# taz.de -- Soziales Engagement der Fußballklubs: Gibt ’n Bienchen | |
> Der VfL Wolfsburg darf sich als „nachhaltigster“ Klub Deutschlands | |
> fühlen. Ist die soziale und ökologische Verantwortung der Vereine ernst | |
> gemeint? | |
Bild: Summ, summ: St.-Pauli-Trainer Ewald Lienen (rechts) präsentiert mit eine… | |
Wenn der Name des VfL Wolfsburg fällt, denken auch die treusten Fans des | |
Vereins nicht unbedingt an nachhaltige Mode. Tatsächlich hat der | |
Bundesligist im Besitz von Volkswagen so etwas im Angebot. „Wölfe | |
RE//Designed“ heißt das Label, unter dem der VfL Trägertops und andere | |
Modeaccessoires verkauft, die aus Trikotrestbeständen gefertigt werden. | |
Modedesignstudentinnen der Hochschule Hannover haben die Teile dieser | |
„Upcyclingkollektion“ entworfen, und für die Fertigung zuständig waren | |
Gehandicapte, die in einer Werkstatt der gemeinnützigen Lebenshilfe | |
Wolfsburg arbeiten. | |
Verantwortlich für diese Aktion, deren Erlöse an die Lebenshilfe fließen, | |
ist die Abteilung Corporate Social Responsibility (CSR). 1,3 Millionen Euro | |
stehen ihr pro Jahr zur Verfügung – ein „langfristiges Investment“, wie … | |
Leiter Nico Briskorn sagt. Die langfristigen Investitionen haben unter | |
anderem dazu beigetragen, dass sich der VfL als „nachhaltigster“ Klub in | |
Deutschland fühlen darf: Die Prüfgesellschaft Dekra hat ihm Anfang dieses | |
Jahres das Label „sustainclub“ verliehen, das auf der Auswertung von 180 | |
Kriterien aus den Bereichen Umwelt und Soziales basiert. | |
Der Berliner Journalist Ronny Blaschke hat ein Buch mit dem Titel | |
[1][„Gesellschaftsspielchen. Fußball zwischen Hilfsbereitschaft und | |
Heuchelei“] herausgebracht. Darin befasst er sich mit den sozialen | |
Aktivitäten der Branche. Er hält die Projekte der Wolfsburger für | |
„Konzernmarketing“. | |
Das würde Abteilungsleiter Briskorn nicht so formulieren, andererseits | |
bestätigt er Blaschke teilweise, indem er sagt, die CSR-Aktivitäten sollten | |
„dazu beitragen, die Identifikation der Fans mit dem Verein zu steigern“ – | |
was wiederum dazu beitrage, „dass sie bereit sind, mehr für den Verein | |
auszugeben, etwa im Bereich Merchandising. Das Geld, das ich dadurch | |
einnehme, kann ich wieder in den Fußball investieren.“ | |
Vor rund einem halben Jahrzehnt haben die Profifußballvereine begonnen, | |
ihre Aktivitäten im Bereich CSR zu institutionalisieren. Doch in welchen | |
Fällen leisten sie wirklich gesellschaftliche Hilfe und in welchen | |
betreiben sie bloß Konzernmarketing? | |
## Gesellschaft und Umwelt | |
Unter CSR versteht man „ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage | |
dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre | |
Unternehmenstätigkeit zu integrieren“. Das hat die EU-Kommission 2001 in | |
einem „Grünbuch“ festgelegt; im Oktober 2011 hat sie die Definition noch | |
einmal überarbeitet. Die „soziale Verantwortung“ betreffe Maßnahmen, „d… | |
die Unternehmen über ihre rechtlichen Verpflichtungen gegenüber | |
Gesellschaft und Umwelt hinaus ergreifen“. | |
Die entsprechenden Maßnahmen hiesiger Profivereine sind vielfältig. Der VfL | |
Wolfsburg etwa hat im November, auch mit Hilfe von EU-Fördermitteln, das | |
erste Turnier im Walking Football ausgerichtet. Bei dieser Fußballvariante | |
ist Laufen verboten. Die CSR-Abteilung von Werder Bremen wiederum hat als | |
Sponsor eine genossenschaftliche Molkerei aus Ostfriesland akquiriert, | |
deren Mitglieder nicht im Stadion werben wollen, sondern lieber in | |
Partnerschulen des Vereins über gesunde Ernährung referieren. | |
Und der FC St. Pauli hat als Reaktion auf das Bienensterben 2016 | |
Bienenvölker im Stadion angesiedelt und das dazugehörige Produkt | |
Ewald-Bienen-Honig getauft, in Anlehnung an den sehr beliebten Trainer | |
Ewald Lienen. | |
Die Geschichte mit den Bienen sei in der vergangenen Saison das | |
„reichweitenstärkste Thema“ für den Verein überhaupt gewesen, sagt | |
Christian Prüß, der Leiter der CSR-Abteilung beim Hamburger Zweitligisten. | |
„Die New York Times und auch Tageszeitungen aus Bangladesch haben darüber | |
berichtet.“ Der FC St. Pauli hat im Herbst 2015 die Satzung geändert, | |
seitdem ist dort festgeschrieben, dass der Verein auch „mildtätige Zwecke“ | |
verfolgt, vor allem „durch die Zusammenarbeit mit Schulen und sozialen | |
Projekten im Stadtteil St. Pauli“. | |
## Musikschule für sozial benachteiligte Kinder | |
Im September 2016 hat man im Stadion eine Musikschule eingerichtet, in der | |
sozial schwache Kinder aus dem Stadtteil professionellen Unterricht nehmen | |
können. Das Geld dafür kommt von einer Jeansfirma. „Jeder Verein muss eine | |
CSR-Strategie entwickeln, die zu ihm und zu seiner Geschichte passt“, sagt | |
Sebastian Buntkirchen, der CSR-Verantwortliche von Schalke 04. „Die Ideen | |
anderer Klubs zu adaptieren, ist ein falscher Ansatz.“ | |
An ihre Grenzen stoßen CSR-Konzepte beim Merchandising. Kann es fair | |
produzierte Trikots geben? Die großen Konzerne Adidas, Nike und Puma lassen | |
in Niedriglohnländern produzieren. Von dem Preis, den in Deutschland ein | |
Fußballfan für ein Hemd, Schuhe oder Bälle zahlt, bekomme der Arbeiter vor | |
Ort maximal 2 Prozent, sagt Maik Pflaum von der Christlichen Initiative | |
Romero, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in Mittelamerika und | |
Südostasien einsetzt. | |
Von ihren Ausrüstern sind die Klubs in starkem Maße abhängig. Der FC Bayern | |
erhält einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag von Adidas. Der | |
Sportartikelhersteller ist zudem an der FC Bayern AG beteiligt. Dass | |
Vereine in Sachen fairer Produktion keinen Einfluss auf ihre Ausrüster | |
ausüben können, sei eine „antiquierte“ Positionen, sagt Sebastian | |
Buntkirchen. In „kleinen Schritten“ lasse sich durchaus etwas bewegen. Was | |
sich im Detail bewegen lässt, sagt er aber nicht. | |
Vielleicht gelingen dem FC St. Pauli die ersten Schritte. Die | |
Mitgliederversammlung hat im Herbst beschlossen, eine Arbeitsgruppe | |
einzusetzen, die darauf hinarbeiten soll, dass der Verein fair produzierte | |
Textilien anbieten kann. | |
## Eine Forderung der Blair-Regierung | |
Einen viel größeren Umfang hat das gesellschaftliche Engagement der | |
Fußballbranche in England – weil die Vereine dort historisch stärker in | |
ihren Communitys verwurzelt sind und weil, wie Buchautor Blaschke sagt, die | |
Regierung Blair das einst eingefordert hat. | |
Die Stiftungen der Premier-League-Vereine, die finanziell unabhängig sind | |
von ihren Namensgebern, bieten unter anderem Sport- und | |
Gesundheitsprogramme verschiedener Art an – der FC Southampton etwa für | |
über 65-Jährige, die keine familiären Bindungen haben. Der FC Everton, die | |
Nummer zwei in Liverpool, hat einen CSR-Ableger namens Everton in the | |
Community. Der gründete 2012 eine eigene Schule, die erste staatlich | |
genehmigte dieser Art. | |
Auch ein international weniger bekannter Verein wie West Bromwich Albion, | |
derzeit der dominierende Klub in der Region Birmingham, betreibt mit seiner | |
Stiftung eine eigene Schule, die 14 Mitarbeiter beschäftigt. Personell ganz | |
vorn ist die Manchester United Foundation, hier sind 55 Festangestellte im | |
Einsatz. | |
„Wenn man das sieht, sollte einem klar sein, dass es klug ist, den | |
CSR-Bereich auszubauen“, sagt Sebastian Buntkirchen. Die Abteilung, die er | |
bei Schalke leitet, ist mit 7 Vollzeit- und 2 Halbtagskräften eine der | |
größten im deutschen Fußball. Im Organigramm des Vereins ist Buntkirchen | |
auf gleicher Höhe angesiedelt wie Sportdirektor Axel Schuster. | |
Auffällig ist, dass drei deutsche Vereine, deren Hauptsponsoren aus | |
unterschiedlichen Gründen anrüchig sind, sich relativ stark im Bereich CSR | |
engagieren: der FC Schalke (Gazprom), Wolfsburg (VW) und der vom | |
Geflügelkonzern Wiesenhof unterstützte SV Werder. Das wirkt wie | |
Imagepolitur, doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen: Die wirtschaftlich | |
vergleichsweise schwachen Bremer leisten sich mit 10 Mitarbeitern die | |
größte CSR-Abteilung im deutschen Fußball und geben dafür jährlich 1 | |
Million Euro aus. Gleichzeitig gibt der Klub, wie im Vorjahr herauskam, | |
aber auch 6 Millionen Euro für Spielerberater aus. | |
## Platz fünf für die Bundesliga | |
Es gibt in Deutschland nur wenige Profis in Sachen Nachhaltigkeitsfeld, | |
stellt die [2][Imug Beratungsgesellschaft] aus Hannover in einer Studie zur | |
[3][„Nachhaltigkeit im Profifußball“ (pdf-Datei)] fest. Die Schweizer Firma | |
Schwery Consulting hat 2016 bereits zum sechsten Mal ihr | |
[4][„Responsiball Ranking“] vorgelegt, mit dem sie das gesellschaftliche | |
Verantwortungsbewusstsein 18 ausgewählter internationaler Fußballligen | |
bewertet. Die Premier League landet hier, erstaunlicherweise, nur auf Platz | |
drei. Ganz vorn: die niederländische Eredivisie und die erste dänische | |
Liga. Die Bundesliga belegt Platz fünf. | |
Zusätzlicher Beratungsbedarf ergibt sich, weil sich ab dem Geschäftsjahr | |
2017 die Gesetzeslage ändert. Für „große Unternehmen von öffentlichem | |
Interesse“, wie es in der EU-Richtlinie heißt, gilt eine | |
„Berichterstattungspflicht zu nichtfinanziellen Informationen“. Dies | |
betrifft „mindestens Angaben zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen, | |
zur Achtung der Menschenrechte und zur Bekämpfung von Korruption und | |
Bestechung“. 2014 hat das EU-Parlament dies beschlossen, nun muss es | |
umgesetzt werden. | |
Weiterhin intransparent bleiben wird indes das Wirken der zahlreichen | |
Fußballstiftungen, die in hier zu Lande aktiv sind. Als die [5][Stiftung | |
Warentest] 2014 für einen Artikel unter dem Motto „So spenden Sie mit Herz | |
und Verstand“ Stiftungen testen wollte, die mit prominenten Namen werben, | |
lehnten es 18 Organisationen ab, an der Befragung teilzunehmen – 6 davon | |
mit Fußballbezug, darunter die Robert-Enke-Stiftung und die DFB-Stiftung | |
Egidius Braun. Stiftungen müssen in Deutschland keine Rechenschaft | |
gegenüber der Öffentlichkeit ablegen. | |
28 Mar 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.werkstatt-verlag.de/?q=node%2F865 | |
[2] http://www.imug.de | |
[3] https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&a… | |
[4] http://schwery.com/responsiball-ranking-2016/ | |
[5] https://www.test.de/Spendenorganisationen-von-Prominenten-So-spenden-Sie-mi… | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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