# taz.de -- IT-Nation Israel: Die digitale Supermacht | |
> Israels Erfolg als IT-Nation geht auf die Armee zurück. Der Staat setzt | |
> auf eine enge Kooperation zwischen Armee, Unis und Industrie. | |
Bild: Früh übt sich: Cyber-Security-Wettbewerb in Jerusalem | |
BE'ER SCHEVA/KFAR SABA taz | Hinter den Bürohäusern des CyberSpark von Beer | |
Scheva fängt die Negev-Wüste an. Hier forschen sie an der Technik von | |
morgen, dort leben Beduinen wie ihre Vorväter. Die Wüste zum Blühen zu | |
bringen, war einst der Traum von Israels erstem Regierungschef, David | |
Ben-Gurion. Nicht Orangenplantagen, sondern ein moderner Technologiepark, | |
Großraumbüros und Computerfreaks locken heute Investoren nach Beer Scheva, | |
der Hauptstadt des Negev. Regierung, Stadtverwaltung, Universität und | |
Industrie arbeiten hier Hand in Hand am nationalen Cyber-Projekt. Der | |
CyberSpark ist Israels Silicon Valley. | |
Hunderte Unternehmen aus aller Welt, darunter die Telekom, IBM und Lockheed | |
Martin, finanzieren schon jetzt Forschungen der Ben-Gurion-Universität des | |
Negev; damit sichern sie sich die Rechte an den Ergebnissen. Ganz groß soll | |
es dann losgehen, wenn im Lauf der nächsten fünf Jahre das | |
Armeehauptquartier von Tel Aviv in den Negev umzieht – und mit ihm rund | |
15.000 Israelis, die als Berufs- oder Pflichtsoldaten am Computer arbeiten. | |
Roni Zehavi, Direktor von CyberSpark, fiebert der Ankunft der Soldaten | |
entgegen. „Die israelische Armee bietet weltweit das größte Personalangebot | |
für die IT-Industrie“, sagt er. Jedes Jahr hängen zwischen 1.500 und 2.000 | |
topgeschulte Computerfreaks ihre Uniform an den Nagel, hungrig danach, ihre | |
Erfahrungen zu Geld zu machen. Besonders begehrt sind die Alumni der | |
legendären Spionageeinheit 8200 (acht zweihundert), der heute größten | |
Militäreinheit Israels. Vorbei die Zeiten der muskelstrotzenden | |
Nahkampfmaschinen, hoch lebe der Mathe-Nerd. | |
## Scouten an den Schulen | |
Schon in den Schulmittelstufen sieht sich das Verteidigungsministerium nach | |
Sonderbegabten um und lockt zur Teilnahme an Programmierkursen. Staatlich | |
finanziert ist auch das Programm „Magschimim“ für 16- bis 18-Jährige aus | |
der Peripherie, von denen die meisten nach dem Abitur beim militärischen | |
Nachrichtendienst landen. „Magschimim“, erklärt Zehavi, „zielt darauf ab, | |
das Niveau allgemein zu erhöhen und so den Bestand von Leuten mit Potenzial | |
zu vergrößern.“ Im Anschluss siebt die Armee unter den rund 80.000 Rekruten | |
jährlich aus. | |
Der militärische Abwehrdienst holt sich die Besten und schult sie unter | |
Bedingungen, die nur die Armee bieten kann. „Sie müssen Verantwortung | |
übernehmen und hohe Belastungen aushalten“, erklärt Zehavi. „Es geht um | |
Teamwork und Widerstandsvermögen“ – und nicht selten um Entscheidungen üb… | |
Leben und Tod. Die Alumni der 8200 spielten im Vergleich zu „den | |
Absolventen der Uni Boston in einer völlig anderen Liga“. | |
Israels Vorsprung in der Cyber-Security ist aus der Not geboren, dem Feind | |
„in jedem Bereich mehrere Schritte voraus zu sein“, bringt es | |
Exarmeesprecher Arye Shalicar auf den Punkt. 8200 sei nur eine der | |
nachrichtendienstlichen Einheiten. „Die meisten kennt man gar nicht. Aber | |
in jeder dienen wirklich kluge Köpfe, die mit großer Motivation kommen und | |
während ihrer Dienstzeit auch sehr gefordert werden.“ Der Pflichtdienst | |
dauert für Männer drei, für Frauen zwei Jahre. In den Einheiten der | |
militärischen Abwehr bleiben aber viele länger und lassen sich als | |
Berufssoldaten von der Armee parallel zum Dienst eine akademische | |
Ausbildung finanzieren. | |
Die Universitäten freuen sich über Studenten, die schon Praxiserfahrung | |
mitbringen. „Cyber-Sicherheit ist an der Uni allein nicht vermittelbar, | |
schon gar nicht, wenn es um den Schutz gegen technologisch fortgeschrittene | |
Attacken geht“, sagt Professor Yuval Elovici, Chef der | |
Cyber-Sicherheit-Labore an der Ben-Gurion-Universität. Dort wird | |
Cyber-Security als Magisterstudium angeboten. Armee, Akademie und Industrie | |
schieben sich die klugen Köpfe gegenseitig zu. | |
Laut einem Bericht der Wirtschaftszeitung Globes vom 12. Dezember 2016 sind | |
zwischen Januar und September 2016 rund 4 Milliarden Dollar in IT-Projekte | |
geflossen. „2016 wird für die lokale Hightechindustrie ein Rekordjahr“, | |
schreibt die Zeitung. CyberSpark-Chef Zehavi geht davon aus, dass „mehr als | |
20 Prozent aller privaten Investitionen im Bereich der Cyber Security in | |
israelischen Projekten landen“. 2015 verkauften die Jungunternehmer Liran | |
Tancman und Shlomi Boutnaru, beide Absolventen von 8200, ihr gerade 18 | |
Monate altes Start-up an den Internet-Giganten Paypal. CyActiv war anfangs | |
von Siemens gesponsert worden und soll laut Website „Viren entschärfen, | |
noch bevor sie überhaupt existieren“. Mit dem Kauf des jungen Unternehmens | |
hat sich Paypal mit einem neuen Entwicklungszentrum in Beer Scheva | |
niedergelassen. | |
Bei solchen Geschäften kassiert der Staat mit, schon deshalb tut er gut | |
daran, die Branche zu fördern. Nach Informationen des Außenamts investiert | |
Israel nicht weniger als 4,9 Prozent des Bruttosozialprodukts in die | |
Forschung und Entwicklung (R&D) und rangiert damit unter den Ländern der | |
OECD vorn. Federführend ist das NationalCyber Bureau, das unmittelbar dem | |
Ministerpräsidenten unterstellt ist. Laut Website ist „die Stärkung der | |
Verteidigung und der Aufbau nationaler Stärke im Cyber-Bereich“ eins der | |
erklärten Ziele. | |
## Querdenker gesucht | |
Rami Efrati hat das Nationale Cyber-Büro viele Jahre geleitet, bevor er | |
Unternehmer wurde. Sein jüngstes Start-up Firmitas verspricht neue Lösungen | |
zum Schutz moderner Kommunikation. „Die Armee erkennt Gefahren, lange bevor | |
der zivile Markt sie auch nur erahnt“, sagt Efrati, der selbst 28 Jahre | |
beim militärischen Abwehrdienst war. Mehr als 450 israelische Firmen | |
befassten sich derzeit mit Cyber-Sicherheit. | |
Anstelle von bedingungslosem Gehorsam, wie sonst beim Militär üblich, | |
motiviere die israelische Armee die Soldaten zum Mitdenken und zur | |
Eigeninitiative. „Ein Gefreiter kann Ideen einbringen, sein Kommandant hört | |
ihm zu und nimmt ihn ernst.“ Das „Out of the box“-Denken, einer | |
augenscheinlichen Logik zuwider, ist für Efrati eins der Geheimnisse von | |
Israels großem Erfolg. „Ich glaube nicht, dass die israelische Technologie | |
die beste weltweit ist“, sagt der heute 66-jährige Unternehmer. „Die | |
meisten kaufen sowieso lieber Produkte aus dem eigenen Land. Aber wenn man | |
etwas Besonderes sucht, dann ist Israel eine gute Adresse.“ | |
Kaum zwei Jahre existiert die in Kfar Saba, unweit von Tel Aviv, | |
angesiedelte Firmitas und beschäftigt heute schon 23 Mitarbeiter. „Wir | |
wachsen schnell“, sagt Efrati, der sich, wenn er neue Leute einstellt, | |
bisweilen mit seiner alten Einheit berät. „Wenn ein Bewerber sagt, er kommt | |
von 8200, dann rufe ich dort an und frage nach, wie er im Team arbeitet, ob | |
er Projekte leiten kann und Stress aushält.“ Umgekehrt sei es bei der | |
Jobsuche günstig, dass Israel so ein kleines Land ist, wo fast jedem jede | |
Tür offenstehe, ganz anders als in den USA. „Don’t call us, we’ll call | |
you“, hieße es dort, „wenn ich mit dem Generaldirektor von Intel sprechen | |
will, der natürlich niemals zurückruft“, sagt Efrati und lacht. „Hier | |
treffe ich ihn vielleicht morgen schon beim Reservedienst.“ Die Israelis | |
seien frech, was sich bei der Vermarktung wie bei der Entwicklung zeige. | |
„Wir haben keine Angst zu versagen, sondern prüfen, wo der Fehler lag, und | |
fangen von vorn an.“ | |
## Man kennt sich, man hilft sich | |
Mit viel Chuzpe machten 1998 vier israelische Schulaussteiger und ihre | |
Firma Mirabilis Schlagzeilen, als sie ihren Instant-Messaging-Dienst ICQ | |
für über 400 Millionen Dollar an AOL verkauften. Viele junge Israelis | |
versuchten es ihnen nachzumachen und strömten in den IT-Bereich. Den Rekord | |
dürfte vorläufig Waze halten. Die Navigations-App, die mit Hilfe von | |
Schwarmintelligenz Autofahrer vor Polizeikontrollen und Staus warnt, ging | |
laut Bericht des Wall Street Journal vor drei Jahren für über eine | |
Milliarde Dollar an Google. | |
Die Soldaten im Reservedienst helfen sich gegenseitig. Im Club der | |
8200-Alumni beraten erfahrene Unternehmer den Nachwuchs beim Einstieg ins | |
Arbeitsleben. CyperSpark-Direktor Zehavi hofft, dass durch den Umzug des | |
Armeequartiers nach Beer Scheva möglichst viele militärisch geschulte | |
Fachkräfte in der Stadt bleiben. „Man muss nicht unbedingt hier wohnen“, | |
räumt er ein. Seit drei Jahren gibt es eine Zugverbindung von Haifa via Tel | |
Aviv und die Kvisch 6, eine Schnellstraße, die Autofahrer nach Norden Geld | |
kostet, Richtung Beer Scheva vorläufig aber noch umsonst ist. | |
Ob Ben-Gurion sich so die blühende Wüste vorgestellt hat? „Genau so“, sagt | |
Zehavi. „Ben-Gurion hatte drei Dinge vor Augen, um den Zionismus zu | |
realisieren: akademische Forschung, das jüdische Hirn und die Armee.“ | |
10 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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