# taz.de -- Neuer Krieg im Kongo: Die Krieger von Kasai | |
> In der traditionell aufsässigsten Region des Landes greift ein Aufstand | |
> um sich. Der Staat antwortet mit brutaler Gewalt gegen die Bevölkerung. | |
Bild: „Das Volk zuerst“: Dieser UDPS-Slogan drückt aus, wie sich Kasais Be… | |
BERLIN taz | Fotos zeigen tote Kinder im Sand verstreut vor einer Hütte. | |
Der lokale Parlamentsabgeordnete Claudel Lubaya spricht von einem | |
„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und fordert Aufklärung und Dialog. | |
Die Tötung von bis zu 100 Menschen durch Soldaten in der kongolesischen | |
Stadt Tshimbulu am 9. und 10. Februar schlägt hohe Wellen. | |
Die Gewalt in der Provinz Kasai Central und Nachbarregionen hat längst | |
Bürgerkriegsausmaße erreicht. „Der Staat und die staatliche Autorität | |
existieren nicht mehr“, schrieb Parlamentarier Lubaya in seinem am Sonntag | |
veröffentlichten offenen Brief. „Stattdessen sind Milizen das Gesetz. Ihnen | |
gegenüber stehen Sicherheitskräfte mit dem Finger am Abzug, bereit, auf | |
alles zu schießen, was sich bewegt.“ | |
Kasai Central ist die Heimat des kürzlich verstorbenen wichtigsten | |
kongolesischen Oppositionsführers Etienne Tshisekedi, der am Rande der | |
Provinzhauptstadt Kananga geboren wurde. Kasai ist Hochburg der | |
Tshisekedi-Partei UDPS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt), | |
aber alle Provinzregierungen der Region kommen aus dem Lager der Regierung | |
von Präsident Joseph Kabila. | |
## Konflikte um „traditionelle“ Ämter | |
Eine Besonderheit der Kasai-Region ist nicht nur die Oppositionshaltung, | |
sondern die Vielzahl ungelöster Machtkämpfe. Die riesige Savannenregion | |
wird seit der Kolonialzeit von traditionellen Chiefs verwaltet, deren Ämter | |
in der Familie vererbt werden – aber Kongos Staatsmacht muss die Erben | |
jeweils bestätigen. Oft sind sich Familie und Staat uneins. | |
Zwei solche Konflikte sind der Ursprung der aktuellen Gewalt, führte | |
Emmanuel Ramazani, Fraktionschef von Kongos Regierungspartei PPRD | |
(Volkspartei für Wiederaufbau und Entwicklung), am 12. Januar im Parlament | |
aus: In Kamuina Nsapu nahe Tshimbulu verweigerte der Staat Jean-Pierre | |
Pande Nsapu, Neffe des 2012 verstorbenen Bajila-Kasanga-Chiefs, die | |
Nachfolge, weil er weggezogen war. In Tshikapa erkannte Mbau Nkanka, Onkel | |
eines 2016 vom Staat bestätigten neuen Chiefs, die Nachfolge nicht an. | |
Nsapu, der seine Bevölkerung zum Verjagen der „fremden Söldner“, also des | |
Staates, aufrief, wurde im August 2016 von Sicherheitskräften getötet. | |
Seine Leiche wird bis heute der Familie vorenthalten. Das war das Fanal zur | |
Revolte in Tshimbulu. | |
Mittlerweile hat der Aufstand die gesamte Region zwischen Tshikapa und | |
Kananga ergriffen. PPRD-Fraktionschef Ramazani sprach von einer | |
„Aufstandsbewegung, die den Institutionen den Krieg erklärt hat“. | |
Berichten zufolge sind die meisten Aufständischen Kinder ab 10 Jahren. | |
Ausgerüstet mit Stöcken und roten Stirnbändern, verlassen sie sich gegen | |
die Armee auf Kriegsrufe und Zauberwasser. Doch wenn das alles wäre, wäre | |
der Spuk längst vorbei. | |
Die Revolte ist ein Symptom desaströser Lebensumstände. Wie die katholische | |
Kirche Kasais in einem Hirtenbrief im Dezember schrieb: Außer | |
Fahrradkurier, Diamantenschürfer oder Drogenanbauer gibt es für die Jugend | |
kaum Jobs. | |
Lokale Beobachter bezeugen, dass sich in einigen Regionen die Polizei auf | |
die Seite der Rebellen geschlagen hat. In Tshikapa wurde der lokale | |
UDPS-Koordinator unter dem Vorwurf der Unterstützung der Aufständischen | |
festgenommen. | |
## „Entwürdigt und traumatisiert“ | |
Der Staat „hat uns entwürdigt und traumatisiert,“ schrieb bereits im August | |
ein Aktivist aus Kasai Central. „Die Staatsmacht hat in Tshimbulu alle | |
Kinder zwischen 5 und 12 Jahren unter dem Vorwurf des Terrorismus gegen den | |
Staat ausgelöscht.“ Mindestens 600 Menschen seien bei Übergriffen durch | |
Soldaten ums Leben gekommen, heißt es in einem Bericht der humanitären | |
UN-Koordinationsstelle OCHA von Mitte Januar. | |
Von Hausdurchsuchungen und „wahllosen und brutalen Festnahmen von Kindern“ | |
ist die Rede: „Die Bevölkerung lebt in einem allgemeinen Schockzustand und | |
scheint jedes Vertrauen in die Streitkräfte und die staatliche Ordnung | |
verloren zu haben.“ | |
Nach UN-Angaben hat die Gewalt seit August 2016 mindestens 216.000 Menschen | |
in die Flucht getrieben. Berichten zufolge leben im Distrikt Dibaya, wo | |
Tshimbulu liegt, 80 Prozent der eine Million Einwohner inzwischen in den | |
Wäldern. | |
14 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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