| # taz.de -- Kolumne Rollt bei mir: „Geht nicht“, sagte sie | |
| > Wie gerne würden wir auf den Behindertenbonus verzichten – schon weil das | |
| > jeweilige Motiv so furchtbar unklar ist. | |
| Bild: Schneller an den Stempel kommen | |
| Es gibt sie, diese Momente im Leben eines behinderten Menschen, in denen | |
| man einfach so durchgewunken wird. Wo Kinder sogar vom Management eines | |
| Stars (in diesem Fall des israelisch-amerikanischen Geigers Itzhak Perlman) | |
| weggeschickt, ich aber durchgelassen werde und so meinem Vorbild aus der | |
| Kindheit die Hand schütteln konnte. | |
| Dass ich sogar manchmal süße Kinder aussteche, ist enorm. Was habe ich mehr | |
| zu bieten? Süßer betteln kann ich bestimmt nicht, möchte ich auch gar | |
| nicht. Irgendein Vorteil muss das Kindsein doch noch haben. Was bitte, wenn | |
| nicht klein und süß sein? | |
| Es ist die an dieser Stelle schon oft zitierte Unsicherheit, die herrscht, | |
| weil Menschen mit und ohne Behinderung schlicht nicht aneinander gewöhnt | |
| sind, was an dieser Stelle genauso häufig angeklungen ist. Dies führt dazu, | |
| dass ich früher dran bin als andere. An Schaltern oder in der Kirche beim | |
| Abendmahl. | |
| Menschen mit Behinderung nennen dies den Behindertenbonus. Dieser eine | |
| Moment, wo es reicht, eine Behinderung zu haben ergo „arm dran zu sein“, um | |
| etwas schneller als andere zu bekommen. Man möchte ja nicht an einem | |
| Schwächeanfall oder so der Behinderten schuld sein, der jederzeit hier und | |
| da passieren kann. | |
| ## Vor allem für die Optik | |
| Auf diesen Bonus könnten wir gerne verzichten. Denn wäre er nicht, wäre | |
| auch die Behinderung nicht da, aber das ist eine andere Geschichte. Die | |
| Behinderung ist nun mal da und man nimmt beispielsweise ja auch mehr Platz | |
| in einer Schlange mit dem Rollstuhl ein als eine stehende Person, da lohnt | |
| es sich schon vor allem für die Optik, mich vorzulassen. | |
| Das Schicksal lächelt einem in diesen Momenten etwas zu, bei dem man die | |
| deutsche Gründlichkeit überwindet und beim Amt schneller an einen Stempel | |
| oder bei der Bahn an ein Bahnticket kommt. | |
| Im nächsten Moment legt man sich vor besagter Schlange der Länge nach auf | |
| die Nase und wünscht sich, den Bonus nicht erhalten zu haben. Denn er ist | |
| vielleicht auch als Wiedergutmachung von den Durchlassern gemeint. | |
| Eine Behinderung erzeugt öfters Mitleid und deshalb wird man dann | |
| vorgelassen. Aber niemand kann und vor allem muss da irgendwas | |
| „wiedergutmachen“. Der-/ diejenige kann dies auch gar nicht. | |
| ## Wiedergutmachenwollen | |
| Dieses Szenario des Wiedergutmachenwollens ist befremdlich. Es ist | |
| vielleicht eine Vorverurteilung in ein „Sie hat es schlecht, also muss man | |
| ihr eine Freude machen“. Oder aber eine simple Nettigkeit. Man müsste ein | |
| Radar dafür haben, welches Motiv es in diesem Moment ist. | |
| Ich lasse so oft nicht nur Schlangen links liegen, sondern spare auch Zeit | |
| bei der Platzsuche. Es gibt Parkplätze für Menschen mit Behinderung sowie | |
| Rollstuhlplätze im Kino. Meistens sind sie neben einer der letzten | |
| Kinoreihen oben platziert. Da herrscht dann keine Wahl. Neulich verkaufte | |
| mir die Kinokartenverkäuferin nur den Rollstuhlplatz, obwohl ich mir | |
| eigentlich einen Platz aussuchen wollte, den ich mit den Krücken erreichen | |
| würde. | |
| „Geht nicht“, sagte sie, „Brandschutzbestimmungen“, und wies mir den Pl… | |
| für RollstuhlfahrerInnen zu. Von wegen Bonus. | |
| 21 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Judyta Smykowski | |
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