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# taz.de -- Balkan-Roman: "Es ist einfacher, traurig zu schreiben"
> Daniela Chmelik erzählte in ihrem Roman-Debut „Walizka“ von einer Reise
> von Hamburg nach Sarajevo. Und sie spielt Roller Derby bei den Harbor
> Girls Hamburg.
Bild: Viel rumgekommen: die Hamburger Autorin Daniela Chmelik.
taz: Frau Chmelik, Sie haben St. Petersburg, Ljubljana, Tiflis, Belgrad,
Moskau und Prag bereist. Was hat Sie in den Osten gezogen?
Daniela Chmelik: Ich reise ziemlich gerne. Außerdem habe ich russische
Literaturwissenschaft studiert und fand alles interessanter als den Westen.
Auf mich wirkte er schon so erschlossen. Ich wollte viel lieber nach
Osteuropa gehen und schauen, wie es da so aussieht.
Die Geschichte der Protagonistin in Ihrem Roman „Walizka“ hat ein paar
Parallelen zu Ihrer eigenen Biographie. Auch Walizka zieht es in den Osten.
Sind die Parallelen zufällig?
„Walizka“ bleibt ein Roman. Er ist nicht autobiografisch. Einiges habe ich
allerdings tatsächlich so erlebt. Wenn ich unterwegs bin, sammele ich
Sätze, mache mir Notizen. Manchmal stimmen die gar nicht und ich denke sie
mir nur so. Ich mache gerne Beobachtungen: schöne und melancholische oder
schön melancholische. Die habe ich für den Roman durchaus verwendet. Von
den Handlungen ist allerdings nichts autobiografisch. Ich habe die meisten
der beschriebenen Städte gesehen, manche habe ich mir aber auch über
Reiseführer oder Google Maps erschlossen.
Walizka hat sehr melancholische, zum Teil selbstzerstörerische Züge. Woher
kommen die?
Die geschilderten Emotionen sind möglicherweise vorempfunden, wenn
vielleicht auch nicht in dieser Drastik, oder ich kann sie nachempfinden.
Ich habe vielleicht auch melancholische Momente, wie die Protagonistin sie
hat, aber ich habe auch noch ganz andere Seiten. Leute, die mich gut
kennen, wissen, dass ich nicht Walizka bin, aber dass beide Seiten für mich
wahr sein können. So macht man das glaube ich als Schriftsteller, dass man
eigenes einbaut: Empfindungen, Träume. Einiges dichtet man hinzu, aber man
darf es auch nicht übertreiben. Es muss authentisch wirken.
Wie sieht Ihre andere, nicht melancholische Seite aus?
Ich neige dazu, allem immer etwas Positives abzugewinnen. Auch wenn mir
Dinge wiederfahren, die für den Moment gar nicht witzig sind, weiß ich oft,
dass sie am nächsten Tag eine Hammer Story abgeben werden.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel als ich aus Versehen durch Weißrussland gefahren bin – ohne
Transitvisum, weil ich nicht wusste, dass der Zug durch Weißrussland fährt.
Ich hab ganz wunderbar geschlafen, dann bin ich morgens von der
Grenzpolizei geweckt worden. Die blätterten sehr lange durch meinen Pass
und haben mich dann auf Russisch gefragt, wo denn mein Transitvisum sei.
Ich habe die Frage erst nicht verstanden und zurückgefragt, warum wir in
Weißrussland seien. Ich musste dann aus dem Zug aussteigen und mir dabei
das Grinsen verkneifen, weil ich wusste, dass alle anderen die Situation
ziemlich ernst fanden. Ich wurde dann in eine Art Wartezimmer, auf Russisch
„Erholungsraum“, der Miliz verfrachtet. An den Wänden hingen Urkunden von
der Tennismannschaft der Grenzpolizei und im Fernseher liefen am laufenden
Band Kriegsfilme anlässlich des Tages der Verteidigung des Vaterlandes.
Hier hatte ich genug Zeit, darüber nachzugrübeln, ob ich mich wohl mit
Schmiergeld freikaufen kann, wusste aber auch nicht, wie man sowas
übergeben soll. Mir war zwischendurch auch schon beklommen zumute, aber ich
dachte dann doch „Hammer Story“. Das ist eine Frage des Humors, mit dem man
Sachen und Ereignisse betrachtet, finde ich.
Wie ist die Geschichte ausgegangen?
Ich wurde vom Taxifahrer, den die Miliz beauftragt hatte, zur nächsten
Polizeistation gefahren. Dort sollte ich dann eine Geldstrafe bezahlen –
eine horrende Summe, wie mir schien. Etwa 100.000 weißrussische Rubel. Ich
wusste nicht, wie der Umrechnungskurs war und dachte nur: „Oh mein Gott,
ich weiß gar nicht, ob ich so viel habe!“ Schließlich habe ich erfahren,
dass es umgerechnet zwölf Dollar waren.
Gab es ein Ziel, das Sie beim Schreiben Ihres Romans verfolgt haben?
Ich glaube nicht. Ich wollte vermutlich nur die Notizen, die ich mir im
Laufe der Zeit gemacht hatte, verwerten. Es sollte ursprünglich aber auch
gar kein Roman werden, die Vorstellung hätte ich anmaßend gefunden. Nach
dem Studium habe ich angefangen, Erzählungen zu schreiben. Meistens waren
die auf einen bestimmten Anlass bezogen: Ich schrieb Texte für
Schreibwettbewerbe. Ich hatte dann irgendwann drei Erzählungen geschrieben
und festgestellt, dass alle eine sehr ähnliche Atmosphäre erfüllte und es
auch immer dieselbe Erzählerin gab. Und weil ich fand, dass eine
„Erzählsammlung“ nicht so schick ist wie ein Roman, habe ich beschlossen,
meine Erzählungen zu einem Roman zu verbinden. Zuerst fand ich das Wort
schwierig, so groß. Seitdem es aber gedruckt ist, kann ich das Buch auch so
nennen.
Der zweite Roman ist immer besonders schwer. Haben Sie einen in Arbeit?
Im Augenblick komme ich zu nichts. Aber ich bin auch bei „Walizka“ hin- und
hergerissen. Zwischendurch finde ich das Buch ganz großartig, in anderen
Momenten finde ich es ganz schrecklich und will es nicht mehr anfassen und
nichts daraus lesen. Jetzt ist die Hemmschwelle sehr groß. Ich will nicht
etwas Ähnliches oder gar denselben Stil noch mal schreiben, aber etwas
Anderes ist erst recht schwierig. Etwas Witziges kann ich nicht schreiben,
weil ich es nicht mag, wenn die Leute nicht lachen, wenn ich witzig sein
will. Ich finde es viel einfacher, traurig zu schreiben. Ich habe jetzt
privat zwei oder drei literarische Parallelprojekte. Wenn ich mit dem einen
nicht weiterkomme, arbeite ich an einem der anderen. Aber so recht voran
komme ich so nicht. Außerdem mache ich auch noch viermal die Woche Sport:
Roller Derby.
Wie sind Sie zum Roller Derby gekommen?
Ich bin als Kind sehr gerne Rollschuhe gefahren. Damals hab ich auch
Starlight Express gesehen und zu Hause die Stunts nachgestellt. Das sah so
aus, dass sich alle Nachbarskinder auf den Fußweg legen mussten, damit ich
rüberspringen konnte. Ganz hinten lag mein Bruder, weil er ja zur Familie
gehört. Ich habe schon immer viel Sport gemacht, bisher allerdings immer
Einzelsportarten, auch Boxen und Kickboxen. Vor drei Jahren habe ich dann
im Missy Magazin einen Artikel über Roller Derby gelesen: ein
Vollkontaktsport auf Rollschuhen. Ich wusste sofort, dass das mein Sport
ist.
Was fasziniert Sie an dem Sport?
Roller Derby ist facettenreich, wird gerne beschrieben als rasant, tough
und sexy, smart, feministisch, sportlich, Punk. Kursierende
Kurzbeschreibungen sind: Pogo auf Rollschuhen, eine Art Rugby auf
Rollschuhen ohne Ball. Ich mag den sportlichen Faktor. Roller Derby fordert
mich konditionell, besonders weil ich in erster Linie Jammerin bin, das
heißt immer durch die gegnerischen Blockerinnen durch muss, um Punkte zu
machen. Dafür muss man schnell sein, ausdauernd, und man darf sich nicht
umhauen lassen. Es gibt auch Spielerinnen, die voll auf Strategien
abfahren. Ich will immer einfach nur kämpfen, nicht grübeln, sondern durch
da.
Wie viele blaue Flecken und Blessuren tragen Sie bei einem
durchschnittlichen Spiel davon?
Nicht so viele. Wir sind ziemlich gut geschützt: Knie-, Ellbogen-,
Handgelenk-Protektoren, Helm und Mundschutz sind Vorschrift. Es gibt ein
70-seitiges Regelwerk, das auch anführt, welche Bereiche der Gegnerin
geblockt werden dürfen und welche nicht. Als Fouls gelten zum Beispiel
Blocks in den Rücken, Richtung Kopf, mit den Ellbogen oder Beinhaken. Dafür
muss man dann sofort für eine Minute auf die Strafbank. Blaue Flecken,
besonders an Armen, Hüfte und Schienbeinen sind trotzdem häufig. Viel
nerviger finde ich aber meine Sehnenreizung über dem Sprunggelenk: eine
Überlastungsreaktion. In Vorbereitung auf die Deutsche Meisterschaft Ende
Juni hatten wir viermal in der Woche Training. Jetzt setze ich mal drei
Wochen aus, auch wenn mir das schwer fällt. Am 17. August hat mein Roller
Derby-Team, die Harbor Girls Hamburg, ein Heimspiel: gegen Kallio Rolling
Rainbow aus Helsinki.
2 Jul 2013
## AUTOREN
Katharina Gipp
## TAGS
Schwerpunkt taz Leipzig
Literatur
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