# taz.de -- Chinesische Fußballakademie: Herr Xi hat einen Traum | |
> China möchte im Profifußball den großen Sprung nach vorn schaffen. Die | |
> Weltmeister von morgen versucht man im Internat zu formen. Ein Besuch. | |
Bild: „Hopp, hopp“, ruft Hilfslehrerin Huang. „Die warme Milch wartet im … | |
QINGYUAN taz | Noch ist es düster in den Aufgängen des Prachtbaus, der mit | |
seinen Türmchen im neogotischen Stil an Schloss Hogwarts aus den „Harry | |
Potter“-Filmen erinnert. Es ist frühmorgens, 6.25 Uhr. In fünf Minuten | |
werden die Lautsprecher ertönen. Huang Jinmao steht schon bereit. Die | |
Hilfslehrerin geht von Zimmer zu Zimmer, schaltet die Neonleuchten ein und | |
weckt die Schüler. | |
„Ich achte darauf, dass sie sich das Gesicht waschen, die Zähne putzen und | |
ihre Betten machen“, sagt sie mit leiser Stimme. Ihre Aufgabe sei es, dass | |
die noch Schlafenden pünktlich zum Frühstück erscheinen und hinterher dann | |
zum Unterricht und Training. Kaum ist Huang, 40, fertig mit ihrer | |
Jobbeschreibung, geht es auch schon los. „Guten Morgen, Zeit zum | |
Aufstehen“, erschallt es in fünf verschiedenen Sprachen aus den | |
scheppernden Lautsprechern. So beginnt der Tag an der Evergrande Akademie, | |
der größten Fußballakademie der Welt. | |
Zhang Le blickt verschlafen auf. „Meine Güte“, sagt er und reibt sich die | |
Augen. Ein Frühaufsteher scheint der Zwölfjährige nicht zu sein. Er teilt | |
sich ein Zimmer mit fünf Gleichaltrigen – junge Fußballer wie er. Aus allen | |
Teilen des Landes sind sie, einer aus der Stadt Kashgar in der muslimisch | |
besiedelten Nordwestprovinz Xinjiang, ein weiterer aus Tibet. Zhang Le ist | |
in einer kleinen Stadt in Sichuan geboren, seine Familie wohnt inzwischen | |
in der Nähe von Guangzhou, nicht weit von der Fußballakademie entfernt. | |
Im Zimmer riecht es nach verschwitzten Turnschuhen. Er zieht sich ein | |
rot-gelbes Trikot über, die Farben von Guangzhou Evergrande, seit Jahren | |
der Serienmeister der chinesischen Super League. Viel Zeit bleibt den Jungs | |
nicht. „Hopp, hopp“, ruft Hilfslehrerin Huang. „Die warme Milch wartet im | |
Frühstücksraum auf euch.“ | |
## Mehr als 50 Fußballplätze | |
Hengda wird die Schule genannt – die chinesische Bezeichnung für | |
Evergrande. Das Anwesen befindet sich rund zwei Autostunden entfernt von | |
der südchinesischen Zehnmillionenmetropole Guangzhou inmitten eines dicht | |
bewachsenen Gebirges. Das Gelände ist gigantisch. Für die mehr als 50 | |
Fußballplätze und den Campus haben die Bauherren ganze Hügel abtragen | |
lassen. Der Campus selbst wird mit großen Lampen beleuchtet, die Fußbällen | |
nachempfunden sind. Umgerechnet mehr als 160 Millionen Euro hat der Verein | |
Guangzhou Evergrande in das Anwesen investiert. 2.800 Schüler zwischen | |
sieben und 18 Jahren sollen hier kicken und grätschen lernen. | |
Die Eltern lassen sich den Besuch ihrer Kinder auf der Fußballakademie | |
einiges kosten. Umgerechnet zwischen 5.000 und 9.000 Euro kostet ein | |
Schuljahr. Wer gut ist, kann mit einem Stipendium rechnen. Zhang Le hat | |
reiche Eltern. Sein Vater besitzt eine Fabrik im nahe gelegenen Dongguan. | |
Sein älterer Bruder studiert bereits in England. „Früher habe ich immer nur | |
mit Freunden auf dem Schulhof gespielt“, erzählt er. Dann habe er im | |
Fernsehen eine Werbung für die Fußballschule gesehen. „Seitdem wollte ich | |
hierhin – und ich habe es geschafft.“ | |
„Wir sind die zweitstärkste Wirtschaftsnation der Welt, aber im Fußball | |
sind wir schwach“, bemängelt Schulleiter Liu Jingnan. „Das passt nicht | |
zusammen.“ Das Büro des 61-Jährigen befindet sich im prächtigen | |
Hauptgebäude der Akademie. Der Schulleiter verweist darauf, dass es die | |
Fußballakademie schon gegeben hat, bevor Staatspräsident Xi Jinping die | |
Devise ausgab, den chinesischen Fußball auf Weltniveau zu trimmen. Vor zwei | |
Jahren war das. Die Evergrande-Fußballakademie gibt es seit fünf Jahren. | |
Liu gibt aber zu, die Worte des Staatspräsidenten hätten sie in der Schule | |
zusätzlich angespornt. „Unsere Schule ist der Schlüssel zum Traum unseres | |
Präsidenten Xi Jinping“, sagt er stolz. | |
Der Staatslenker will, dass Chinas Auswahl bis spätestens 2025 den Pokal | |
einer Fußballweltmeisterschaft nach Hause bringt. Kein leichtes Unterfangen | |
für ein Land, dass es trotz der 1,3 Milliarden Einwohner und Millionen | |
begeisterter Fußballfans bislang nicht geschafft hat, auch nur ansatzweise | |
einen vorderen Platz der Fifa-Weltrangliste zu besetzen. Derzeit belegt | |
Chinas Nationalmannschaft gerade einmal Platz 81, nur knapp vor Sambia und | |
den Färöern. Erst ein einziges Mal schafften es die Chinesen überhaupt, | |
sich für eine WM zu qualifizieren. Das war 2002. Nach 0:9 Toren in der | |
Vorrunde ging es nach Hause. | |
## Woanders sind Fußballplätze rar | |
Das Problem: Trotz der Begeisterung ist Fußball kaum im Alltag verankert. | |
Straßenkicker sieht man auf Chinas Straßen selten, Vereine gibt es, wenn | |
überhaupt, nur in den Großstädten. Fußballplätze sind rar. Gerade einmal | |
rund 6.000 aktive Fußballer gibt es Schätzungen zufolge in der | |
Volksrepublik. | |
Das soll sich rasch ändern. Die chinesische Führung hat umfangreiche Pläne | |
erarbeitet. Bis 2020 sollen landesweit 60.000 neue Fußballplätze entstehen. | |
Fußball soll zudem an sämtlichen Mittelschulen zum Unterricht gehören. 50 | |
Millionen Fußballer sollen künftig in den Amateurliegen spielen. Die Besten | |
von ihnen trainieren an speziellen Akademien. So wie an der | |
Evergrande-Akademie, dem Vorreiter. | |
Für Hoffnungsträger Zhang Le beginnt der Schulunterricht zunächst einmal so | |
wie in den meisten Schulen in China auch. 30 Schüler sitzen an ihren | |
Tischen. Die Englischlehrerin hat Zhang Le die verantwortungsvolle Aufgabe | |
übertragen, den Laptop auf dem Lehrerpult zu bedienen. Ein Beamer wirft das | |
Programm auf die Leinwand. „I am taller than a dinosaur“, ertönt eine | |
Stimme aus dem Gerät. Die Schüler sprechen den Satz brav nach. Lernen durch | |
stures Wiederholen – das macht chinesischen Schulunterricht aus. | |
Doch schon die nächste Schulstunde ist eine völlig andere. Trainer | |
scheuchen die Schüler über den Fußballplatz. Dribbeltraining in | |
Kleingruppen steht auf dem Programm, dann Passspiel. Zhang Le soll sich | |
zunächst allein auf den Ball konzentrieren, sich zweimal rechts drehen, | |
einmal links und nach schneller Passkombination aufs Tor schießen. Es | |
klappt. Später sagt Coach Artieda, es gebe vielleicht drei oder vier | |
herausragende Spieler pro Jahrgang. Zhang Le sei einer von ihnen. „Aber er | |
ist erst zwölf, wir müssen abwarten.“ Erst wenn die Jungs 15 oder 16 seien, | |
ließe sich einschätzen, welchen Weg sie einschlagen würden – „ob es reic… | |
zum Profi in China oder in Europa“. | |
## 160 Trainer | |
Rund 160 Trainer gibt es an der Evergrande-Fußballakademie, viele aus dem | |
Ausland. 20 von ihnen kommen aus Spanien. Die Real-Madrid-Stiftung hat | |
einen Vertrag mit der Schule geschlossen und die Trainer nach Südchina | |
geschickt. Artieda ist einer von ihnen. Er ist 41 Jahre alt und kommt aus | |
Pamplona. Seit knapp drei Jahren arbeitet er an der Akademie. Die Schüler | |
seien fleißig, robust und hart im Nehmen, sagt er. Leider seien Gehorsam | |
und stures Wiederholen tief verwurzelt in der chinesischen Lernkultur, | |
kritisiert der Trainer. Doch bei Fußball gehe es um Freiheit, Kreativität | |
und Technik. „Sie sollen selbst denken und entscheiden, nicht stur | |
Anweisungen folgen. Sie sollen Spaß beim Spielen haben.“ | |
Hauptfinanzier der Akademie ist der Klub Evergrande Guangzhou. Waren die | |
chinesischen Klubs bis vor einigen Jahren allesamt noch tief in diverse | |
Korruptionsskandale verwickelt, scheint Geld für sie inzwischen kein | |
Problem mehr zu sein. Allein die Fernsehrechte für den Zeitraum bis 2020 | |
haben der chinesischen Superliga mehr als eine Milliarde Euro in die Kassen | |
gespült. | |
Entsprechend hoch sind die Ablösesummen, die Chinas Fußballklubs für | |
ausländische Profis hinlegen. Im vergangenen Jahr haben chinesische Klubs | |
den Transferrekord gleich fünfmal gebrochen und damit den weltweiten | |
Transfermarkt komplett durcheinandergebracht. Für den Transfer des | |
brasilianischen Mittelfeldstars Oscar von FC Chelsea London etwa zahlte der | |
Verein Shanghai SIPG umgerechnet rund 60 Millionen Euro. Die Spitzenspieler | |
sollen den jungen chinesischen Fußballern Ansporn sein, so der Plan. | |
Und auch Trainer mit Weltklasseniveau werden in China angeheuert. Fabio | |
Cannavaro arbeitet als Trainer bei Tianjin, Felix Magath bei Shandong | |
Luneng. Luiz Felipe Scolari trainert Guangzhou Evergrande. Der ehemalige | |
Trainer der TSG Hoffenheim und gebürtige Mannheimer Marco Pezzaiuoli | |
coacht seit zwei Jahren die drei besten Jugendteams von Evergrande. Doch | |
angesichts dieser horrenden Summen ist nun auch einigen Sportfunktionären | |
mulmig geworden. Der Verband hat Anfang des Jahres vor „sinnlosem | |
Geldverbrennen“ gewarnt und verordnet, dass in der Super League künftig nur | |
noch drei statt bislang fünf ausländische Spieler pro Verein auf dem Platz | |
stehen dürfen. | |
Trotz dieser gigantischen Investitionen – für den spanischen Trainer | |
Artieda ist Chinas Weg hin zu einer Fußballnation noch weit. „Das Problem: | |
Wir haben nicht 2.000 Spieler von der Sorte Zhang Le, sondern gerade einmal | |
drei oder vier“, sagt er. In Deutschland, England oder Spanien gebe es in | |
der Altersklasse Tausende auf diesem Niveau. Auch Schulleiter Liu macht | |
sich keine großen Illusionen. Wenn aus fünf Prozent von ihnen Profis | |
werden, könne er sich glücklich schätzen, sagt er. | |
Nach Trainingsende sitzt Zhang Le zufrieden auf der Bank. „Ich möchte | |
Nationalspieler werden und bei einer Weltmeisterschaft spielen“, sagt er, | |
„und dann den WM-Titel gewinnen.“ | |
18 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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