# taz.de -- Wochenlanger Ärztestreik in Kenia: Tote statt Tarifvertrag | |
> In Kenia streiken die Ärzte, weil ihr Tarifvertrag nicht umgesetzt wird. | |
> Dutzende Patienten sind gestorben, doch die Regierung gibt sich | |
> kompromisslos. | |
Bild: Haben schon seit drei Jahren ihr erhöhtes Gehalt nicht bekommen | |
Nairobi ap | Sharon Andisi krümmt sich vor Schmerzen. Die 23-jährige | |
Kenianerin hat Wehen. Sie kauert am Taxistand vor der Pumwani-Geburtsklinik | |
in Nairobi. Dort hat man die werdende Mutter gerade abgewiesen. Der Grund: | |
Seit mehr als einem Monat streiken in Kenia die Ärzte. | |
Um die hochschwangere Andisi versammelt sich schnell eine Gruppe Menschen. | |
Ein Taxifahrer bietet an, die junge Frau in eine private Klinik zu fahren. | |
Eigentlich kann sich das die arbeitslose Lehrerin nicht leisten – die | |
privaten Krankenhäuser verlangen für eine Entbindung ohne Komplikationen | |
umgerechnet rund 100 Euro, mehr als das Sechsfache dessen, was Andisi in | |
einem staatlichen Krankenhaus zahlen müsste. Doch sie hat keine Wahl. | |
Andisi schafft es gerade noch zur Rezeption der Edna-Klinik. Dann kommt ihr | |
Baby zur Welt, ein kleines Mädchen, dem sie den Namen Rosa gibt. Nicht alle | |
haben so viel Glück wie Andisi. Der örtliche Fernsehsender Citizen TV | |
Saturday dokumentierte den Fall einer Schwangeren, deren Baby starb, | |
nachdem die Pumwani-Klinik es abgelehnt hatte, sie zur Entbindung | |
aufzunehmen. Normalerweise werden dort mehr als 350 Kinder pro Woche | |
geboren. | |
Der Ärztestreik in Kenia begann am 5. Dezember. Die Mediziner fordern | |
höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Es sind keine neuen | |
Forderungen. Die Ärzte wollen lediglich, dass die Regierung eine bereits | |
2013 unterzeichnete Tarifvereinbarung umsetzt, wonach ihnen eine | |
Gehaltserhöhung um 180 Prozent zusteht. | |
Der Streik hat das Gesundheitswesen praktisch lahmgelegt. Vermutlich sind | |
schon mehrere Dutzend Menschen gestorben, weil sie nicht schnell genug | |
medizinische Hilfe erhielten. Nur wenige Tage nach Beginn des Ausstands | |
sprach Präsident Uhuru Kenyatta von mindestens 20 Toten infolge des | |
Streiks. | |
## „Wir haben es endgültig satt“ | |
Kenyatta hat die Ärzte wiederholt aufgefordert, den Arbeitskampf zu | |
beenden. Zunächst appellierte er an ihr Mitgefühl, dann bot er ihnen eine | |
Gehaltserhöhung an, die allerdings nicht der vor drei Jahren vereinbarten | |
entsprach. Die Apotheker- und Ärztegewerkschaft KMPDU lehnte dies ab. Sie | |
besteht auf einer sofortigen Umsetzung des Tarifvertrags. | |
Schon 2012 legten die Ärzte die Arbeit nieder, um gegen den desolaten | |
Zustand des öffentlichen Gesundheitswesens zu protestieren. In manchen | |
Krankenhäusern fehlen Einweghandschuhe oder Medikamente in der Notaufnahme, | |
und wenn der Strom ausfällt, ersetzt die Taschenlampe eines Smartphones die | |
Beleuchtung im OP. | |
„Wir haben es endgültig satt“, sagt Gewerkschaftssprecherin Nelly Bosire. | |
Trotz der hohen Ansprüche an seine akademische Qualifikation erhalte ein | |
Arzt in einem staatlichen Krankenhaus in Kenia ein Grundgehalt von | |
umgerechnet nur 400 Euro – dagegen verdiene ein Abgeordneter etwa 13.000 | |
Euro im Monat. Die Forderungen nach einer besseren Bezahlung der Mediziner | |
reichen laut Bosire bis ins Jahr 1984 zurück. | |
## Unbeeindruckte Streikende | |
Die Regierung argumentiert ihrerseits, die Forderungen der Ärzte könnten | |
Begehrlichkeiten bei anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes | |
wecken. Sie hat damit gedroht, alle Ärzte, die sich weiter am Streik | |
beteiligen, zu entlassen. Ein Gericht erließ Haftbefehl gegen | |
Gewerkschaftsfunktionäre, weil sie der Aufforderung, den Ausstand zu | |
beenden, nicht nachgekommen waren. | |
Doch die meisten Ärzte zeigen sich von den Drohungen unbeeindruckt. Viele | |
hätten ohnehin noch einen Nebenjob, um ihr mageres Medizinergehalt | |
aufzubessern, sagt Bosire. | |
Andisi, die gerade ihre Tochter zur Welt gebracht hat, hat trotz ihrer | |
persönlichen Erlebnisse Verständnis für den Streik. „Ich hätte heute | |
sterben oder mein Baby verlieren können“, sagt sie. Der Staat müsse sich | |
endlich um die Belange der Ärzte kümmern. „Die Regierung verschließt die | |
Augen vor unserem Leid.“ | |
13 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Tom Odula | |
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