# taz.de -- Die Wahrheit: Die Betriebsstörung | |
> Ein Fall von übelster Satire in einer großen Berliner Zeitung zeigt, | |
> wohin der Spitzenjournalismus in Deutschland driftet. | |
Bild: Schäubles Politik buchstäblich beschissen finden: Darf Satire das? | |
„Urghh! Uaaahh! Ooaaah!“ Furchtbare Geräusche quollen aus Anton Ziegenhals… | |
Büro. Die anderen Journalisten im zweiten Stock des Verlagshauses Tietje, | |
wo die Redaktion der Berliner Allgemeinen ihre Räume hatte, gingen | |
kopfschüttelnd oder achselzuckend an der geschlossenen Tür vorbei. Sie | |
waren dieses Schau- oder Hörspiel gewohnt, das sich alle paar Wochen | |
wiederholte. Sie kannten den großen politischen Journalisten Anton | |
Ziegenhals gut. | |
Die Praktikantin Mia Grüter kannte ihn noch nicht, riss die Tür auf – und | |
erstarrte. Der bedeutende Publizist Ziegenhals hing über seinem | |
Schreibtisch gebeugt, auf dem aufgeschlagen die Satireseite der eigenen | |
Zeitung lag, und übergab sich auf ihr. Die Kotze hatte alles überschwemmt | |
und tropfte auf die Auslegeware, als Ziegenhals mit einem gestöhnten | |
„Hualp!“ die letzten Reste auswürgte. | |
Der deutschlandweit bekannte Mann der Zeitung zitterte am ganzen Leib. Als | |
er die Praktikantin gewahrte, wollte er sie sofort hinauswerfen, doch | |
nachdem er die unbekannte junge Frau gemustert hatte, besann er sich, | |
konnte allerdings nur stottern: „Kkkommen Sie rein … schauen Sie … da … | |
diese Schmier-, Schmierfinken … das soll Sasasatire sein!“ | |
## Pampe auf dem Büromöbel | |
Langsam fasste sich der wichtige Hauptstadtjournalist. „Lesen Sie das!“, | |
rief er angewidert und pochte mit dem Zeigefinger in die Pampe auf seinem | |
Schreibtisch. „Eine bodenlose Frechheit! Ich reiße mir Tag für Tag den | |
Arsch auf, um seriös und vertrauensvoll mit den maßgeblichen Politikern des | |
Landes … und dann kommen diese Grünschnäbel, die von nichts Ahnung haben, | |
mit ihrer sogenannten Satire über etwas, wovon sie nichts, absolut nichts | |
verstehen. Wie kann man denn über Wolfgang Schäuble lästern, er sei | |
inzwischen auch geistig fußkrank, weil er sich keinen Deut in der | |
Griechenlandpolitik bewegt! Unverantwortlich so was. Und das wollen | |
erwachsene Menschen sein!“ | |
Mia Grüter nickte wortlos, ohne sich ihre Enttäuschung anmerken zu lassen. | |
Sie hatte aus den Geräuschen auf dem Flur auf etwas anderes geschlossen. | |
„Niemand hat mehr Sinn für Satire als ich“, nahm der unersetzliche, auch im | |
Fernsehen präsente Ziegenhals wieder Fahrt auf: „Aber das hier? Schäuble | |
vorzuwerfen, er sei inzwischen auch obenrum gelähmt, das ist nur pubertärer | |
Dreck!“ Gedämpfter setzte er hinzu: „Ich leiste ernste und wichtige Arbeit, | |
verkehre mit den einflussreichsten Entscheidungsträgern des Landes“, und | |
verfiel wieder in den Brüllmodus: „Und dann macht sich meine eigene | |
Zeitung über meine Politiker lustig!“ | |
Der mächtige Ziegenhals, dessen führende Stellung in der Debattenkultur des | |
Landes nicht zu bezweifeln war, knüllte die nasse Zeitung zusammen und | |
schmiss das Gelump in den Papierkorb, wobei sich die Schmiere an seine | |
Ärmel heftete. | |
## Unter aller Sau | |
„Verstehen Sie mich nicht falsch“, fuhr er einigermaßen beherrscht fort. | |
„Ich schätze Kritik, aber sie muss sachlich sein, vernünftig. Das hier ist | |
schlicht und einfach Betriebsstörung. Und Schäubles Politik buchstäblich | |
beschissen finden, wie es hier geschieht, ist unanständig, der Mann ist | |
Querschnitter und kann nichts dafür. Was diese Kindsköpfe tun“, setzte er, | |
wieder aufdrehend, hinzu, „untergräbt die Beziehungen, die ich und die | |
Politiker in jahrelanger mühevoller Kleinarbeit aufgebaut haben! Wie können | |
die sich mit mir zu Hintergrundgesprächen treffen, in denen wir die Weichen | |
der Weltpolitik stellen, wenn solche Beiträge … unter aller Sau … geradezu | |
kriminell … Ich fass es nicht.“ | |
Mia Grüter schwieg. Obwohl nur Praktikantin, wusste sie, dass die | |
Satireseite beliebt bei den Lesern war und viele sie als erste aufschlugen, | |
bevor sie andere Rubriken wahrnahmen. | |
„Wissen Sie, Fräulein, wir wichtigen politischen Journalisten leisten eine | |
für unser Land, ja für den Planeten entscheidende Arbeit!“, fuhr der | |
berühmte Ziegenhals fort und fuchtelte mit seinen verschmierten Händen in | |
der Luft herum, dass die Tropfen durch den Raum spritzten und einige auf | |
Mia Grüters Bluse landeten. „Aber diese Satiriker sind Idioten. Die sind | |
doch obenrum gelähmt! Nicht nur fuß-, sondern geisteskrank! Scheißkerle, | |
die sich nicht klarmachen, dass Leute wie ich an der Willensbildung der | |
Politiker mitwirken. Das steht sogar im Grundgesetz!“ | |
Der geborene Repräsentant der vierten Macht im Staate Ziegenhals machte | |
eine Pause und ließ wieder den Blick über die Praktikantin gleiten, die | |
sich mit einem Papiertaschentuch abtupfte. „Aber warum ich Ihnen das alles | |
erzähle …“, stimmte er einen verständnisvollen Ton an. „Sie sind neu hi… | |
Dann werden Sie das alles noch am eigenen Leib erfahren. Sind Sie auch bei | |
der Politik? Ich kann Sie mit Wolfgang bekannt machen, wenn Sie wollen!“ | |
„Nee“, antwortete Mia Grüter und verließ das Büro, um weiteren Fragen | |
vorzubeugen. So musste sie nicht gestehen, dass der Beitrag auf der | |
Satireseite von ihr war. | |
1 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
## TAGS | |
Satire | |
Journalismus | |
Wolfgang Schäuble | |
Sprachkritik | |
Welt | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Sprachkritik | |
Beruf | |
Rhetorik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Echte Gewinnertypen | |
Weil die Ökonomie längst auch die Diktion bestimmt, haben sich Gewinnst und | |
Profit in unsere Redewendungen geschlichen. Eine Sprachkritik. | |
Die Wahrheit: Die Welt so putt | |
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Heute darf sich die | |
Leserschaft an einem Poem über die unschönen Seiten des Lebens erfreuen. | |
Die Wahrheit: Größter aller Gallier | |
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Der französische | |
Superpräsidentschaftskandidat Emmanuel „Im Arsch“ Macron. | |
Die Wahrheit: Soldaten zu verkosten | |
Knapp vorbei ist auch im Wortreich daneben. Immer öfter werden aus | |
Schludrig- oder Gedankenlosigkeit in Zeitungsartikeln Wörter verwechselt. | |
Die Wahrheit: Wir Allrounder | |
Früher gab es in jedem Beruf ganz genau eine doofe Nuss, die ihn ausübte. | |
Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei. | |
Die Wahrheit: Der Riss | |
Der Zusammenhalt hält nicht mehr: Quo vadis diese unsere Republik? Ein | |
geschwollener Bocksgesang auf aussterbenden Kitt. |