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# taz.de -- Ehemaliges Flüchtlingslager in Tunesien: Kein Boot nach Europa
> Nicht alle, die in Choucha gestrandet sind, zieht es nach Europa – aber
> ein ordentliches Asylverfahren wollen sie schon. Nur gibt es das nicht.
Bild: Einige wenige Migranten sind in der ehemaligen Zeltstadt Choucha zurückg…
Choucha taz | „Warum setzt ihr euch nicht wie die anderen in ein Boot nach
Europa?“, hat ihn erst kürzlich wieder ein Kioskbesitzer gefragt. Usman
Bagura ist empört: „Ich habe legal in Libyen gearbeitet und bin anerkannter
Kriegsflüchtling“, sagt er. „Was soll ich mein Leben auf dem Mittelmeer
aufs Spiel setzen und dann als Illegaler in Europa leben?“
Der 30-jährige Bagura hat in der Zeitung gelesen, dass Europa in Tunesien
Asylcenter bauen will, und hofft nun auf eine neue Chance. Aber noch harrt
er – wie 57 andere – im ehemaligen Flüchtlingslager Choucha aus, wenige
Kilometer außerhalb des tunesischen Städtchens Ben Gardane, fast direkt am
Mittelmeer.
Hier, im Niemandsland nahe der libyschen Grenze, ist es so öde, als reichte
die Sahara bis in die Zelte, der ständige Wind treibt den Sand vor sich
her. Fast alle Unterkünfte stehen leer, seitdem das Flüchtlingswerk UNHCR
das Camp auf Druck der tunesischen Regierung bereits Ende 2013 offiziell
geschlossen hatte.
Bis zu 200.000 Menschen drängten sich einst in Choucha. Jetzt sind nur noch
fünf Flüchtlingshelfer geblieben, und der jordanische Büroleiter der
Vereinten Nationen im nahen Zarzis, Mohamed Bargati, weigert sich, den
Flüchtlingsstatus von Usman Bagura und den anderen 57 zu verlängern. Sie
kämen aus ganz normalen afrikanischen Ländern, sagt er, und das tunesische
Parlament werde ein neues Asylgesetz wohl nicht vor 2018 verabschieden.
## Bürger afrikanischer Staaten blieben zurück
Usman Bagura aus Liberia ist einer von über 200.000 Gastarbeitern, die das
UN-Flüchtlingswerk im Februar 2011 aus Libyen evakuierten, als dort die
Bürger gegen den Diktator Muammar Gaddafi auf die Straße gingen. „Libyen
war bei Gastarbeitern aus Westafrika und den Nachbarländern wegen der guten
Bezahlung sehr beliebt, weiter nach Europa wollte damals noch niemand“,
sagt der ghanaische Exoffizier und Campbewohner Margai Hawkins.
Als aus dem Protest jedoch ein blutiger Krieg wurde, begannen asiatische
Regierungen damit, ihre Landsleute aus Choucha über die zwei Autostunden
entfernte Ferieninsel Djerba zu evakuieren. Die Bürger afrikanischer
Staaten blieben zurück. Fast alle konnten und wollten nicht mehr nach
Hause: aus Angst vor dem IS-Ableger Boko Haram, wegen Stammes- und
Familienkonflikten oder auch wegen fehlender Perspektive.
Schon nach wenigen Wochen herrschte Wasser- und Platzmangel in den 3.000
provisorischen UNHCR-Zelten. Im ersten Jahr nach der Eröffnung des Lagers
in Choucha gingen über 20.000 Menschen heimlich über die Grenze von
Tunesien nach Libyen zurück, um von der Küstenstadt Zuwara aus ins
italienische Lampedusa überzusetzen.
„In Tunesien gibt es bis heute kein Asyl- oder Flüchtlingsrecht“, sagt
Hawkins, dem in Ghana das Gefängnis droht. Er hatte Streit mit einem
Vorgesetzten in der Armee. „Ich möchte zumindest die Chance auf ein solches
Verfahren haben“, betont Bagura. „Wenn ich anfange, in Tunesien illegal zu
arbeiten, verliere ich den Anspruch darauf.“
## Ein Riesengeschäft
Doch seit der Schließung Chouchas fühlt sich niemand mehr für die
Flüchtlinge zuständig, die die wohl einzigen am südlichen Mittelmeer sind,
die nicht mit dem Boot nach Europa wollen. Tunesische Uniformierte vor Ort
tolerieren die Zelte bislang, aber schon mehrmals wurde mit der Räumung
gedroht.
Margai Hawkins ahnt, warum die letzten Zelte nicht zerstört werden. Immer
wieder halten nachts Taxis mit unbekannten Passagieren, die sich hier bis
zum nächsten Morgen verstecken.
Irgendwann werden sie mit Autos abgeholt und zur nahen Grenze südlich des
offiziellen Übergangs gebracht, die trotz eines neu ausgehobenen
Wassergrabens von Schmugglern überwunden wird.
„Für Tunesien brauchen Westafrikaner kein Visum, und über Choucha bringt
man die als Studenten eingereisten Migranten zu den Stränden von Sabrata,
für 400 Euro“, sagt Bagura. Menschenschmuggel sei für alle in der Gegend
ein Riesengeschäft. „Ich will aber nirgendwo illegal sein“, fügt er an.
„Ich gehe nur nach einem echten Asylverfahren, egal wohin“.
3 Mar 2017
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Migration
Asyl
Flüchtlingslager
Tunesien
Schwerpunkt Angela Merkel
Schwerpunkt Flucht
Ägypten
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