| # taz.de -- Die Wahrheit: „Man muss loslassen können“ | |
| > Was, wenn das Schule macht, einfach aufzugeben? Mahmud M. will auf keinen | |
| > Fall mehr Terrorist sein – die Geschichte einer Entsagung. | |
| Bild: Seit 2006 (Foto) wird der BER beerdigt – sehr zum Leidwesen des Terrors | |
| Oberkommissar Müller vom LKA Berlin fasst es immer noch nicht, dass ihm | |
| solch ein dicker Fisch ins Netz gegangen ist, nur drei Wochen nach der | |
| Soko-Gründung „Fliege“. „Vorbereitung eines terroristischen Anschlags“, | |
| ruft er fröhlich und klatscht in die Hände, „der wollte den Flughafen BER | |
| in die Luft sprengen!“ Dann entschuldigt sich der Brillenträger, er müsse | |
| dringend „eine PK einberufen“. Doch so ein großer Fahndungserfolg ist es | |
| nicht. Denn der Verdächtige, Mahmud M. (31), hat sich freiwillig der | |
| Polizei gestellt. | |
| Mahmud M. sieht erschöpft aus, als wir ihn in seiner Zelle in der U-Haft in | |
| Berlin-Moabit aufsuchen. Er hat dunkle Ringe um die Augen, seine Stimme ist | |
| schleppend und leise, als er von seinen Plänen erzählt. „Na ja, eigentlich | |
| ganz klassische Sache“, beginnt er, „ich wollte den BER in die Luft | |
| sprengen, gleich am ersten Tag, bei der Eröffnung. So mit Bombengürtel als | |
| Tourist oder als Servicekraft verkleidet und dann rein in die | |
| Menschenmenge, vielleicht im Duty-Free oder beim Einchecken und dann – | |
| peng.“ | |
| 2006 las Mahmud M., dass ein neuer Flughafen in Schönefeld gebaut werden | |
| sollte. „Ich hab mich vorher dafür nicht so interessiert, aber dann war da | |
| der Spatenstich und 2011 sollte schon die Eröffnung sein. Na, dachte ich, | |
| da hab ich ja noch ein paar Jahre Zeit“, erzählt er weiter. „Ich hab mir | |
| einen Job gesucht – du kannst ja nicht von Hartz IV leben, wenn du einen | |
| terroristischen Anschlag planst. Dann hab ich Schulungen gemacht, wie man | |
| Bomben baut und so, zuerst online, dann hab ich auch das eine oder andere | |
| Schulungscamp in Pakistan und Iran besucht für die Praxis, wie man die | |
| Bomben baut und wie man möglichst viele Ungläubige mitnimmt.“ | |
| Mahmud M. hat Mühe fortzufahren. „Dann hab ich zu Hause geübt, wie man mit | |
| einer Videokamera umgeht, wegen des Bekennervideos und so. Dann | |
| Videoschnitt am Computer gelernt. Den Text geschrieben, das kann man ja | |
| nicht mal eben so. Da muss man im Koran lesen, um auch die passenden Suren | |
| zitieren zu können. Dann hab ich mir mühsam die BER-Pläne besorgt und noch | |
| ’nen VHS-Abendkurs Architektur belegt, um die überhaupt entziffern zu | |
| können.“ Er seufzt. „Und nun – alles umsonst.“ | |
| ## Auch 2017 wird es nix | |
| Mahmud M. gibt auf. Bläst den Anschlag ab, stellt sich der Polizei: „Nach | |
| der letzten Eröffnungsterminverschiebung neulich, als klar war, dass es | |
| auch 2017 nichts wird. Als ich anfing den Anschlag zu planen, war ich ein | |
| junger Mann, ich wollte aus meinem Leben was machen – ein großes, religiös | |
| motiviertes Selbstmordattentat. Alt wollte ich hier nie werden.“ | |
| Schließlich war auch der letzte Rückhalt futsch. „Ich hatte damals sofort | |
| Kontakt zu al-Qaida aufgenommen, um Hilfe zu kriegen. Ein paar Jahre später | |
| sprang al-Qaida ab, weil ‚das ganze zu lange dauert‘. Da hab ich beim IS | |
| angerufen. Aber die haben inzwischen auch kein Interesse mehr, genauso wie | |
| Boko Haram. Bringt ja nichts, wenn ich irgendwann den Anschlag mache und | |
| keine der großen Terrororganisationen übernimmt die Verantwortung dafür.“ | |
| Wie Mahmud M. geht es wahrscheinlich vielen Selbstmordattentätern in | |
| Deutschland. Jahrelange, gründliche Planungen werden durch Filz, Pfusch, | |
| Bürokratie und Inkompetenz zunichtegemacht. „Die Kollegen in Hamburg, die | |
| haben’s gut, was glauben Sie, wie die gefeiert haben, als die | |
| Elbphilharmonie neulich eröffnet wurde. Da haben die Korken geknallt. Aber | |
| die sind zwischendurch auch ganz schön auf dem Zahnfleisch gegangen.“ | |
| ## Wo bleibt die Flexibilität? | |
| Was, wenn das Schule macht, einfach aufzugeben? Was, wenn andere | |
| Selbstmordattentäter es Mahmud M. nachmachen? Etwa in Stuttgart, beim Bau | |
| des neuen Bahnhofs? Wir fragen ihn, wieso er nicht flexibler bei der Wahl | |
| seines Anschlagsziels ist. Vielleicht einen anderen Flughafen in die Luft | |
| sprengen, Tegel etwa. „Ach, Tegel!“, sagt er traurig. „Da hätte ich viel… | |
| viel Sympathien von der falschen Seite bekommen. Allein die Anwohner in der | |
| Einflugschneise, die seit Jahren darauf warten, dass Tegel geschlossen | |
| wird. Die Einzige, die sich wirklich ärgern würde, ist die FDP, der hätte | |
| ich letztes Jahr den Wahlkampf verderben können. Das war es mir aber dann | |
| doch nicht wert. Nein, mir ist das Projekt in den letzten Jahren ans Herz | |
| gewachsen. Aber man muss auch mal loslassen können, das ist das Erste, was | |
| man als Selbstmordattentäter in den Schulungslagern lernt.“ | |
| Wie wird es nun weitergehen mit Mahmud M.? Erst einmal wartet eine | |
| langjährige Haftstrafe auf ihn. Und dann? „Ich bin durch und durch | |
| Selbstmordattentäter“, sagt er und lässt die Schultern sinken. „Ich hab ja | |
| nie für ein langes Leben geplant – Familie, Kinder, Karriere, Rente und so. | |
| Vielleicht hab ich ja Glück und werde in der U-Haft Opfer von | |
| Polizeigewalt.“ Ein hoffnungsvolles Lächeln huscht über sein Gesicht. | |
| Man möchte es ihm nicht wünschen. Denn er hat es eigentlich nicht verdient. | |
| 31 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael-André Werner | |
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