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# taz.de -- Nachhaltige Mode: Eine giftige Debatte
> Bei einem Test der Zeitschrift „Öko-Test“ waren die Kinderjeans von zwei
> Ökoherstellern besonders schlecht. Welche sind die richtigen
> Testmethoden?
Bild: Damit Kinder unbesorgt spielen können, sollten ihre Jeans nicht mit Scha…
Berlin taz | „Mangelhaft“ und „ungenügend“: Für die beiden Öko-Herst…
Hess-Natur und Living Crafts sind die Noten der Zeitschrift Öko-Test, die
sie für ihre Kinderjeans bekommen haben, ein GAU. Die grässlich schlechten
Noten erhielten die beiden Pioniere ökologischer Kleidungsproduktion, weil
das von der Zeitschrift beauftragte Labor in den Stoffproben die Chemikalie
Anilin gefunden hatte. Die steht im Verdacht, krebserregend zu sein.
Die Unternehmen reagieren ganz unterschiedlich auf den Test: Living Crafts
aus Oberfranken hat die entsprechende Hose vom Markt genommen – auch wenn
sich die Firma ungerecht behandelt fühlt.
Wettbewerber Hess-Natur aus dem hessischen Butzbach geht in die Offensive
und kontert mit einem Gegengutachten des Bremer Umweltinstituts. Ergebnis:
kein Anilin nachweisbar. Und jetzt? Was soll der Kunde kaufen?
Anilin ist ein Bestandteil der weit verbreiteten Azofarbstoffe. Diese
künstlich erzeugten Farben sorgen unter anderem für das tiefe Blau der
Jeans. Die Chemikalie ist ein Kontaktgift, das über die Haut aufgenommen
wird.
„In Kinderkleidung hat Anilin nichts zu suchen“, sagt Hermann Kruse,
Toxikologe an der Universität Kiel, „wenn es frei verfügbar ist“. Achtung,
dieser Zusatz ist wichtig.
## Worst-Case-Bedingungen
Anilin als möglicher Baustein der Farbstoffe kann sich nämlich entweder
tatsächlich im Stoff der Jeans befinden, etwa wenn der eingesetzte
Farbstoff noch Reste der Herstellungschemikalien enthält.
„Wäre das der Fall gewesen, hätten wir in der Hess-Natur-Jeans mit unserer
Testmethode Anilin gefunden“ sagt Ulrike Siemers vom Bremer Umweltinstitut.
Die Chemikalie kann aber auch als Spaltprodukt entstehen, wenn man es
bestimmten Stoffen aussetzt. Bei der Prüfung von Öko-Test etwa wurden die
Jeansstoffe mit Dithionit behandelt. Dieses Reduktionsmittel zersetzt den
Azofarbstoff zuverlässig in seine Bausteine – die aromatischen Amine, auch
Anilin.
Streit gibt es nun darüber, welche Methode realistischer ist und
zuverlässiger die Bedingungen abbildet, die tatsächlich beim Tragen der
Hosen herrschen. „Der Stoff ist den ganzen Tag auf der Haut“, sagt Jürgen
Steinert, Redakteur bei Öko-Test. Das Kind schwitze oder habe Bakterien auf
der Haut. „Unser Verfahren simuliert diese Bedingungen“, so Steinert.
„Nein“, sagt Siemers vom Bremer Umweltinstitut, „das sind
Worst-Case-Bedingungen.“ Der als eher kritisch bekannte Toxikologe Kruse
hält die in Bremen angewendete Methode ebenfalls für realistischer. „Die
Zeitschrift ‚Öko-Test‘ hat herausgefunden, dass Anilin Bestandteil der
Farbstoffe ist“, sagt er, „Aussagen über die Gefährdung der Verbraucher
erlaubt ihr Test nicht.“
## Grenzwert für Anilin
Sauer sind daher nicht nur die Unternehmen, sondern auch die beiden
Verbände, nach deren Siegeln sie arbeiten: der Internationale Verband der
Naturtextilwirtschaft und und der Global Organic Textile Standard. Beide
erlauben Anilin in Kleidung bis zu einem Grenzwert von 100 Milligramm pro
Kilogramm. Die Verbände betonen, eine Null-Prozent-Grenze sei derzeit
technisch nicht machbar.
„Dieser Grenzwert ist wenig ambitioniert“, sagt hingegen Siemers vom
Umweltinstitut. „Den könnte man schon absenken.“ Auch wenn sie die
Einschätzung von Öko-Test für „Panikmache“ hält: „Anilin sollte so we…
wie möglich eingesetzt werden und nicht in Kleidung enthalten sein.“
Die Geschäftsführerin des Naturtextilverbands, Heike Hess, (die nichts mit
Hess-Natur zu tun hat), wurmt, dass „Anbietern von Kindermode, die seit
vielen Jahren als nachhaltig und verbraucherorientiert bekannt sind, das
Vertrauen entzogen“ werde.
Stattdessen kauften die besorgten Eltern womöglich konventionelle
Billighosen, die möglicherweise noch schlimmer mit anderen gefährlichen
Substanzen belastet seien und unter schlechten sozialen und
Umweltbedingungen produziert würden.
15 Jan 2017
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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