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# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Spanien: Schuhe auf der Puerta del Sol
> Hungerstreikende fordern in Madrid Maßnahmen gegen häusliche Gewalt: Seit
> Jahresbeginn sind 16 Frauen von ihren (Ex-)Partnern ermordet worden.
Bild: Sechs Frauen sind seit vergangenem Donnerstag am Platz Puerta del Sol im …
Madrid taz | Terrorismus ist das Wort, das Susana Bejarano am meisten
benutzt. Die 46-jährige Mutter zweier Söhne meint damit nicht den radikalen
Islamismus oder die baskische Separatistenorganisation ETA, sie redet von
häuslicher Gewalt. „Im vergangenen Jahr wurden in Spanien 105 Frauen von
ihrem Partner oder Expartner ermordet, und seit Jahresbeginn sind es schon
wieder 16“, verweist sie auf die traurige Statistik. Die dabei ums Leben
gekommenen Kinder wurden nicht mitgezählt.
Zusammen mit fünf weiteren Frauen ist Bejarano seit vergangenem Donnerstag
im Hungerstreik. „Wir wollen, dass die Politiker endlich etwas gegen diesen
Femizid unternehmen“, sagt sie. Die sechs fordern einen „Krisenstab gegen
geschlechtsspezifische Gewalt“. Alle sechs wurden selbst Opfer der
Brutalität ihrer Expartner und gehören der Selbsthilfeorganisation „Ve la
Luz“ (Sieh das Licht) an. Sie haben auf der Madrider Puerta del Sol – dort,
wo einst die „Empörten“ mit ihrem Protestcamp für weltweite Schlagzeilen
sorgten – einen notdürftigen Unterstand errichtet.
Tagsüber dient diese Bude als Infostand. Nachts schlafen die sechs darin.
Vor dem Stand haben sie mit roten Schuhen ein riesiges Friedenszeichen
ausgelegt. Auf Kartons stehen die Namen ermordeter Frauen. Das Symbol der
roten Schuhe kommt aus Mexiko, wo tödliche Gewalt gegen Frauen ebenfalls
brutaler Alltag ist.
Bejarano, Angestellte in der Behindertenbetreuung, durchlebte 15 Jahre die
Hölle der häuslichen Gewalt. „Von meinem 18. bis zu meinem 33. Lebensjahr
gehörten psychische Misshandlung und Schläge zum Alltag“, erinnert sie
sich. Bis ihr Partner sie eines Tages bewusstlos schlug. „Es war mein
achtjähriger Sohn, der die Polizei verständigte.“ Bejarano brachte endlich
den Mut auf, sich zu trennen.
Der Infostand ist gut besucht. Vor allem Frauen halten inne, hören zu,
berichten von eigenen Erfahrungen. „Das hat nichts mit der sozialen Schicht
zu tun. Häusliche Gewalt gibt es überall“, meint eine von ihnen. Eine
Lehrerin berichtet: „Das geht schon ganz jung los. 14-jährige Mädchen, die
keinen kurzen Rock tragen, weil ihr Freund das nicht will. Eine Schülerin
verteidigte mir gegenüber die ständige Überwachung durch ihren Freund:
‚Wenn er nicht eifersüchtig ist, liebt er dich nicht!‘“ – „Schreiben…
Das passiert hier in Spanien mitten in Europa und nicht irgendwo in einem
unterentwickelten Land“, erhebt eine ältere Dame ihre Stimme, dreht sich um
und geht.
Die sechs Frauen auf Sol sammeln Unterschriften unter einen
25-Punkte-Katalog. „Wir wollen ein umfassendes Gesetz für einen besseren
Schutz der Frauen und bessere Programme zur Unterstützung der Opfer“,
erklärt Bejarano. Ihr liegen besonders die Kinder am Herzen. „Mein Kleiner
war damals drei Jahre alt. Er redete nicht“, berichtet sie. Erst nach der
Trennung lernte er das Sprechen. „Die Kinder sind meist völlig
traumatisierte, sie brauchen umfassende Betreuung“, und die gebe es bisher
nicht. „Die konservative Regierung redet ständig von den Opfern des
Terrorismus, dabei hat ETA vor Jahren die Waffen niedergelegt. Wir wollen
einen Status, der mit dem der Opfer des Terrorismus vergleichbar ist“.
So weit ist es noch lange nicht. Im Parlament soll ein Pakt zwischen allen
Parteien unterzeichnet werden. „Die Unterschrift wurde von April auf Juni
verlegt“, ist Bejarano empört. Bis dann endlich etwas geschieht, soll erst
einmal eine Parlamentskommission Sachverständige und Opfer anhören. „Das
alles dauert mindestens bis Herbst“, ist sich Bejarano sicher. Bisher hat
kein Politiker die Frauen auf der Puerta del Sol besucht.
Seit 2004 gibt es ein erstes „Gesetz zum umfassenden Schutz gegen
geschlechtspezifische Gewalt“. Nur genutzt hat es wenig. Jahr für Jahr
steigt die Zahl der tödlichen Opfer. „Richter und Staatsanwälte sind doch
selbst meist Machisten“, sagt eine der Umstehenden. Immer wieder räumen die
Richter bei einer Scheidung trotz Anzeige von häuslicher Gewalt den Tätern
Besuchsrecht bei den Kindern ein. Es kommt immer wieder zu tödlichen
Attacken im Moment der Kinderübergabe. 41 Prozent der 2016 ermordeten
Frauen hatten zuvor die häusliche Gewalt zur Anzeige gebracht. „Wenn du
bisher deinen Partner anzeigst, endest du oft dort“, sagt Bejarano und
zeigt mit angespannter Miene auf die Namenstafeln und die roten Schuhe auf
dem Platz.
15 Feb 2017
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Gewalt gegen Frauen
häusliche Gewalt
Spanien
Schwerpunkt Femizide
Frauenrechte
Gina-Lisa Lohfink
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