# taz.de -- Die Wahrheit: Echte Gewinnertypen | |
> Weil die Ökonomie längst auch die Diktion bestimmt, haben sich Gewinnst | |
> und Profit in unsere Redewendungen geschlichen. Eine Sprachkritik. | |
Bild: Sprachliche Veränderungsprozesse sind für die Beteiligten oft schmerzha… | |
Dem Volk aufs Maul zu schauen, war Martin Luthers Job. Seine | |
Bibelübersetzung, unlängst überarbeitet auf den Markt gekommen, rechnet | |
sich für die evangelischen Kirchen bis heute – und von dem Rummel um die | |
Werbe-Ikone Luther im Lutherjahr 2017 profitieren sie sowieso. | |
Die Lutherbibel ist seit 500 Jahren ein „Premiumprodukt“. Luther verkauft | |
sich gut als Begründer oder Promoter des Hochdeutschen; rentiert hat sich | |
sein Tun auch für die Fürsten. Die wollten einen eigenen, von Kaiser und | |
Papst unabhängigen Laden aufmachen, und Luther hat geliefert. Keine Frage: | |
Die protestantischen Landesherren waren die Gewinner der Reformation. | |
Luther war ein Mann des Mittelalters, der das anbrechende Zeitalter der | |
Geldwirtschaft nicht begriff. Sein Deutsch bezeugt es, es enthält kaum | |
Wörter und Redensarten aus der Welt des Schachers. Stattdessen schmälte er | |
ein ums andere Mal den „Abgott Mammon“ (zum Beispiel 1541 in der „Warnung… | |
an die Drucker seiner Bibel). Der aber dringt seit über 100 Jahren – zuerst | |
unter dem Etikett Kaufmannssprache, heute als Business-Deutsch gelabelt – | |
mit Macht in die allgemeine Kommunikation. | |
## Sprachliche Kampfzone | |
Weil das kapitalistische Handeln und Denken mehr und mehr das Dasein der | |
Leut’ formt, formt es mehr und mehr ihre Sprache. Die Beispiele sind banal, | |
kaum jemand stört sich noch an ihnen: SPD-Generalsekretärin „Katarina | |
Barley soll die sozialdemokratische Politik“, siehe oben, „verkaufen“ | |
(taz). Olympische Spiele sind ein, siehe oben, „Premiumprodukt“, so | |
IOC-Präsident Thomas Bach. „Verkäufer, Dozenten, Sozialarbeiter können | |
durch neurolinguistisches Programmieren“, siehe oben, „profitieren“, lockt | |
landsiedel-seminare.de. Innenminister Thomas de Maizière plädiert | |
unverblümt für ein „Zuwanderungsmarketing“, während die unabhängige und | |
überparteiliche Presse unverhohlen zugibt, „Produkte zu entwickeln“, um, so | |
das Göttinger Tageblatt, „das GT noch stärker in der Wirtschaft zu | |
verankern“. | |
Infolge der „Ausweitung der Kampfzone“ (Michel Houellebecq) durchdringt die | |
Ökonomie alle Bereiche. Markenkern allen Wirtschaftens ist der Profit, der | |
Gewinn. Ergo breitet sich der auch verbal aus, etwa in der Politik: „Seine | |
Partei gehöre zu den Gewinnern“, glaubt Geert Wilders der taz zufolge; in | |
Peru „steht Kuczynski als Gewinner der Stichwahl ums Präsidentenamt fest“ | |
(taz); der Spiegel weiß, „warum sich Peking für den wahren Gewinner der | |
US-Wahl hält“. | |
## Gewinner allerorten | |
Schon junge Leute wollen nichts mehr als „einmal im Leben ein Gewinner | |
sein!“ (Fernsehsender One). Sportler sind es. Deshalb treffen im Halbfinale | |
die „Gewinner der Viertelfinalspiele“ aufeinander (ZDF-Text); das | |
wichtigste Golfturnier der Welt, das Masters, sieht als „Gewinner Danny | |
Willett“ (taz); Schachpartien haben neuerdings einen „Gewinner“ | |
(de.chessbase.com), und im Fußball gibt es den „Champions-League-Gewinner“ | |
(Göttinger Tageblatt) – Sieg und Meisterschaft sind eben nicht der wahre | |
Ziel und Zweck des Spiels, sondern nur das Mittel, um Gewinnst zu machen. | |
Versteht sich, dass Geldmaschinen wie „Promi Big Brother“ oder „Deutschla… | |
sucht den Superstar“ einen „Gewinner“ haben (Bunte). Überraschender scho… | |
was Rocko Schamoni in seinem Roman „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ | |
erzählt: „Alle zwanzig Minuten gibt’s irgendwo Gerempel. Wir fangen an, auf | |
Gewinner bei Schlägereien zu setzen.“ Vermutlich raucht der Gewinner auch | |
keine Siegerzigarre, sondern lieber eine „Gewinner-Havanna“ (taz). | |
Das ominöse Wort war mal beschränkt auf Lottogewinner und erfolgreiche | |
Teilnehmer von Preisausschreiben (eben „Gewinnspielen“). Jetzt stempelt es | |
jedweden Erfolg zur merkantilen Leistung. Wie ist es dann mit dem | |
Misserfolg? Nun, Ende 2016 schaute der Formel-1-Pilot Nico Rosberg zurück | |
auf „schwere Verluste in der Vergangenheit“. Er meinte die früheren | |
Niederlagen gegen seinen Rivalen David Hamilton. Schmerzlich waren die also | |
vor allem finanziell. | |
## Schwieriger Sieger | |
Wie Rosberg ist der Kapitalismus auf der „Gewinnerstraße“ (taz); es | |
gewinnt, wer das „Winner-Gen“ (Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner) | |
besitzt. Die englische Sprache besitzt es. Der „Gewinner“ verdankt sich | |
ihrer Hilfestellung, außerdem wohl dem Unbehagen am irgendwie kriegerischen | |
(und damit den eigenen Konkurrenzgeist unangenehm bloßstellenden) „Sieg“ �… | |
sowie dem schlichten Wunsch nach Simplizität: Es ist einfach zu schwierig, | |
„Sieger“ zu sagen, wenn jemand einen Wahlkampf, ein Spiel, einen Preis in | |
einem Wettbewerb „gewonnen“ hat. Also triumphiert der Gewinner sogar im | |
Duden und im Lexikon: „Die Vorsitzende des Sportvereins überreichte den | |
Gewinnern der Leichtathletikwettbewerbe ihre Pokale“, lautet ein | |
Beispielsatz auf de.wiktionary.org; den „Gewinner eines sportlichen | |
Wettkampfs“ kennt duden.de. | |
Wäre es da nicht doch angebracht, die Lutherbibel endlich zu modernisieren? | |
Schließlich sind die Kirchen große Wirtschaftsunternehmen. Denn dann hieße | |
es im Alten Testament: „Aber der Gewinn kommt vom HErrn“ (Die Sprüche | |
Salomons); und im Neuen: „Aber Gott sei gedankt, der uns allezeit Gewinn | |
gibt in Christo“ (2. Korintherbrief). | |
19 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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