Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tagebuch aus der IS-Hochburg Rakka: Wenn Enthauptungen Alltag sind
> Wer aus Rakka berichtet, riskiert die Todesstrafe. Ein Syrer tut es
> trotzdem. Er beschreibt die Angst, in der er lebt, seit der IS die Stadt
> besetzt hat.
Bild: So wie im Jahr 2009 sieht die Innenstadt von Rakka bestimmt nicht mehr aus
Berlin taz | „Dieses Mal wird, Gott sei Dank, nur jemand ausgepeitscht“,
schreibt Samer. Er ist erleichtert, dass der sogenannte IS ihn nicht
zwingt, einer Enthauptung zuzuschauen. Denn in Rakka müssen Passant*innen
bei jeder öffentlichen Bestrafung stehen bleiben und hinsehen, sonst werden
sie selbst bestraft.
Bewohner*innen dürfen die syrische Stadt weder verlassen noch mit
westlichen Medien sprechen. Samer hat miterlebt, dass jemand hingerichtet
wurde, weil er mit „ausländischen Parteien“ gesprochen hatte. Trotzdem hat
Samer, der eigentlich anders heißt, für den britischen Sender BBC Tagebuch
geführt. Der junge Mann hat sein Leben riskiert, damit die Welt von den
Grausamkeiten des IS erfährt.
Im Tagebuch erzählt er, was in seiner Heimatstadt passiert ist, seit der IS
sie 2013 eingenommen und zum Hauptquartier erklärt hat. Er beschreibt, wie
Entsetzen und Repression die Menschen in seiner Nachbarschaft zermürben.
Zwar berichtet der Autor eher sachlich von seinen Eindrücken. Aber die sind
so grauenhaft, dass sie selbst komplett unbeteiligte Leser*innen
gleichermaßen bedrückt und schockieren. Die behördenartig organisierten
IS-Milizen hängen nicht nur abgetrennte Köpfe an die Straßenlaternen,
sondern erheben auch willkürlich hohe Steuern und halten einen für alle
verpflichtenden Scharia-Kurs ab.
## Verschlüsselt in ein Drittland geschmuggelt
Der britische BBC-Reporter Mike Thomson sagt, er habe auf verschiedenen
Kanälen vergeblich versucht, „wenigstens eine Idee davon zu bekommen, wie
das Leben in Rakka ist“. Nur „unter großen Schwierigkeiten“ habe er Samer
gefunden, [1][sagt Thomson einer Kollegin]. Über Online-Kontakte erfuhr er
schließlich von einer kleinen Untergrundorganisation namens Al-Sharqiya 24.
Deren Widerstandskämpfer*innen sprachen Samer an.
Helfer*innen schmuggelten die „Raqqa Diaries“ verschlüsselt in ein
Drittland, von dem aus sie zu Thomson geschickt wurden. Die englische
Übersetzung erscheint am 9. März als [2][Buch]. Vorab haben Guardian und
BBC einige Auszüge veröffentlicht. Der Sender hat sie als [3][Video-Serie]
produziert. Ein Künstler hat dafür Tagebuchausschnitte illustriert, die als
Zeichentrickfilm ablaufen, während die Texte vorgelesen werden.
Die Bilder darin sind zurückhaltend gezeichnet. Als Samer einen Freund
gekreuzigt auffindet, ist nur die Hand der Leiche zu sehen. Mehrmals
flimmert einfach der Bildschirm rot, wenn Gewalt beschrieben wird. Trotzdem
beginnt jeder Clip mit einer Warnung vor den brutalen Inhalten des Textes.
## „Die Kampfflieger kreisen über uns“
Im ersten Video erzählt der Autor von dem Tag, an dem das Regime beim einem
Luftangriff seinen Vater tötete und seine Mutter verletzte. Über Samers
Verlobte gibt es kein Video. Sie wurde gezwungen, einen IS-Kämpfer zu
heiraten. Samer hat sie nie wieder gesehen.
„Ist denn der Terrorismus hier unten nicht genug?“, schreibt er über die
Bombardements durch russische Kampfflieger. Russlands Verbrechen gegen die
Menschlichkeit sind allerdings nicht der Grund, aus dem Samer inzwischen
geflohen ist. Der Grund ist, dass der IS dem Netzwerk von
Widerstandskämpfern auf die Spur gekommen ist, das Kontakt zwischen Samer
und Thomson hergestellt hatte.
Das Tagebuch endet im Frühjahr 2016. Die letzten Seiten hat Samer nicht
mehr in Rakka geschrieben, sondern in einem Flüchtlingslager im Norden des
Landes, an der Grenze zur Türkei. „Es gibt nicht genug Essen und
Medikamente im Lager; die Kampfflieger des Regimes kreisen über uns“,
[4][schreibt er dem Guardian]. Von vielen Leuten vor Ort höre er, „sie
wünschten, sie wären schon tot“.
9 Mar 2017
## LINKS
[1] http://www.bbc.co.uk/programmes/p04vx83f
[2] https://bookshop.theguardian.com/raqqa-diaries.html
[3] http://www.bbc.co.uk/programmes/p03l511j
[4] https://www.theguardian.com/books/2017/feb/26/the-raqqa-diaries-life-under-…
## AUTOREN
Jana Anzlinger
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
„Islamischer Staat“ (IS)
BBC
Al-Rakka
Kabul
Europäischer Gerichtshof
Schwerpunkt Syrien
Russland
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Schwerpunkt Flucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umkämpfte Gebiete in Syrien: IS schürt Sorge um Euphrat-Damm
Der Euphrat-Damm ist umkämpft. Bricht er, droht eine Katastrophe. Wäre eine
militärisch in die Ecke gedrängte Terrormiliz IS zur Sabotage fähig?
Anschlag in Afghanistan: Tote bei Angriff auf Kabuler Klinik
Nach einem Angriff der Terrormiliz IS wurde ein Militärkrankenhaus geräumt.
Es wurden sehr viel mehr Menschen getötet, als zunächst angenommen.
EuGH-Urteil zu humanitären Visa: Kein Recht auf legale Einreise
Haben Flüchtlinge aus Kriegsländern das Recht auf ein humanitäres Visum für
die EU? Der EuGH hat nun eine Antwort gegeben.
Syrien-Studie von Save the Children: Kinder haben Kriegsschäden
Sprachstörungen, Bettnässen, Alpträume: Der Krieg in Syrien hat einer
Studie zufolge bei einem Großteil der Kinder schwere psychische Schäden
hinterlassen.
UN-Bericht syrische Kriegsverbrechen: Assads Truppen wüteten in Aleppo
Syrische und russische Luftangriffe sollen hunderte Zivilisten getötet
haben. Die Stadt sei durch Streumunition und Chlorgasbomben verseucht.
Attentat eines Ex-Guantanamo-Häftlings: Selbstmordanschlag im Irak
Ein zum Islam konvertierter Brite landet in Guantánamo. Die britische
Regierung sorgt für seine Freilassung, doch er wird zum Terroristen.
Flüchtlinge im Kampf gegen Extremisten: „Beste Leute!“
Einige Flüchtlinge aus Syren engagieren sich schon seit Jahren gegen
Extremisten. Nur wahrgenommen wurden sie bisher nicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.