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# taz.de -- Feministischer Sport: Die Show, die Punk wurde
> Die Riot Rocketz sind der erste Leipziger Roller Derby Klub. Mit dem
> klassischen deutschen Vereinssport hat das nicht allzu viel zu tun.
Bild: Das Ziel ist Standfestigkeit: Training bei den Riot Rocketz
LEIPZIG taz | Zehn Frauen auf Rollschuhen schießen in der Turnhalle im
Kreis hintereinander her. Sie drängeln, schubsen sich von der ovalen Bahn
und stehen blitzschnell wieder auf. Die Riot Rocketz sind der erste
Roller-Derby-Verein Leipzigs. Mit einem Inserat am schwarzen Brett suchten
die ersten Skaterinnen 2013 nach einem Team. Inzwischen hat der Verein 38
aktive Spielerinnen und so viele Interessentinnen, dass Anfänger-Workshops
ausgerichtet werden.
Roller Derby, ein Vollkontaktsport auf Rollschuhen, der hauptsächlich von
Frauen betrieben wird, hat einfache Grundregeln: Auf einer ovalen Bahn, dem
„Track“, versuchen zehn Skaterinnen, innerhalb kurzer Rennintervalle Punkte
zu erzielen. Pro Team kann immer nur eine Spielerin, die Jammerin, durch
Überrunden der Gegner punkten. Die anderen sind damit beschäftigt, die
gegnerische Jammerin zu blockieren und die eigene bei ihrer Aufgabe zu
unterstützen.
Für ungeübte Zuschauer*innen sieht das Ganze nach einem rollenden Gerangel
aus – dabei ist das Spiel komplex und sehr taktisch, erklärt die Skaterin
mit dem Kampfnamen Kitten of Baskerville. Schon lange wollte sie Roller
Derby spielen, der kraftvolle Sport faszinierte sie. Als sich die Riot
Rocketz gründeten, trat sie dem Verein kurz darauf bei. Seitdem ist Roller
Derby ein wichtiger Teil ihres Lebens.
Dreimal in der Woche treffen die Spielerinnen sich zum Training in den
Turnhallen der August-Bebel-Grundschule und der 66. Schule. In ihrer
Freizeit sollen sie zusätzlich ihre Kraft und Ausdauer trainieren. Denn das
Derby verlangt ihnen einiges ab: „Es ist ein unglaublich wilder Sport“,
findet Kitten of Baskerville, die sich abseits vom Spielfeld als eher
schüchtern beschreiben würde, „man kann einfach mal kontrolliert die Sau
rauslassen“.
Ungefährlich ist das Spiel nicht. Immer wieder stürzen die Spielerinnen,
wenn sie versuchen, sich gegenseitig vom Track zu drängen. „Man sollte
keine Angst vor blauen Flecken haben“, bestätigt Kitten of Baskerville.
Helm und speziell gepolsterte Schoner sind Pflicht. Alle neuen Spielerinnen
lernen zuerst, wie man richtig fällt. Vor ihrem ersten Einsatz müssen
Anfängerinnen einen Mindestanforderungstest ablegen, um zu zeigen, dass sie
sich auf den vierrädrigen Rollschuhen mit der großen Gummibremse an der
Spitze sicher bewegen können. Der Test richtet sich nach den Vorgaben des
amerikanischen Dachverbands, der Women’s Flat Track Derby Association, der
sich 2004 gegründet hat. Der Verband stellt auch die einheitlichen
Spielregeln.
## Von der Wirtschaftskrise zum Punk
In der Geschichte des Roller Derbys sind diese strengen Spielregeln eine
Neuheit. Als in den 1920er Jahren in den USA erste Derby-Events
veranstaltet wurden, war das Spiel noch ein Rollschuhmarathon mit einer
einzigen Regel: Wer zuletzt auf der Bahn steht, hat gewonnen. Die Rennen
konnten mehrere Tage dauern, wobei die Teams aus zwei Skater*Innen
bestanden, die sich abwechseln durften. Zur Zeit der Great Depression waren
die Derbys ein beliebter und kostengünstiger Zeitvertreib.
Im Laufe der Jahrzehnte veränderte sich der Sport immer wieder grundlegend.
Der Marathon wurde zum Kontaktsport, in dem durch Überholen der
Gegner*innen Punkte erzielt werden konnten.Nach und nach entwickelte sich
das Roller Derby zu einer inszenierten Showsportart, die dem Wrestling
nicht unähnlich war. Eingeübte, spektakuläre Kämpfe auf Rollschuhen zogen
in den 1940er Jahren jährlich mehr als fünf Millionen Zuschauer*innen in
die amerikanischen Stadien.
Spätestens in den 1960er Jahren verlor der Rollschuhsport allerdings an
Beliebtheit. Derby-Fernsehsendungen wurden abgesetzt, und auch die Hallen
blieben leer. Doch in den 1990er Jahren wurde das Roller-Derby von der
Punkbewegung adoptiert und als neue Sportart wiederbelebt. Fortan wurde
ohne jegliche Absprache gerollt, gestürzt und gedrängelt.
Es folgte die Punkzeit des Sports. Der veränderte sich abseits des Tracks.
Der Großteil der Roller-Derby-Vereine ist heute selbstverwaltet. Auch die
Leipziger Riot Rocketz, die seit 2013 zum linken Sportverband Roter Stern
Leipzig gehören, organisieren alles selbst. Was für die Spielerinnen
bedeutet, sich neben dem Training in Arbeitsgruppen zu treffen, um etwa
über Finanzierungsmodelle zu sprechen oder das nächste Auswärtsspiel zu
planen. Trainerinnen werden in ein Komitee gewählt und wechseln sich ab,
sind aber gleichzeitig auch immer noch Spielerinnen.
Heute ist Roller Derby ein Powersport für Frauen, der seine Wurzeln in der
feministischen Punkbewegung der Riot Grrrls sieht. Männer dürfen in den
meisten Vereinen nur als Schiedsrichter mitwirken oder die Spielerinnen
abseits vom Track unterstützen. Zwar gibt es bereits wenige Vereine, bei
denen Männer und Frauen zusammenspielen, und sogar „Merby“-Vereine nur für
Männer. Doch das Roller Derby bleibt ein weiblich dominierter Sport.
Viele der Vereine setzen sich zudem für LGBTQ-Rechte ein. Im
Selbstverständnis auf der Homepage der Riot Rocketz beschreiben die
Skaterinnen, dass Diskriminierung im Verein nicht toleriert wird.
Transspielerinnen können problemlos am Sport teilnehmen und in Wettbewerben
antreten.
## Sport und Show
Obwohl sich das Roller Derby immer weiter professionalisiert, bleiben
gewisse verspielte Relikte der Punkzeit erhalten. Neue Spielerinnen suchen
sich für gewöhnlich einen individuellen Kampfnamen aus, mit dem sie sich
auch außerhalb des Spiels identifizieren. Kitten of Baskerville erzählt,
dass sie die echten Namen mancher Skaterinnen gar nicht kennt. Oft sind die
Kampfnamen popkulturelle Wortspiele – so auch ihr eigener, der auf eine
Sherlock-Holmes-Geschichte verweist.
Zwar trainieren die Riot Rocketz in üblicher Sportkleidung mit einfachen
Trikots, doch grelle Schminke oder Kriegsbemalung sind ein Teil des Sports.
Wenn ein Spiel ansteht, skaten die Spielerinnen häufig in Outfits mit
Netzstrümpfen und Hotpants. Derweil gibt es durchaus auch Skaterinnen, die
sich von dieser Tradition distanzieren. Auch wenn die oft knappen Outfits
zur Selbstermächtigung der Spielerinnen gedacht sind, werden die
Sportlerinnen von außen gerne sexualisiert.
Als eine Art „Schlammcatchen auf Rollschuhen“ würden manche das Derby
ansehen, meint Kitten of Baskerville. Für sie gehören die optischen
Punkwurzeln des modernen Roller Derbys ebenso zum Sport wie Frauen, die
Kostüme und Kampfnamen ablehnen. Die Kleidung der Skaterinnen beruhe auf
individuellen Entscheidungen, sagt Kitten of Baskerville und betont: „Wir
wollen auch als Athletinnen ernst genommen werden.“
Roller Derby ist mittlerweile weit verbreitet. Über 4.000 Teams weltweit
zählt die Roller-Derby-Statistikseite flattrackstats.com. Der Großteil der
Teams ist noch immer in den USA zu finden, doch mittlerweile hat sich der
Sport fast auf der ganzen Welt verbreitet. Seit sich im Jahr 2006 mit den
Stuttgart Valley Rollergirlz der erste deutsche Verein gegründet hat, haben
sich auch in zahlreichen anderen Städten Skaterinnen zusammengefunden.
Inzwischen gibt es sogar eine von Spielerinnen verwaltete Bundesliga, in
der insgesamt 19 Teams gegeneinander antreten.
Beim ersten Freundschaftsspiel der Riot Rocketz im vergangenen Jahr waren
schon etwa 300 Zuschauer*innen dabei, erzählt Kitten of Baskerville. Jetzt,
da der Verein in der dritten Bundesliga spielt, werden es kaum weniger
werden. Vier Spiele müssen die Riot Rocketz in diesem Jahr absolvieren, um
ihren Platz in der Liga zu finden.
12 Mar 2017
## AUTOREN
Amy Wittenberg
## TAGS
Schwerpunkt taz Leipzig
Punk
USA
Riot Grrrl
Kampfsport
Feminismus
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
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