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# taz.de -- Die Wahrheit: Soldaten zu verkosten
> Knapp vorbei ist auch im Wortreich daneben. Immer öfter werden aus
> Schludrig- oder Gedankenlosigkeit in Zeitungsartikeln Wörter verwechselt.
Bild: Manche Worte schmelzen auf der Zunge wie Schneeflöckchen
Similia similibus curantur, lautet das Grundgesetz der Homöopathie:
Ähnliches werde mit Ähnlichem geheilt. In der Sprache gilt das Gegenteil.
Wenn F. C. Delius in seinem Roman „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister
wurde“ von Gott behauptet, dass „der jede Lüge verbat“, oder wenn die
„Tagesschau“ berichtet, Chinas Regierende „verbieten sich die Einmischung…
in die inneren Angelegenheiten Chinas“, dann wird beide Male Ähnliches mit
Ähnlichem verwechselt und die Rede krank.
Indes, verböte man solche Missgriffe und verbäte es sich, sie zu zitieren,
die Glosse wäre zu Ende, ehe sie begonnen hätte. Nie erführen Sie, dass ein
„Hotel im benachbarten São Brás de Alportel im Namen christliche und
arabische Kultur vereinbart“ oder ein Raumfahrtunternehmen bald „die ersten
Kolonialisten auf den Roten Planeten schicken“, ein anderes sogar
„zigtausende Kolonialisten losschicken“ will (alles: taz), um, statt durch
Kolonisten den Mars urbar zu machen, erst mal die grünen Marsmännchen der
Herrschaft des weißen Mannes zu unterwerfen.
Knapp vorbei ist auch daneben. Das gilt in der Unterwelt, wo man „versucht,
einen Mordanschlag auszuüben“ (Arte-Videotext), wie im legalen
Geschäftsleben, wo Verkäufer eine „Weihnachtsgravitation“ (Erlanger
Nachrichten) erhalten; besonders trifft es das Militär, dessen Berufsrisiko
groß ist: „Soldaten mussten verkostet werden“, weiß die Badische Zeitung.
## Wenn Gott Erdbeeren schöpft
Hingegen „entspannt sich“ eine Lovestory in Tex Rubinowitz’ Roman „Irma…
bei dessen Lektüre die Leser sich vielleicht entspinnen werden, im
Unterschied zum Rezensenten. Wer nun meint, mit derlei Verwechslungen würde
ein Durcheinander geschaffen, irrt, weil es geschöpft wird. „Sechs Tage
hatte Gott geschuftet, die Erdbeere und die Rose geschöpft“, während David
Bowie die Figur des „Major Tom geschöpft hat“ (alles: taz) und eine
Titanic-Beiträgerin „eine Tragödie in fünf Aufzügen zu schöpfen“
vorschlägt. Ein großer Schöpfer ist auch „der mazedonische Schriftsteller
Vlada Urošević“, der „in den vergangenen Jahrzehnten ein großes Werk
erschaffen“ (Der Spiegel) hat, das nur mit „dem von CDU-Kanzler Helmut Kohl
erschaffenen Privatfernsehen“ (taz) zu vergleichen ist. Bei so viel
gottgleichem Tun verbittet, verbetet oder verbietet sich jede von
Menschenhand geschaffene Kritik.
Nicht jedoch an phonetisch oder semantisch ähnlich unähnlichen Wörtern, von
denen es teuflisch viele gibt, weshalb in einer Berghütte der Wirt
„scharfes Essen ausschenkt“ (taz) oder nach einem Massaker nur ein
kümmerlicher Rest an „Verbliebenen“ (taz) übrig bleibt. Ein Verstorbener,
so steht es in einer Traueranzeige im Göttinger Tageblatt, „ist
eingeschlafen“, und die Überlebenden, nein: die Verbliebenen, ach so: die
Hinterbliebenen danken „für die nahen Worte und Gesten“.
Doch siehe, die Hoffnung bleibt, wenn sogar Gegenstände lebendig werden,
wie es auf ZDF-Videotext über eine „Terra X“-Folge heißt: Es geht um „d…
Geschichte eines Schatzfundes, der gleich darauf verloren geht und gegen
alle Voraussagen wieder aufersteht.“
## Wenn Messi zur Perfektion reift
Fass dich kurz!, heischt der Volksmund, doch der Schnabel manches
Journalisten macht es zu kurz. „Adolf Hitlers Geburtshaus wird enteignet“,
meldet die taz; „Weinzierl hat die nötigen Tore eingewechselt“, behauptet
der ARD-Videotext über den Fußballtrainer. Wo aber Schatzfunde, Häuser und
Tore zu Menschen, womöglich zu wiederauferstandenen Gottmenschen werden,
müssen Menschen ausgleichshalber zu Sachen werden. „Laut niederländischem
Recht müssen die Ausbeuter von Bodenschätzen Personen kompensieren, die
durch ihre Aktivitäten zu Schaden kommen“ (taz); „der wohlhabende
Przepiorka verlagerte sich mit Familie an den Genfer See“, heißt es im
Schachmagazin Karl über das Exil eines Meisterspielers im Ersten Weltkrieg;
und die taz jubelt: Der Kicker „Messi reifte zur Perfektion des Spiels“.
Perfekt, wie sie ist, kennt die taz außerdem „das facettenhafte Denken Karl
Kraus“. Der hätte wohl nicht nur ob des Fehlens der Präposition „von“ o…
des Genitivartikels „des“ oder auch des Apostrophs, um Kraus’ Denken zu
beschreiben – drei Möglichkeiten, die eine facettenreiche Sprache wie das
Deutsche bietet – seiner Fassungslosigkeit Ausdruck verliehen, allerdings
kaum „in der fassungslosen Diktion von Jason Schwartzmann“ (taz), was immer
das sein mag.
Kraus’ Diktion war nicht formlos, sondern formvollendet, und damit die
Glosse nicht fassungslos endet, sei zum versöhnlichen Schluss ein
Aphorismus von Kraus zitiert: „Das Wort Familienbande hat einen
Beigeschmack von Wahrheit.“ Und siehe da, schreiben die Journalisten auch
schlecht, so sagen sie doch die Wahrheit: „Die Familienbanden sind hier so
fest wie der katholische Glaube“, berichtet der MDR über eine italienische
Stadt, während das Göttinger Tageblatt weiß: „Zugleich ist die familiäre
Bande im Jesidentum sehr stark.“
22 Feb 2017
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Sprachkritik
Rhetorik
Welt
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Satire
Beruf
Rhetorik
Sprache
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