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# taz.de -- Bio-Mode in Deutschland: Hess Natur zu schick für Ökos
> Der hessische Bio-Pionier ringt um neue Kunden – und verliert dabei die
> alten. Und dann war da noch der heiße Herbst 2016.
Bild: Mode von Hess Natur: In der neuen Kollektion will das Unternehmen wieder …
Berlin taz | Der größte deutsche Anbieter ökologischer Mode muss sparen und
entlässt Mitarbeiter. „Deutlich unter 10 Prozent“ der rund 370 Mitarbeiter
wird die Geschäftsführung von Hess Natur im hessischen Butzbach bis Ende
des Jahres streichen, heißt es aus dem Unternehmen. Derzeit verhandeln
Geschäftsführung und Betriebsrat über einen Sozialplan. „Das läuft fair u…
solidarisch“, sagt Betriebsrätin Dagmar Reichardt, „viele Mitarbeiter
bieten an, ihre eigene Arbeitszeit zu reduzieren, um möglichst vielen
Kollegen Jobs zu erhalten.“
Das Unternehmen begründet seine schlechte Finanzlage mit dem warmen
September 2016. Die für den Umsatz wichtige Herbst- und Winterkollektion
habe sich deshalb so schlecht verkauft, dass nun Entlassungen unumgänglich
seien. Den Verantwortlichen seien sie „nicht leicht gefallen“, teilt
Geschäftsführer Vivek Batra mit, weniger Personal sei aber „notwendig
geworden, um Hess Natur für die Zukunft zu sichern und in einem sich stetig
mehr und mehr verändernden Marktumfeld besser aufzustellen“.
Natürlich ist es nicht nur das Wetter. Das Unternehmen, seit fünf Jahren im
Besitz der Schweizer Kapitalgesellschaft Capvis, ringt mit seinem Kurs. In
den vergangenen Jahren wollte der Ökopionier sich ein neues Image aufbauen:
weg von moralisch einwandfreier, aber unmodischer und schlecht
geschnittener Kleidung. In den Katalogen präsentierten Models die Kleidung
auch mal mit High Heels und Sonnenbrillen, als im Stil klassischer
Modefotografie – ein Kulturbruch. „Vielleicht sind wir etwas zu weit
gesprungen, was die Kollektion und die Darstellung angeht“, sagt Daniel
Flaig, bei Capvis zuständiger Manager für Hess Natur.
In der kommenden Wintersaison habe man die Kollektion schon „leicht
korrigiert“, sagt Betriebsrätin Reichardt. Hess Natur biete nun wieder mehr
Kleidung aus klassischen Materialien wie Wolle von Röhnschafen, aus
Kamelhaar oder Yak an. „So modisch wie in den letzten Saisons“, sagt
Reichardt, „das waren einfach nicht mehr wir.“ Man brauche einen guten
Mittelweg zwischen Bewährtem und modernem Look.
## Vom Katalog zum Smartphone
Das Unternehmen befinde sich mitten in einem Veränderungsprozess, nicht nur
was die Marke und Zielgruppe betreffe, sagt Capvis-Mann Flaig. Auch das
klassische Kataloggeschäft wandle sich. „Wir bauen den E-Commerce aus, der
Katalog wird unwichtiger“. Und: „Das bringt erst einmal zusätzliche
Kosten.“
„Wir haben die Fotografie umgestellt und kompatibel für Smartphones
gemacht“, erzählt Betriebsrätin Reichardt, „denn dort kaufen jüngere
Kundinnen ein“. Man setze verstärkt auf E-Commerce, auch Social Media und
Blogs gewännen an Bedeutung.
Verkaufsabsichten hegt man in der Capvis-Zentrale im Schweizer Baar
angeblich nicht, auch wenn Hess Natur bislang unter den Erwartungen der
Finanzinvestoren geblieben ist. Rund 61 Millionen Euro Umsatz hat das
Unternehmen im Geschäftsjahr 2015/16 gemacht, 7 Prozent weniger als im
Vorjahr. Der Verlust lag bei 2,8 Millionen Euro. „Hess Natur ist seit über
40 Jahren ein gutes und vor allen Dingen ein besonderes Unternehmen. Ein
Verkaufsprozess ist momentan nicht angedacht“, kommentiert Flaig das
tapfer.
Dabei stehen die Zeichen im insgesamt kleinen Markt für ökologische
Kleidung noch immer auf Wachstum. Zwar fehlen mangels einer allgemein
gültigen Definition für „Biotextilien“ Statistiken über
Absatzentwicklungen. Doch das weltweit bedeutendste Siegel, der Global
Organic Textile Standard (GOTS), vermeldete von 2015 auf 2016 einen
„signifikanten Anstieg“ der zertifizierten Unternehmen, von weltweit 3.814
auf 4.642. Wettbewerber von Hess Natur, allerdings allesamt deutlich
kleiner, berichten von stabilen Umsätzen: „Armed Angels“ aus Köln baut
seinen Mitarbeiterstamm kontinuierlich auf inzwischen 75 aus, die Ökomarke
„Lanius“ bekam ihre Strickwaren wegen des warmen Herbstes 2016 zunächst
zwar auch nicht los, legte dafür aber im kalten Dezember und Januar wieder
zu.
## Der nasse Herbst kann kommen
Es sei eben „viel schwieriger, etwas aus den Köpfen von Kunden heraus- als
etwas hineinzubekommen“, fasst der auf grüne Unternehmen spezialisierte
Marketingexperte Christoph Dahn von der Freiburger Agentur Greenblut die
Probleme von Hess Natur zusammen. Wenn die Firma neue Kunden ansprechen
wolle, sei das „viel teurer und schwieriger, als alte Kunden zu halten“.
Immerhin: Derzeit spielt das Wetter den Öko-Händlern in die Hände. Nach dem
nasskalten Sommer droht nun ein schmuddeliger Oktober.
3 Oct 2017
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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