# taz.de -- Gefälschte Urkunde: 1.200-Jahr-Feier fällt aus | |
> Die niedersächsische Kirchengemeinde Emsbüren hielt sich bis vor Kurzem | |
> für eine Keimzelle des organisierten Christentums in | |
> Südwest-Niedersachsen. | |
Bild: Schon die Schrift haut nicht hin: die gefälschte Visbek-Urkunde | |
HAMBURG taz | Die katholische Kirchengemeinde Emsbüren bei Osnabrück konnte | |
sich bis vor Kurzem noch als etwas ganz Besonderes fühlen: Sie verfügte | |
über eine Urkunde Ludwigs des Frommen, in der sie im Jahre 819 erstmals | |
erwähnt wurde. „Eine Kaiserurkunde können nur wenige Orte vorweisen“, sagt | |
Georg Wilhelm vom Osnabrücker Diözesanarchiv. Das Problem nur: Die Urkunde | |
ist eine Fälschung. Die Kirchengemeinde hat die für 2019 geplanten | |
Jubiläumsfeierlichkeiten abgeblasen. | |
Die Ernüchterung ht ihre Ursache in einem Forschungsprojekt des | |
mittlerweile emeritierten Bonner Historikers Theo Kölzer, der für das | |
Quellenwerk „Monumenta Germaniae Historica“ sämtliche Urkunden Ludwigs, des | |
Sohnes Karls des Großen, untersuchte. Weil er die sogenannte | |
„Visbek-Urkunde“, in der Emsbüren alias Saxlinga erwähnt ist, als Fälsch… | |
entlarvte, muss die kirchliche Organisationsgeschichte im Oldenburger | |
Münsterland neu geschrieben werden. | |
„Natürlich hat die Forschung gesehen, dass es mit der Urkunde ein Problem | |
gibt“, sagt Wilhelm. Das Dokument sei in der falschen Schrift verfasst | |
gewesen und auch die Jahreszahl konnte nicht stimmen. Die Urkunde verlieh | |
der Abtei Visbek ein Privileg und sicherte ihm bestimmte Zuwendungen. | |
Bisher waren die Forscher deshalb davon ausgegangen, dass das Dokument zwar | |
in einem späteren Jahrhundert verfasst worden war, dass es sich aber im | |
Wesentlichen um eine inhaltlich korrekte Abschrift handelte. | |
„Urkundenfälschung durch Geistliche ist nicht so ein spektakuläres | |
Phänomen“, sagt Tobias Weller vom Institut für Geschichtswissenschaft der | |
Universität Bonn. Alte Urkunden seien häufig nur in Abschriften | |
überliefert. Und Fälschungen hätten bisweilen auch dazu gedient, legitime, | |
aber etwa nicht schriftlich fixiert Ansprüche zu bekräftigen, was bei der | |
Visbeker Urkunde freilich nicht der Fall gewesen sei. Sie wurde, was selten | |
vorkommt, komplett gefälscht. | |
Professor Kölzer fiel beim Vergleich der mehr als vierhundert Urkunden | |
Ludwigs des Frommen auf, dass es für die Visbeker Urkunde eine echte | |
Vorlage von einem französischen Kloster gab, die für Visbek um 980 im | |
Benediktinerkloster Corvey ab- und umgeschrieben wurde. Kölzer konnte | |
nachweisen, dass es personelle Verbindungen zwischen dem französischen | |
Kloster und Corvey gab, der Originaltext also nach Corvey gelangt sein | |
konnte. | |
Im größeren Zusammenhang erscheint das Missgeschick Emsbürens | |
verschmerzbar. „Es gibt sehr viele Dokumente, die man als Erstbelege für | |
sächsische Bischofssitze angenommen hat, die sich im Rahmen der ‚Monumenta | |
Germaniae Historica‘ als Fälschungen erwiesen haben“, sagt Weller. Dem | |
könnte noch so manches Jubiläum zum Opfer fallen. | |
4 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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