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# taz.de -- Verfassungsreferendum in der Türkei: Kurdische HDP ausgebremst
> Im Wahlkampf der Türkei ist die Oppositionspartei HDP kaum wahrnehmbar.
> Sie beklagt einen Medienboykott, Schlägertrupps und Polizeischikanen.
Bild: In den kurdischen Städten werden Wahlurnen in Polizeistationen platziert…
Istanbul taz | Der Wahlkampf für die Volksabstimmung über eine
Präsidialverfassung in der Türkei geht in die finale Phase. An jeder Ecke
in Istanbul fordern Transparente die Wähler auf, am 16. April für „Evet“,
also mit Ja für eine autoritäre Präsidialverfassung zu stimmen.
Wahlkampfbusse touren durch die Stadt und Präsident Recep Tayyip Erdoğan
tritt jeden Tag mindestens einmal auf.
Gelegentlich sieht man auch einen Stand der sozialdemokratischen
Oppositionspartei CHP, die für „Nein“ wirbt. Fast nie wahrzunehmen ist
jedoch die Stimme der zweitgrößten Oppositionspartei, der kurdisch-linken
HDP. Am Donnerstag verschickte HDP-Vizeparteichef Saruhan Oluç eine
Pressemitteilung über den Boykott der Medien gegen seine Partei.
„Während Erdoğan jeden Tag mindestens eine Stunde auf allen Fernsehkanälen
Wahlkampf macht“, schreibt er, „wurde der HDP im öffentlichen Rundfunk TRT
im gesamten März nicht eine Sekunde Sendezeit zugestanden“. Und in den 17
landesweiten Privatsendern wurde im gesamten März kein einziger
HDP-Politiker zu einer der vielen Talkshows eingeladen. „Noch nie“,
schreibt Oluç, „hat die Regierung die Medien so umfassend kontrolliert wie
heute.“
Der Medienboykott ist nur ein Problem der HDP im Wahlkampf. „Bauen wir doch
irgendwo mal einen Stand auf“, erzählt Ertuğrul Kürkçü, einer der
bekanntesten HDP-Abgeordneten, der noch nicht im Gefängnis ist, „werden wir
unweigerlich von Schlägern aus Erdoğans AKP und der ultranationalistischen
MHP angegriffen.“
Der knapp 70-jährige Kürkçü ist ein türkischer Linker, der vor allem
nichtkurdische Linke für die HDP mobilisieren soll. Er ist Abgeordneter der
Ägäis-Metropole Izmir. Dort ist es für die HDP etwas einfacher als im Rest
des Landes, weil dort der Großteil der Bevölkerung eher „Nein“ sagen wird.
Doch außerhalb der Ägäisküste kann sich die HDP kaum sehen lassen. Erdoğan
hat die Partei erfolgreich als Sammelbecken von Terrorsympathisanten
denunziert.
## Jetzt erst recht
„Anfang des Jahres, nachdem die AKP mit der MHP die Verfassungsänderungen
durch das Parlament gepeitscht hatte, haben wir überlegt, das Referendum zu
boykottieren. Schließlich sitzen 13 Abgeordnete von uns im Gefängnis und
Hunderte Parteimitglieder wurden in den letzten Monaten verhaftet. Doch die
Bevölkerung will abstimmen. Viele Menschen wollen an der Urne ‚Nein‘
sagen“, erzählt Kürkçü. Dass die beiden HDP-Vorsitzenden Selahattin
Demirtaş und Figen Yüksekdağ als politische Gefangene im Knast sitzen, sei
für die Kampagne der HDP auch nicht von Nachteil: „Die Menschen sind so
wütend über diese Ungerechtigkeit, dass sie nun erst recht wählen und mit
Nein stimmen wollen.“
In den kurdischen Hochburgen im Südosten könnte das zum Problem werden.
„Viele Wahlurnen werden in den kurdischen Städten aus angeblichen
Sicherheitsgründen in Polizeistationen aufgestellt werden“, sagt Kürkçü.
„Das schreckt viele Wähler ab, denn sie haben Angst, dort gleich verhaftet
zu werden. So will die AKP dafür sorgen, dass möglichst wenig HDP-Anhänger
wählen und nur konservative, religiöse Kurden zu den Urnen gehen.“
Tatsächlich ist die Angst vor Verhaftung berechtigt. Immer noch gilt der
Ausnahmezustand und immer noch werden fast täglich Menschen festgenommen.
Ihnen wird entweder vorgeworfen, Anhänger der Gülen-Bewegung oder
Sympathisanten der kurdischen PKK-Guerilla zu sein. Erst letzte Woche
wurden landesweit 700 angebliche PKK-Unterstützer verhaftet.
Auch Kürkçü gehört zu den stark gefährdeten Politikern. Er war von Ende
Januar bis Mitte März nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen im Ausland,
wollte dann aber zurück. „Als Abgeordneter kann man nicht einfach ins
Ausland desertieren“, sagt er, „dass würde unsere Wähler zu Recht
enttäuschen.“ Er sieht die Gefahr einer Verhaftung auch gelassen. Dabei saß
Kürkçü schon in den 70er und 80er Jahren als angeblicher Linksterrorist
fast 18 Jahre im Knast.
„Ich mache mir um mich wenig Sorgen“, sagt er. „Viel schlimmer ist es für
die demokratischen, kritischen jungen Leute. Die müssen nach einem Wahlsieg
Erdoğans wohl lange Jahre in einer Quasidiktatur leben.“
31 Mar 2017
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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Schwerpunkt Türkei
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HDP
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