaterlos aufgewachsene | |
Cousinen dieser agilen Tunesier in Schweden und Finnland. Und er kommt mit | |
seiner Halbschwester Jasmin in Basel zusammen. Auch sie überredet er zur | |
Familienzusammenführung in Tunesien. | |
## Erschütternde Schlichtheit | |
Sie reagiert abwehrend und weniger emotional berührt als Alex. Der Vater | |
ist und bleibt für sie ein verantwortungsloser Macho, von dem die Mutter | |
befürchtete, er könnte ihr Kind entführen. Da hilft es auch nicht, dass er | |
zu ihrer Ankunft das Wohnzimmer rosa gestrichen und eine neue Couch gekauft | |
hat. Auch Alex zweifelt am Vater, seinem religiösen Gehabe. Doch dieser | |
entzieht sich der Kritik. Er hat nichts dazu zu sagen. | |
Der Film ist eine emotionale Gratwanderung, die in ihrer Offenheit, in | |
ihrer Ungeschöntheit wehtut. Das hilflos wirkende Bemühen des Vaters um | |
seine Kinder droht stets zu kippen, peinlich zu werden. Die gealterten | |
Onkel, die Strandadonisse von einst, erschüttern in ihrer Schlichtheit. Die | |
Erwartungen der tunesischen Familie gegenüber den neu aufgetauchten Kindern | |
aus Europa bleiben ungeklärt. Und wenn der Vater in alter Beznesser-Manier | |
von seinen Kindern, um die er sich nie gekümmert hat, finanzielle | |
Unterstützung fordert und dies mit Respekt begründet, bleibt nur | |
ungläubiges Staunen. | |
Trotz alledem hat zumindest Alex einen neuen Anker gefunden, auch wenn er | |
den Vater, der ihm immer gefehlt haben mag, durchaus kritisch sieht. Es ist | |
großes Kino, auch ohne die großen Gefühle und radikale Wahrheitssuche. | |
15 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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Schwerpunkt Berlinale | |
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