# taz.de -- Film über die Teilung Indiens 1947: „Ich mache Filme, die jeder … | |
> Gurinder Chadhas Spielfilm „Viceroy’s House“ handelt vom Ende der | |
> britischen Herrschaft in Indien vor siebzig Jahren. Ein Gespräch. | |
Bild: Gurinder Chadha auf dem Roten Teppich der Berlinale | |
taz: Frau Chadha, in Ihrem Film „Viceroy ’s House“ zeichnen Sie ein | |
positives Bild von Lord Louis Mountbatten, dem letzten Vizekönig von | |
Indien. Wie hat sich Ihr Bild der britischen Rolle bei der Teilung Indiens | |
im Lauf der Arbeit an dem Film verändert? | |
Gurinder Chadha: Ich wollte einen Film über die Teilung machen, weil ich in | |
deren Schatten aufgewachsen bin. Als ich ein Kind war, hatte ich keine | |
wirkliche Heimat. Meine Heimat – ich meine damit das Land meiner Vorfahren, | |
meine Heimat ist London – gehört heute zu Pakistan. Vor etwa acht, neun | |
Jahren habe ich eine BBC-Dokumentation gedreht, und im Rahmen dieser Arbeit | |
bin ich das erste Mal dorthin gefahren. Diese Rückkehr war bewegend für | |
mich. Ich habe das Haus meines Großvaters gefunden, das meine Großmutter | |
mit ihren Kindern in dieser schrecklichen Zeit verlassen hatte – und in | |
eben diesem Haus lebten fünf Familien, die ihrerseits in der Zeit der | |
Teilung geflohen waren. Da habe ich beschlossen, dass ich einen Film | |
darüber machen will, was mit einfachen Menschen in so einer Zeit passiert. | |
Wie haben Sie angefangen, an dem Film zu arbeiten? | |
Als ich vor sieben Jahren begonnen habe, an dem Film zu arbeiten, war die | |
Welt eine komplett andere – Obama war an der Macht, es gab keinen Brexit, | |
es gab noch nicht einmal den IS. Ich wollte die Geschichte der Teilung aus | |
einer historischen Perspektive erzählen, aber zugleich war ich mit dem | |
aufgewachsen, was ich an britischen Schulen gelernt hatte: dass die Teilung | |
wegen uns selbst erfolgt ist, dass es unser eigener Fehler war. Dass | |
Mountbatten nach Indien entsandt worden sei, um Indien zurückzugeben, aber | |
weil wir begonnen hätten, miteinander zu kämpfen und einander zu töten, | |
habe er keine andere Wahl gehabt, als das Land zu teilen. | |
Was hat Ihre Perspektive in die Richtung verändert, wie die Geschichte der | |
Teilung im Film erzählt wird? | |
Als ich anfing zu recherchieren, fanden wir Belege dafür, dass die | |
Entscheidung zur Teilung von vornherein getroffen war, dass es eine | |
politische Entscheidung war, um Asien für Großbritannien und die USA zu | |
sichern und die sowjetische Expansion zu verhindern. Niemand in meiner | |
Familie hatte je von dieser globalen Perspektive der Teilung gehört. Das | |
war für mich eine wirklich überwältigende Erkenntnis, und zwar sowohl in | |
politischer Hinsicht als auch für die Erkenntnis, dass das der wirkliche | |
Grund war, weshalb meine Tante verhungert war. Ich habe dann versucht, | |
diese beiden Seiten in eine Balance zu bekommen, um den normalen Menschen | |
meine Reverenz zu erweisen. Daher habe ich den Film in die Ästhetik eines | |
britischen Großfilms gebracht – viele Menschen fühlen sich mit dieser Art | |
Film sehr wohl, aber das lässt sich auch subversiv nutzen. | |
Es war Cyril Radcliffe, der beauftragt wurde, die Grenzlinie zu ziehen. Wie | |
beurteilen Sie seine Rolle? | |
Es wäre heutzutage schlicht zu simpel, einen Film mit einem großen Schurken | |
zu machen. An Radcliffe beispielsweise scheint mir viel interessanter, dass | |
er vor der Karte sitzt und denkt „was für ein Chaos“, als jemanden zu | |
zeigen, der das kurz mal erledigt. Außerdem hat Ratcliffe sein Honorar für | |
den Auftrag, die Grenzen zu ziehen, in der Tat nie angenommen. Aber auch | |
sonst schien es mir ungleich interessanter, einen Film zu machen, in dem | |
alle als Menschen gezeigt werden, die Entscheidungen auf der Basis ihrer | |
Interessen treffen, zu ihren eigenen Gunsten. Dabei schaden sie womöglich | |
anderen, aber man sieht den ganzen Prozess dahinter. Ich glaube nicht, dass | |
ich Mitgefühl damit zeige, sondern zeige, wie Geopolitik funktioniert, wie | |
der Mechanismus von „Teile und herrsche“ funktioniert. Wenn ich die Briten | |
als Schurken gezeigt hätte, hätte ich das Publikum verloren, bevor ich den | |
wichtigeren Punkt zu dem gemacht hätte, was wir heute Fake News nennen – | |
politische Propaganda und die Instrumentalisierung politischer Ereignisse. | |
In „Viceroy ’s House“ zeigen Sie Archivmaterial. Warum? | |
Ich habe etwa sechs Stunden Archivmaterial gesichtet. Ich glaube, alles, | |
was man zu der Zeit der Teilung sehen kann, habe ich auch gesehen – aus | |
Indien, aus den USA, aus Großbritannien, aus Europa. Für mich war es | |
wichtig, dieses Archiv von Bildern als Teil der Erzählung zu benutzen. Ich | |
habe mich entschieden, keine Szenen mit all den Toten, der Zerstörung und | |
der Gewalt zu rekonstruieren, sondern die Archivbilder zu nehmen. Denn all | |
das gab es in diesen Bildern aus den Archiven. Also habe ich das Setting | |
mit Mountbatten, der sich im Kino diese Bilder vorführen lässt, benutzt, um | |
uns zu diesen Archivbildern hinzuführen. Ich habe die Archivbilder dazu | |
benutzt, zu verdeutlichen, dass die Geschichte der Teilung sich wirklich | |
ereignet hat. | |
Viele Ihrer Filme sind geprägt von einer Mischung aus einer starken | |
filmischen Handschrift und einer populären Form. | |
Für mich war es immer wichtig, dass die Filme, die ich mache, den Leuten | |
gefallen würden, von denen sie handeln. Damit meine ich nicht | |
antiintellektuell, sondern zugänglich zu sein. Ich will Filme machen, die | |
normale Menschen verstehen und mögen können – und das gilt auch für diesen. | |
Ich will keine schweren politischen Filme machen, weil ich genau weiß, dass | |
meine eigenen Kinder das nicht sehen würden. Ich betrachte Film als eine | |
Möglichkeit, Informationen und wichtige Perspektiven zu vermitteln. Als ich | |
den Film geschrieben habe, gab es einen Film, der sehr wichtig für mich war | |
– das war „Das Leben der Anderen“. Das ist einer meiner Lieblingsfilme. | |
Was hat Ihnen daran besonders gefallen? | |
Für mich ist das ein aufschlussreicher Film über normale Menschen, die ihre | |
Leben leben, und irgendjemanden über ihnen, der ihr Leben kontrolliert. | |
Aber über diesem Jemand gibt es wieder jemanden anderen, der ihn | |
kontrolliert, und über diesem wieder und so weiter. Dieses System der | |
Kontrolle und Angst ist der Art sehr ähnlich, wie das britische | |
Kolonialreich funktionierte. Aber das wunderbare an „Das Leben der | |
Anderen“ ist, dass der Film dabei so menschlich ist. Für mich ist das ein | |
unglaublich heilsamer Film. | |
Wie bekannt ist in Großbritannien, dass sich die indische Unabhängigkeit – | |
und damit auch die Teilung – nun zum 70. Mal jährt? | |
Überhaupt nicht, kaum jemand weiß das. Ich bin demnächst in den Buckingham | |
Palace eingeladen, zur offiziellen Eröffnung der Feierlichkeiten zum 70. | |
Jahrestag durch die Queen. Aber viele kennen diese Geschichte nicht, selbst | |
viele Inder kennen sie nicht. Die Menschen wollen nicht über die Teilung | |
reden. Es war für alle ein unschöner Teil der Geschichte. Indien und | |
Pakistan würden die Geschichte der Teilung lieber vergessen und nach vorne | |
schauen. Für mich ist es unglaublich, dass diese Geschichte so unbekannt | |
ist. | |
17 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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