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# taz.de -- Krise des niederländischen Fußballs: Schrei nach Härte
> Der Fußball in den Niederlanden liegt darnieder. An das schöne Spiel
> glaubt man nicht mehr. Jetzt geht es um Körperlichkeit.
Bild: Arjen Robben: Der letzte technisch versierte Weltstar der Niederlande?
Amsterdam taz | Wie könnte man ihn vergessen, diesen Sommer des Jahres
2014. Der niederländische Fußballfan denkt wehmütig daran zurück, wie
Oranje die Weltmeisterschaft in Brasilien auf Platz drei abgeschlossen hat.
Coach Louis van Gaal hatte nicht allzu viele echte Könner zur Auswahl und
stellte eine Mannschaft auf, die vor allem verteidigen sollte. Die
Führungsrolle wies er Arjen Robben zu, der die jungen Spieler aus der
Eredivisie, der ersten niederländischen Liga, in seine Obhut nahm. Erst im
Elfmeterschießen verloren die Niederlande das Halbfinale gegen Lionel
Messis Argentinien.
Louis van Gaal genoss nach der WM ein fast überirdisches Ansehen. Aber die
Fachleute betrachten die Bronzemedaille aus einer anderen Perspektive: Die
Mannschaft habe es nur dem Coach und Arjen Robben zu verdanken, dass sie so
weit gekommen sei. Mehr war nicht.
Sie behielten recht. Zwei Monate später zeigten sich die Mängel im Team,
als es für die Mannschaft ohne Louis van Gaal – der war mittlerweile
Trainer von Manchester United – in die Qualifikationsspiele für die
Europameisterschaft ging. Das Team war nur noch ein Schatten der
Mannschaft, die in Brasilien Platz drei erreicht hatte. Der neue Coach, der
Veteran Guus Hiddink, erlebte mit der Auswahl schwere Zeiten. Die
1:2-Niederlage in Prag gegen Tschechien war der Vorbote vieler dramatisch
schlechter Qualifikationsspiele. Schnell wurde der Mangel an Qualität und
Durchsetzungsvermögen sichtbar.
Oranje schwankte ständig und war richtungslos ohne van Gaal und den oft
verletzten Robben. Auch den erfahrenen Spielern wie Wesley Sneijder
(Galatasaray Istanbul) und Robin van Persie (damals noch Manchester United)
gelang es nicht, die unerfahrenen Spieler wie Daryl Janmaat, Stefan de Vrij
und Bruno Martins Indi glänzen zu lassen. Es folgten zahlreiche Gespräche
mit dem Vorstand des niederländischen Fußballverbands, der überrascht
worden war von dem schnellen Verfall.
Guus Hiddink kündigte und machte Platz für seinen Assistenten Danny Blind.
Aber auch der tat sich schwer. Oranje schloss die Qualifikationsgruppe
auf Platz drei. Der Gruppensieger hieß Island. Die EM fand ohne Oranje
statt.
## Ohne Holland…?
In der laufenden Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland
stehen die Chancen auch nicht besonders gut. Die niederländische Mannschaft
ist schwächer als Gruppenkonkurrent Frankreich. Deutlich wurde das bei der
0:1-Niederlage im Qualifikationsduell in Amsterdam. Nach dem Spiel
schwärmten die holländischen Spieler von Frankreichs Mittelfeldspieler und
Torschützen Paul Pogba, der in dem Spiel eine wahre Plage war für die
Niederlande. Pogba verbindet Technik mit Kraft und gilt als Symbol des
modernen Fußballspielers. In der niederländischen Mannschaft fehlen solche
Spielertypen, so die einhellige Meinung nach dem Spiel in der Amsterdam
Arena.
Die Diskussion darüber, ob der niederländische Fußballspieler stark und
erwachsen genug sei, ist nicht neu. In der Champions League und der Europa
League sei schon öfter deutlich geworden, dass die Niederlande vor allem
Knaben hervorbringen. Die bescheidenen Ergebnisse niederländischer Klubs in
den europäischen Vereinswettbewerben sind in den letzten Jahren für die
Niederlande eher die Regel als die Ausnahme. Wenn es mal wieder nicht gut
gelaufen ist in einem europäischen Wettbewerb, war die Schlussfolgerung
immer dieselbe: Unser Fußballspiel muss umstrukturiert werden.
Dass die niederländischen Klubs sich nicht mit den großen Klubs aus
England, Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich messen können, damit
konnte man bisher immer leben. Aber dass die Niederlande in der
Fifa-Weltrangliste von Ländern wie Ägypten oder Costa Rica überflügelt
worden sind, die früher eher belächelt wurden, das sorgt für Kopfschmerzen.
## Platz 21 der Fifa-Weltrangliste
Auf Rang 21 steht Oranje. Eine Blamage für das Land, das 1974 den
pulsierenden „totalen Fußball“ erfunden hat und das mit Johan Cruyff,
Willem van Hanegem, Marco van Basten, Ruud Gullit und Frank Rijkaard
Spieler von absoluter Weltklasse hervorgebracht hat. Noch schmerzhafter ist
es, dass der jüngere, kleine Bruder der Niederlande, Belgien, auf Rang fünf
in der Weltrangliste liegt und über eine Ansammlung internationaler
Spitzenfußballer verfügt.
Auch im Klubfußball hat Belgien die Niederlande überflügelt. Mit
Anderlecht, Racing Genk und AA Gent stehen drei Klubs aus dem Nachbarland
unter den letzten 16 Klubs in der Europa League. Aus den Niederlanden war
am Donnerstag nur Ajax Amsterdam aktiv – und hat verloren, 1:2 beim FC
Kopenhagen. Der berühmte niederländische Klub aus der Hauptstadt hatte sich
zu Saisonbeginn in den Playoffs zur Champions League regelrecht blamiert
und schied nach einer 1:4-Pleite beim russischen Vizemeister FK Rostow aus.
Auch für den PSV Eindhoven war Rostow in der Champions League nicht zu
schlagen. Der Klub wurde hinter Atlético Madrid, Bayern München und den
Russen nur Gruppenletzter. Und wieder werden dieselben Schlüsse gezogen:
Der niederländische Fußball muss umstrukturiert werden.
Aber was müsste man denn eigentlich ändern? Wie müsste man spielen? Wie
sollte man die Jugendspieler ausbilden, damit wieder Elan und Schwung in
den niederländischen Fußball kommt? Zusammen mit den Trainern der Amateur-
und Profivereine stellt der niederländische Fußballverband sich diese
Frage. Schon lange heißt es ja, dass vor allem Kraft und
Durchsetzungsvermögen fehlen.
Was die Technik betrifft, sieht man keine Mängel, aber in Bezug auf
Zweikampfverhalten und Schlitzohrigkeit blickt Oranje eifersüchtig auf
Konkurrenten wie Portugal, das im vergangenen Sommer den Europameistertitel
gewonnen hat. Die Neiddebatte hört sich so an: In Portugal lerne die Jugend
noch, was es heißt, im Alltag zu überleben, während die niederländische
Jugend sich hauptsächlich mit der Playstation beschäftige. Wo sich in der
Vergangenheit Buben nachmittags nach der Schulzeit noch beim Fußballspiel
auf der Straße zum Spitzenspieler entwickelt haben, würden sie heutzutage
kaum noch draußen auf der Straße spielen.
## Knaben müssen Männer werden
Tatsächlich haben Ruud Gullit und Frank Rijkaard in ihrer Kindheit jeden
Tag stundenlang auf dem mittlerweile berühmten Bilboaplatz in Amsterdam
gekickt, wo auch das Recht des Stärkeren galt. Marco van Basten glänzte als
Kind schon in den Straßen des Utrechter Viertels Oog in Al. Und Johan
Cruyff, der beste Fußballer, den die Niederlande je hervorgebracht hat,
wuchs im Amsterdamer Viertel Betondorp auf. Dort legte er den Grundstein
für seine brillante Karriere als Spieler, als Trainer und als Gewissen des
niederländischen Volks. Cruyff, der im vergangenen Jahr an den Folgen von
Lungenkrebs starb, hat den Wert des Straßenfußballs immer wieder betont.
Auf dem Straßenpflaster wachse die optimale Kombination von Technik, Kraft
und Siegermentalität.
Kein Wunder, dass bei den Reformen im Jugendbereich der Schwerpunkt auf dem
körperlichen betonten Spiel liegt. Die Knaben müssten Männer werden, das
ist die einhellige Meinung. Bei den Allerkleinsten wird das Fußballfeld
halbiert und auch die Anzahl der Spieler stark reduziert, sodass die
Kleinen auch wirklich den Ball spielen können und nicht nur über das Feld
traben. Es wird beabsichtigt, das Spiel so zu organisieren, dass die Kinder
während des Spiels so viel Körperkontakt wie möglich haben. Im
höherklassigen Amateurfußball hat es eine neue Ligaeinteilung gegeben. Auch
hier ist das Ziel, den Mannschaften möglichst viele ebenbürtige Gegner zu
verschaffen, damit es in den Partien zu mehr Zweikampfsituationen kommt.
Dieser Schrei nach Härte hört sich beinahe schon panisch an – kein Wunder,
bei den miesen Ergebnissen der vergangenen Jahre. Neulich, während eines
großen Symposiums über die Zukunft des niederländischen Fußballs, war es
keiner Geringerer als Pep Guardiola, Trainer von Manchester City, der das
Land auf seine eigentliche Stärke hinwies: „Ändert den Fußball nicht zu
drastisch“, sagte der König des Tiki-Taka: „Glaubt mir, ihr macht schon
vieles sehr gut.“
12 Mar 2017
## AUTOREN
Gerrit-Jan Van Heemst
Gerrit-Jan van Heemst
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