# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Kenia: Wie Geflüchtete Terroristen werden | |
> Kenia unterhält seit 25 Jahren das größte Flüchtlingslager der Welt. | |
> Jetzt soll es geschlossen werden. Die somalischen Flüchtlinge wurden zu | |
> Terroristen erklärt. | |
Bild: Somalische Flüchtlinge warten 2011 auf ihre Registrierung im kenianische… | |
NAIROBI taz | „Es muss ein Ende haben, Flüchtlinge zu beherbergen“, hatte | |
Kenias Regierung im Mai 2016 verkündet. Ein Vierteljahrhundert ist das | |
weltweit größte Flüchtlingslager alt. Einst war es von UN-Hilfswerken aus | |
dem kargen Wüstenboden gestanzt worden. Unter dem somalischen Namen | |
„Dadaab“ hat die Zeltstadt, die auf keiner Landkarte verzeichnet ist, | |
traurige Berühmtheit erlangt. Fotos von bis auf die Knochen ausgehungerten | |
Kindern im Wüstensand gingen um die Welt. 1992 war das Lager im Nordosten | |
Kenias entlang zur Grenze mit Somalia für rund 30.000 Menschen errichtet | |
worden, die vor dem ausbrechenden Konflikt in ihrer Heimat ins Nachbarland | |
flüchteten. | |
Im Verlauf der Jahrzehnte wuchs Dadaab zum größten Flüchtlingslager der | |
Welt an. Rund eine halbe Million Menschen hausten dort unter elenden | |
Bedingungen zu Hochzeiten, als 2011 und 2012 in Somalia Krieg, Dürre und | |
Hungersnot herrschte. Rund 35.000 kehrten in den vergangenen Jahren | |
freiwillig zurück in ihre Heimat, rund 16.000 wurden in Drittländer | |
ausgeflogen, die meisten in die USA, nach Großbritannien oder Schweden. | |
Rund 40.000 erhielten kenianische Pässe. | |
14.000 nicht-somalische Flüchtlinge wurden in ein weiteres Camp in die | |
nordwestliche Region Turkana verlegt. Dort bietet das zweitgrößte Lager, | |
Kakuma, nahe der Grenze zu Südsudan derzeit 186.000 Flüchtlingen Schutz, | |
die meisten Südsudanesen. Auch Kakuma sollte nach Plänen der Regierung | |
dicht gemacht werden. Doch dann war im Juli 2016 im Südsudan erneut Krieg | |
ausgebrochen, täglich retten sich tausende Südsudanesen über die Grenze. | |
Notgedrungen musste Kenia das Lager erhalten. Es wird jetzt weiter | |
ausgebaut. | |
Im November 2016 lebten nach UNHCR-Angaben in den fünf Siedlungen Dadaabs | |
noch rund 275.000 Flüchtlinge, fast alle Somali. Die UN schätzt, die | |
endgültige, freiwillige Rückkehr aller Flüchtlinge könne erst im Jahr 2032 | |
erfolgen. Doch das geht Kenias Regierung nicht schnell genug. Im Mai 2016 | |
hat das Innenministerium auf Beschluss des nationalen Sicherheitsrates | |
verkündet, das Lager werde Ende November 2016 dicht gemacht. Es würden dort | |
keine neuen Ankömmlinge mehr registriert. Im Gegenteil: Die Somali sollen | |
über die rund 100 Kilometer von Dadaab entfernte Grenze in ihre Heimat | |
zurückgebracht werden. | |
Kurz darauf packten laut UNHCR-Angaben rund 17.000 somalische Flüchtlinge | |
ihre Habseligkeiten. Es waren insgesamt rund 5.000 Familien, die vom UNHCR | |
in Bussen oder per Flugzeug in ihre Heimat transportiert wurden. Dazu | |
wurden vier Zonen definiert, die für die Rückkehrer als sicher gelten, | |
darunter Somalias Hauptstadt Mogadishu sowie die Hafenstadt Kismayo. 150 | |
Dollar und Lebensmittelrationen für sechs Monate bekommen Rückkehrwillige | |
pro Person als Startpaket vom UNHCR. | |
Drei Viertel der Rückkehrer hatte sich entschieden, nach Kismayo zu gehen, | |
auch wenn die Hälfte davon angab, nicht von dort zu stammen. Doch das UNHCR | |
sowie weitere NGOs haben dort in ein Vertriebenenlager investiert. Die | |
überwiegende Mehrheit gab in einer UNHCR-Befragung an, sie würde die Region | |
als sicher betrachten und dort von Familienmitgliedern empfangen werden. | |
Die Umfrage ergab, dass die meisten der Rückkehrer arbeitslos oder | |
Studenten waren und sie sich in ihrer Heimat mehr | |
Beschäftigungsmöglichkeiten versprachen. Kenia biete ihnen keine Zukunft. | |
Über 10.000 gaben bei der Befragung als Gründe an, sie befürchten | |
Unsicherheit und Abschiebung. | |
## (Un-)freiwillige Heimkehr | |
Bereits 2013 hatten sich Kenias und Somalias Regierungen in einem | |
trilateralen Abkommen mit dem UNHCR auf die Schließung der Lager in Kenia | |
verständigt. Darin war die Frist einer freiwilligen Rückkehr auf Ende | |
November 2016 angesetzt gewesen. Somalias und Kenias Regierungen wollten an | |
diesem Datum festhalten und erhöhten dementsprechend den Druck. Das UNHCR | |
hingegen beharrt auf dem internationalen Prinzip der Freiwilligkeit der | |
Rückkehr und bleibt bei seiner Hochrechnung bis zum Jahr 2032. | |
Hassan Sheikh Mohamud besuchte im Juni 2016 als erster somalischer | |
Präsident Dadaab. Er versprach seinen Landsleuten: „Wir wollen nicht, dass | |
ihr gezwungenermaßen zurückkehrt, ohne dass euch Unterkünfte, Bildung und | |
Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen“. Wer dafür bezahlen soll, | |
darüber schwieg er sich aus. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat im Jahr | |
2016 für die somalische Flüchtlingshilfe nicht einmal ein Drittel der | |
veranschlagten 150 Millionen Dollar erhalten. | |
Die Aufnahme so vieler Heimkehrer in kurzer Zeit sei eine Herkulesaufgabe | |
für ein Land, das nach über 20 Jahren Krieg fast vollkommen zerstört ist, | |
gab Somalias Regierungssprecher Daud Awais zu. Doch Somalias föderale | |
Übergangsregierung benötigt die somalische Bevölkerung zu Hause. Geschätzte | |
acht Millionen waren es einmal vor Kriegsbeginn, mehr als die Hälfte soll | |
laut Weltbank im Exil leben. Ende 2016 sind Wahlen angesetzt, in welchen | |
die Klanchefs eine neue Regierung wählen. Die Rückkehr der Flüchtlinge | |
würde zur Demokratisierung und Legitimierung der neuen Übergangsregierung | |
und damit zur Stabilisierung des Landes beitragen und evtl. könne man über | |
eine Wahlbeteiligung der Gesamtbevölkerung nachdenken, so der | |
Regierungssprecher: „Behaltet im Kopf, dass eure Rückkehr ein Zeichen für | |
die Wiederbelebung des Friedens in Somalia ist und dass ihr einen | |
Unterschied für euer Land machen könnt, wenn ihr heimkehrt“. | |
Kenias Innenminister, Joseph Nkaissery hieß Somalias Präsident in Dadaab | |
willkommen und betonte, Kenia würde bei der Rückführung helfen. Man halte | |
am Datum der Schließung fest. Danach traf Mohamud in Kenias Hauptstadt | |
Nairobi seinen Amtskollegen Uhuru Kenyatta. Der Beginn einer guten | |
Nachbarschaftsbeziehung? Noch nie waren sich die beiden Länder, die seit | |
der Unabhängigkeit zu Beginn der 1960er Jahre auf Kriegsfuß miteinander | |
stehen, so einig wie jetzt in der Flüchtlingsfrage. | |
Grund dafür sind gemeinsame Interessen gegenüber der Internationalen | |
Gemeinschaft: Geld und Sicherheit. Kenia will die Flüchtlinge wegen der | |
Terrorgefahr loswerden und verlangt mehr Geld, um die Lager nicht sofort zu | |
schließen. Somalias Regierung will seine Bevölkerung zurück und hofft, | |
endlich all diejenigen Gelder zu bekommen, die die internationale | |
Gemeinschaft bislang nach Kenia pumpt. Gemeinsam setzen sie die westlichen | |
Geber unter Druck. | |
## Schlachtfeld im Kampf gegen den Terror | |
In der Anweisung, Dadaab endgültig zu schließen, nennt das Innenministerium | |
die Bedrohung der nationalen Sicherheit sowie Umweltzerstörungen als | |
Gründe. Es ist das mächtigste Ministerium, untersteht direkt der | |
Präsidentschaft und ist damit der verlängerte Arm von Präsident Kenyattas | |
Macht. | |
Somalias islamistische Terrormiliz Al-Shabaab hat in den vergangenen Jahren | |
zahlreiche Anschläge innerhalb Kenias verübt. 2013 töteten sie in der | |
Hauptstadt Nairobi 71 Menschen im Luxus-Einkaufszentrum Westgate, wo Kenias | |
Mittelklasse und Ausländer ihre Wochenenden verbringen. 2014 überfielen sie | |
Touristenorte an der Ozeanküste in Lamu. Daraufhin brach der | |
Tourismussektor ein, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Kenias. 2015 | |
kam es in der östlichen Provinzhauptstadt Garissa, unweit von Dadaab, zu | |
einem Massaker in der Universität, bei welchem 148 Studenten getötet | |
wurden. Sie alle können als Vergeltungsaktionen der Shabaab gelesen werden, | |
die sich für den Einmarsch kenianischer Truppen in Somalia rächte. | |
Die Invasion erfolgte kurz nach der Entführung zweier spanischer | |
Krankenschwestern aus Dadaab 2012, die für Ärzte ohne Grenzen arbeiteten. | |
Die Operation endete im Desaster und provozierte Racheaktionen. Die Miliz | |
drang immer weiter nach Kenia vor. Selbst in Dadaab legte sie Sprengkörper | |
und rammte mit Autobomben die Kasernen der kenianischen Sicherheitskräfte. | |
Die UN-Agenturen mussten Unterkünfte mit meterhohen schusssicheren | |
Betonmauern hochrüsten. Seitdem bewegen sich NGO-Mitarbeiter nur mit | |
Militäreskorte durch das Lager. | |
Bis heute hat die kenianische Armee über 3.000 Soldaten in Somalia im | |
Rahmen der Friedensmission der Afrikanischen Union in Somalia, AMISOM, | |
stationiert, die von der EU zum Großteil finanziert wird. Zu Beginn 2016 | |
hatte die EU angekündigt, die Gelder zu reduzieren. Da drohte Kenia mit dem | |
Abzug. Kurz darauf bewilligte die EU weitere Gelder. | |
## Machtlose Polizei | |
Kenias Staatsanwaltschaft hatte nach dem Westgate-Angriff Telefonkontakte | |
der Attentäter in den Flüchtlingslagern ermittelt. Seitdem wird Dadaab als | |
Brutstätte des Terrors bezichtigt. Anti-Terror-Einheiten stürmten die | |
Zeltstadt, nahmen tausende Verdächtige fest, brachten sie nach Nairobi und | |
stellten sie dort innerhalb von 24 Stunden vor Gericht. | |
Kenias Polizeikräfte haben nur bedingt Kontrolle über die Lager. Sie gelten | |
als rechtfreier Raum mit eigenen Gesetzen. Darin hat mehr die Shabaab das | |
Sagen als Kenias Polizei. Die gilt als dermaßen korrupt, dass ihr von | |
Sicherheitsexperten ein Scheitern im Kampf gegen den Terror prophezeit | |
wird. Für 2017 sind Wahlen in Kenia angesetzt, das Gewaltpotential steigt | |
aufgrund innerer-ethnischer Konflikte. Die Schließung Dadaabs gilt als | |
Präventivmaßnahme, weitere Ausschreitungen zu verhindern. | |
Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (AI) | |
und Human Rights Watch (HRW) kritisieren, Somalia sei nicht sicher genug | |
und die meisten Rückkehrer würden in ihrer Heimat wiederum in | |
Vertriebenenlagern enden. Viele der von HRW befragten Heimkehrer hätten | |
sich nur für die Rückkehr entschieden, weil sie fürchteten, Kenias Behörden | |
würden Flüchtlinge mit Gewalt über die Grenze zurückführen. Dies sei | |
bereits nach den Westgate-Anschlägen passiert, als tausende Somali | |
gewaltsam abgeschoben worden waren. Da ziehen es doch die meisten vor, noch | |
Geld und Rationen mitzunehmen. Dies entspräche nicht der Definition der | |
„Freiwilligkeit“ und verletze Internationales Recht, sagt Victor Nyamori | |
von Amnesty International in Kenia. Es gebe mehr „Push-Faktoren“, vor allem | |
die Angst vor gewaltsamer Abschiebung, als „Pull-Faktoren“ wie ein besseres | |
Leben in der Heimat. | |
Kenias Menschenrechtsorganisationen zogen vor Gericht: Die Entscheidung der | |
Regierung, Dadaab zu schließen, würde gegen internationales Menschenrecht | |
verstoßen, so die Sammelklage. HRW und Amnesty hatten Familien befragt, die | |
nach Somalia zurückgekehrt waren und dort weder Sicherheit noch Unterkünfte | |
vorgefunden hätten, wie sie beschrieben. Sie suchten dann erneut in Dadaab | |
Schutz. HRW kritisiert Kenias Regierung, diesen Familien die erneute | |
Registrierung – und damit die Lebensmittelrationen zu verweigern. | |
Auch ein anderes Vorgehen der Regierung sei verfassungswidrig, klagen die | |
NGOs: In einer Anweisung vom Mai 2016 hatte der Innenminister die ihm | |
unterstehende Abteilung für Flüchtlingsangelegenheiten aufgelöst. Sie war | |
2006 im Zuge das damals verabschiedeten Flüchtlingsgesetzes geschaffen | |
worden, um die Rechte von Flüchtlingen umzusetzen. Das ursprüngliche | |
Flüchtlings- und Asylgesetz von 1993 hatte die Genfer Konvention zum | |
weltweiten Schutz von Flüchtlingen mit keinem Wort erwähnt. | |
Die Klage der Menschenrechtsorganisationen richte sich formell gegen die | |
Vorgehensweise der Regierung, erklärt Andrew Maina von Kenias Konsortium | |
für Flüchtlingsrechte (RCK), welches die Petition mit unterstützt. Der | |
Innenminister könne nicht einfach per Anweisung Gesetze abändern und | |
Behörden auflösen, selbst wenn sie ihm unterstehen, so der Anwalt und Chef | |
der RCK-Rechercheabteilung. Noch vor Ende der Schließungs-Frist im November | |
sollte das Urteil feststehen. Doch bei der ersten Anhörung erschien der | |
Richter nicht. | |
Besorgniserregend findet Maina vor allem den Entwurf für ein neues | |
Flüchtlingsgesetz, das derzeit im Parlament debattiert wird, denn dieses | |
gehe in Hinsicht der Rechte und des Schutzes „rückwärts“, so Maina. Bis | |
heute habe die Flüchtlingsbehörde ihre Pflicht nicht erfüllt, die | |
Flüchtlinge tatsächlich zu registrieren. Die Ausstellung eines | |
Flüchtlings-Passes, durch welchen sie international geschützt sind, | |
erfolgte bislang über das UNHCR. Kenias Flüchtlingsabteilung im | |
Innenministerium hatte bis zuletzt keine Übersicht, wie viele Menschen in | |
den Lagern leben. Das soll sich jetzt ändern – auch aufgrund der | |
Terrorgefahr | |
## Generalverdacht gegen Flüchtlinge | |
Somalische Flüchtlinge erhielten bislang automatisch Asyl, sobald sie in | |
Dadaab vom UNHCR registriert wurden. Auch diese Regelung wurde auf | |
Anweisung des Innenministers aufgehoben. In Zukunft sollen alle Bewerber | |
individuell geprüft werden. Dafür soll ein Komitee eingerichtet werden, | |
welches die Personalien der Asylbewerber mit Geheimdienstdatenbanken | |
abgleicht, um keinen Terroristen Schutz zu gewähren. Diese Kommission soll | |
dem Innenministerium unterstehen, welchem ebenso der Geheimdienst sowie die | |
Anti-Terror-Einheiten der Polizei unterstellt sind. Gemeinsam sollen diese | |
Abteilungen aus den Asylbewerbern Terroristen heraussieben. | |
Wichtig ist dies auch im Zuge einer möglichen Abschiebung. Da die Regierung | |
die Flüchtlinge bislang nicht registrierte, konnte sie nicht anerkannte | |
Asylbewerber auch nicht abschieben. Selbst wenn das UNHCR jemandem den | |
Status verweigerte, gab es keine Instanz, die diese Person des Landes | |
verwies. Auch dies soll mit dem neuen Gesetz rascher möglich werden. | |
Es gebe zudem einen Ausfall an Hilfsgeldern „Bevorzugt werden die Gelder | |
für diejenigen Flüchtlinge ausgegeben, die in den Westen fliehen“, klagte | |
der kenianische Innenminister. Das UNHCR-Budget für somalische und | |
südsudanesische Flüchtlinge 2016 hat enorme Versorgungslücken. Nicht einmal | |
die Hälfte der benötigten Lebensmittel und Gelder seien von der | |
Internationalen Gemeinschaft gespendet worden. Im Dezember 2016 müssen die | |
Lebensmittelrationen um die Hälfte reduziert werden. Diese Lücken kann auch | |
Kenia nicht schließen und fürchtet nun, mit dem Flüchtlingsproblem allein | |
gelassen zu werden. „Kein einziges westliches Land“ habe ansatzweise so | |
viele Flüchtlinge aufgenommen, klagt Kenias Regierung. | |
Unterstützung erfolgt derweil von der Türkei. Präsident Recep Tayyip | |
Erdogan reiste im Juni 2016 nach Nairobi und kritisierte EU und USA, dass | |
Entwicklungsländer die Last der Flüchtlinge und des damit einhergehenden | |
Terrorismus alleine tragen müssten. Die Türkei hat sich in Dadaab schon | |
immer großzügig engagiert. Das Dadaab-Viertel mit der größten und von der | |
Türkei finanzierten Moschee nennen die Flüchtlinge „Istanbul“. | |
## Vorrübergehende Ewigkeit | |
Die internationale Gemeinschaft sieht die mögliche Schließung Dadaabs | |
kritisch. US-Außenminister John Kerry drückte seine „tiefe Besorgnis“ aus | |
und warnte vor erzwungenen Rückführungen. Die UN drängt, in der Deadline | |
der Lagerschließung „flexibel“ zu sein und bat die westlichen Geber um eine | |
Aufstockung des Budgets für somalische Flüchtlinge um 115 Millionen auf 485 | |
Millionen Dollar. Sämtliche Flüchtlingslager in Kenia werden ausschließlich | |
von internationalen Gebern unterhalten. Flüchtlinge dürfen sich laut Gesetz | |
nicht frei im Land bewegen, sondern müssen ausschließlich in Lagern leben. | |
Anders als in Uganda, wo Flüchtlinge ein Stück Land zugewiesen bekommen, um | |
Mais und Bohnen anzubauen und sich langfristig selbst zu ernähren, darf | |
laut Gesetz keine „dauerhafte“ Behausung errichtet werden. Sie hausen auch | |
nach 25 Jahren noch unter Zeltplanen. | |
Somit sind alle Flüchtlinge automatisch von Hilfsgütern der internationalen | |
Gemeinschaft abhängig: von Lebensmitteln, über Gesundheitsversorgung, | |
Schulbildung bis hin zur Behausung. Für die Flüchtlinge eine elende | |
Situation, für die Geber ein teures Unterfangen. Kenia macht damit klar: | |
Die Lager sind nur vorübergehend, eine Integration in die kenianische | |
Gesellschaft bleibt ausgeschlossen. | |
Es ist nicht einfach, für Somali in Kenia die Staatsbürgerschaft zu | |
erwerben. Seit der Festlegung der Grenzen zu Kolonialzeiten lebt in Kenia | |
eine somalische Minderheit, die meisten in der Nordostprovinz entlang der | |
somalischen Grenze mit der Bezirkshauptstadt Garissa und dem Lager Dadaab | |
als größtem Ballungs- und Wirtschaftsfaktor. Nach der Unabhängigkeit von | |
den britischen Kolonialherren kam es zur Entscheidung, die Provinz Somalia | |
zuzuschreiben. Die lokale somali-sprechende Bevölkerung war dafür, die | |
Unabhängigkeitsregierung in Nairobi dagegen. Sie verweigerte die Lossagung. | |
Seitdem kam es immer wieder zu Aufständen, die gewaltsam niedergeschlagen | |
wurden. Massaker an der somalischen Minderheit wurden dokumentiert. Bis | |
1992, also bis zur Gründung Dadaabs, herrschte in der Provinz | |
Ausnahmezustand. Der kollektive Terrorverdacht gegen die somalischen | |
Flüchtlinge lässt sich auch vor diesem Hintergrund erklären. | |
## Kenia und die Welt | |
Nairobi ist mittlerweile Anziehungspunkt für Arbeitsmigranten aus ganz Ost- | |
und Zentralafrika. Im Zuge der Integration in die Ostafrikanische Union | |
(EAC) und ihrer Vereinbarung über den freien Waren- und Personenverkehr, | |
auch in Bezug auf Arbeitskräfte und Dienstleistungen, suchen immer mehr gut | |
ausgebildete Ugander, Ruander oder Burundier in Nairobi nach Jobs, vor | |
allem im IT- und Dienstleistungssektor. Für westliche Mitarbeiter | |
internationaler NGOs wird es umgekehrt schwieriger, in Kenia eine | |
Arbeitserlaubnis zu bekommen. Die Regierung will gut bezahlte Jobs den | |
eigenen Landsleuten geben. Europäern und Amerikanern wird systematisch die | |
Arbeitserlaubnis verweigert. | |
Auch wenn Kenia mittlerweile ein Mittelstandsland ist (lower middle income | |
country), bleibt die Entwicklung in der Peripherie aus, die Korruption ist | |
enorm. Das Land bleibt von Entwicklungshilfe abhängig. Diese wird jedoch | |
zunehmend reduziert, die extreme Korruption wirkt auf westliche Geldgeber | |
abschreckend. ODA-Mittel können aufgrund der Kategorisierung als | |
Mittelstandsland nicht mehr geltend gemacht werden. | |
In Hinsicht der Migrationsabwehr ist Kenia für die EU de facto | |
uninteressant: Gerade einmal 480 illegale Immigranten aus Kenia trafen 2015 | |
in der EU ein. Davon wurden 130 bereits an der Außengrenze abgewiesen, 310 | |
der Asylantrag verweigert, 60 stattgegeben. Kenia gilt als sicheres | |
Herkunftsland – mit Ausnahme für Schwule und Lesben. Befürchtungen, | |
Zehntausende Somali würden sich im Zuge der Schließung von Dadaab auf den | |
Weg Richtung Europa machen, sind unbegründet. Der Flüchtlingssprecher von | |
Dadaab, Abdullahi Ali Aden, gibt an: Die Überlegung vieler junger Männer | |
scheitere am mangelnden Geld. Eine Reise nach Europa wäre nur unter Einsatz | |
des Lebens per Boot möglich, doch aufgrund der mangelnden Bewegungsfreiheit | |
in Kenia, den zahlreichen Straßensperren und der Investition von mehr als | |
10.000 Dollar für eine Bootsfahrt durch den Golf von Aden ins Rote Meer sei | |
eine solche Reise für die Flüchtlinge in Dadaab unerschwinglich. Nach | |
Uganda wollen viele, weil sie dort mehr Freiheiten und Bleiberechte | |
genießen – nach Europa jedoch nicht. | |
Dementsprechend hat Kenia auf dem EU-Afrika-Migrationsgipfel 2015 in Maltas | |
Hauptstadt Valletta aus dem EU-Treuhandfond für Afrika nur geringe Mittel | |
zugesagt bekommen. Im Rahmen der Unterstützung von Pastoralisten-Völkern in | |
der Grenzregion zwischen Südsudan, Äthiopien und Kenia wird die EU 28 | |
Millionen Euro in Landwirtschaftsprojekte und Ernährungssicherheit | |
investieren. Dazu kommen 12 Millionen Euro. Die sollen in verbesserte | |
wirtschaftliche Chancen für Jugendliche investiert werden, die in | |
unterentwickelten Regionen entlang der Küste zu Somalia oder dem Norden | |
entlang der Grenze zu Südsudan leben. Es sollen vor allem Berufsschulen | |
eingerichtet werden. | |
## Geringe Unterstützung für das nötigste | |
Die Europäische Kommission hat 2015 das Budget des Aktionsplans für | |
sogenannte gemischte Migrationsströme am Horn von Afrika auf sechs | |
Millionen erhöht. Die Länder, darunter Kenia, sollen unterstützt werden, | |
ihre Kapazitäten auszubauen, um mit den Migrationsbewegungen umzugehen. Der | |
Anteil für Kenia ist marginal. | |
Kenia ist ein eher zu vernachlässigendes Partnerland der EU im sogenannten | |
Khartum-Prozess. Unter dem Schlagwort „Besseres Migrationsmanagement“ wird | |
die EU mit 45 Millionen Euro Projekte zur besseren Regulierung von | |
Migration in neun Ländern im Horn von Afrika umsetzen, darunter Kenia. | |
Die EU unterstützt in Dadaab bislang die dort aktiven NGOs und das UNHCR | |
mit Geldern. CARE erhielt in den vergangenen acht Jahren von der | |
EU-Hilfsagentur ECHO 1,5 Millionen Euro jährlich für Wasserversorgung und | |
Sanitärprojekte. Auch das Auswärtige Amt hat Wasserversorgungs- sowie | |
Bildungsprojekte in Dadaab finanziert. | |
Die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit leistet | |
Unterstützung für südsudanesische Flüchtlinge und aufnehmende Gemeinden in | |
Kenia durch Maßnahmen für Ernährungssicherung, bessere ärztliche | |
Versorgung. Gestärkte Konfliktbearbeitungsmechanismen richten sich | |
gleichermaßen an die Flüchtlinge und an die lokale Bevölkerung in der | |
Grenzregion zu Südsudan, also in und um das Lager Kakuma. Sämtliche | |
Projekte in Dadaab wurden bereits abgeschlossen | |
Die Bundesregierung gilt als zweitwichtigster Partner Kenias, nach den USA. | |
Entwicklungsminister Gerd Müller besuchte im März 2016 Dadaab: „60 | |
Millionen Flüchtlinge weltweit stellen viele Entwicklungsländer vor | |
gewaltigen Herausforderungen“, sagte er dort: „90 Prozent haben in | |
Entwicklungsländern Zuflucht gefunden. In einer gemeinsamen | |
Kraftanstrengung muss die internationale Gemeinschaft den Menschen vor Ort | |
wieder Perspektiven geben.“ | |
## Aufrüstung in Milliardenhöhe | |
Nach dem Westgate-Anschlag hat Kenia hochgerüstet. Enorme 2,6 Milliarden | |
Dollar umfasst das Verteidigungsbudget im Haushaltsjahr 2016/2017: davon | |
gehen 1,2 Milliarden an den Geheimdienst und 1,2 Milliardenan das | |
Innenministerium, welchem Polizei und Anti-Terror-Spezialkräfte unterstehen | |
– ein gigantisches Budget für ein afrikanisches Land. Die Hochrüstung ist | |
sichtbar: Überall in Nairobi hängen Überwachungskameras, sind schwer | |
bewaffnete Sicherheitskräfte der Anti-Terror-Einheiten stationiert, selbst | |
in Supermärkten oder Banken. Der internationale Flughafen in Nairobi wurde | |
mit Überwachungskameras ausgestattet, ebenso der Containerhafen in der | |
Küstenstadt Mombasa. Jede Abflughalle des großen Flughafens in Nairobi ist | |
mit Ganzkörper-Scannern ausgestattet. | |
Kenias Grenzposten wurden landesweit mit Computern, Fingerabdruckscannern | |
und Gesichtserkennungssystem ausgestattet. In den vergangenen Jahren | |
druckte eine israelische Firma biometrische Pässe für Kenianer und baute | |
die Datenbanken dazu auf. Auch biometrische Personalausweise wurden | |
ausgegeben. Bei der Vertragsvergabe gab es Kontroversen, angeblich habe das | |
Präsidentenbüro entschieden, welche Firmen den Zuschlag erhalten. Eine | |
britische Sicherheitsfirma mit Tochter in Kenia bekam den Auftrag, die | |
Pässe zu drucken. Nadra, eine Agentur des pakistanischen Innenministeriums, | |
entwickelt die Software. Ab 2017 wollen die Mitgliedsstaaten der | |
Ostafrikanischen Union (EAC) gemeinsame Pässe einführen. | |
Durch verstärkte Sicherheitstechnologien konnten Fluggesellschaften jüngst | |
erstmals wieder Direktflüge zwischen Nairobi und Mogadishu aufnehmen. Mit | |
dem elektronischen Visa-Verfahren erhalten jetzt auch Somali Einreise nach | |
Kenia. Jeder Visaantrag wird mit der Geheimdienstdatenbank abgeglichen. | |
Auch Direktflüge in die USA sollen ab 2017 wieder möglich sein. Die | |
staatliche Fluggesellschaft KenyaAirways hatte aufgrund der | |
Sicherheitsrisiken enorme Verluste hinnehmen müssen und stand kurz vor der | |
Pleite. Langsam erholt sich Kenias Tourismussektor, immerhin der wichtigste | |
Wirtschaftszweig und Devisenfaktor. Er war im Zuge der Westgate-Attacken | |
und den Überfällen in der Küstenstadt Lamu eingebrochen. Das Vertrauen | |
westlicher Safari-Touristen in die Sicherheitsorgane kommt langsam zurück. | |
Erst 2016 stiegen die Touristenzahlen wieder. | |
## Eine Mauer aus Israel | |
„Koste es was es wolle“, hatte Kenias Vizepräsident William Ruto betont, | |
als er 2015 die Entscheidung verkündete, eine Mauer zu Somalia zu bauen. | |
Über 700 Kilometer ist der Grenzabschnitt lang, mitten durch die Wüste und | |
das Shabaab-Gebiet. Betonmauer, Grenzanlagen, Überwachungskameras und | |
Patrouillen-Fahrzeuge werden benötigt. | |
Auch deutsche Firmen haben sich für diesen Großauftrag interessiert. Die | |
deutsche Internationale Handelskammer hatte 2015 eine | |
„Markterkundungsreise“ im Bereich zivile Sicherheitstechnologien nach Kenia | |
organisiert. Treffen mit dem Verteidigungsministerium und | |
Anti-Terror-Einheiten standen auf dem Programm. Deutschlands führende | |
Rüstungs- und Sicherheitsunternehmen wie Rheinmetall und Siemens waren | |
dabei. | |
Letztlich erhielt die israelische Firma Magal Security den Zuschlag für den | |
Mauerbau sowie den Ausbau der Sicherheit an Flughafen und Hafen. Israel | |
hatte sich seit den Westgate-Anschlägen als enger Partner erwiesen. Das | |
Einkaufszentrum gehört einem israelischen Investor. An den Eingangspforten | |
mit Sicherheitsscannern sind heute israelische Wachleute in Zivil postiert. | |
Israels Grenzanlagen zu Palästina, Ägypten und Jordanien gelten als | |
Prototyp moderner High-Tech-Zäune mit Bodensensoren, Wärmebildkameras sowie | |
Satelliten- und Drohnenüberwachung aus der Luft. Die ambitionierten Pläne | |
Kenias scheitern jedoch an der Wirklichkeit: Bauarbeiten, geschützt von der | |
Armee, mussten aufgrund von Shabaab-Attacken eigestellt werden. Als | |
überteuert gilt der Aufwand allemal, da die Terrormiliz längst innerhalb | |
Kenias Basen hat. Als „Gipfel der Sinnlosigkeit“ kritisierte jüngst George | |
Morara, Vize-Direktor von Kenias Menschenrechtskommission den Mauerbau. | |
12 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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