# taz.de -- Prozess gegen mutmaßliches IS-Mitglied: Die Gefährder | |
> Ein Syrer soll Berlin für Anschläge ausgespäht haben. Die Polizei nahm | |
> ihn rechtzeitig fest. Dennoch zeigt sein Fall die Probleme der Ermittler. | |
Bild: Justizia über der Tür des berliner Landgerichts. Blind und unparteiisch | |
Berlin taz | Shaas al-M. versteckt sich beinah in seiner Glaszelle im Saal | |
700 des Berliner Kammergerichts. Zusammengekrümmt sitzt er dort, den Blick | |
auf den Tisch gesenkt. Nein, lässt der 20-Jährige mit den kurzen schwarzen | |
Haaren seinen Dolmetscher den Richtern ausrichten, er wolle sich nicht zur | |
Anklage äußern. Und nein, er wolle auch mit einem Gerichtspsychiater nicht | |
sprechen. | |
Al-M. lauscht am Mittwoch stattdessen den Vorwürfen der Bundesanwälte. | |
Mitglied der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ sei er, verlesen die. Für | |
diese habe er in Syrien gekämpft, später auch in Berlin Anschlagsziele | |
ausgekundschaftet und sich als Kontaktmann für mögliche Attentäter zur | |
Verfügung gestellt. Al-M. verzieht keine Miene. | |
Der Vorwurf wiegt schwer. Umso mehr nach dem Lkw-Attentat des Tunesiers | |
Anis Amri kurz vor Weihnachten. Zwölf Menschen starben dabei. Es war die | |
bislang schwerste islamistische Terrortat in Deutschland. | |
Anders als Amri aber verloren die Ermittler Shaas al-M. nicht aus dem | |
Blick. In seinem Fall half ein Tipp von außen: Ein Mitbewohner seiner | |
Asylunterkunft in Müncheberg in Brandenburg soll gemeldet haben, dass der | |
Syrer von IS-Kontakten erzählt hatte. Über Monate wurde Al-M. darauf | |
observiert. Am 22. März 2016 nahm ihn die Polizei schließlich fest. | |
Schon 2013 soll sich der damals 16-Jährige dem IS angeschlossen haben, | |
angeworben durch einen Imam in seinem Heimatdorf. Für die Terrorgruppe soll | |
er sich, bewaffnet mit einer Kalaschnikow, an der Belagerung der Stadt Deir | |
al-Sor und des dortigen Flughafens beteiligt haben. | |
## „Intensive“ Kontaktpflege von Deutschland aus | |
Im August 2015 kam Shaas al-M. schließlich nach Deutschland. Auch hier | |
hielt er laut Anklage „intensiven Kontakt“ zum IS. Mindestens einen Mann | |
habe er als Kämpfer nach Syrien vermittelt. Er selbst habe für die Gruppe | |
in Berlin das Gelände um den Bundestag, das Brandenburger Tor und den | |
Alexanderplatz als mögliche Terrorziele ausgekundschaftet. Einem IS-Kontakt | |
übersandte er, wann dort wie viele Reisebusse halten. | |
Die Festnahme von Shaas al-M. war für die Ermittler ein Erfolg – zeigt aber | |
auch die Schwierigkeiten in der Ermittlungsarbeit. Vier Mobiltelefone | |
wurden bei dem Syrer gefunden. Darauf: zehntausende Fotos und arabische | |
Chat-Nachrichten. Die Übersetzer und Auswerter brauchten Wochen, um die | |
Daten zu sichten und die Kontakte von Al-M. zum IS nachzuprüfen. | |
Und dessen Verteidiger geben weiter Kontra. Die ursprüngliche Aussage von | |
Shaas al-M. dürfe nicht verwendet werden, beantragen sie vor Gericht. Er | |
sei falsch belehrt worden. Auch sei Al-M. gar nicht beim IS gewesen, | |
sondern bei einer Gruppe der „Freien Syrischen Armee“, der bewaffneten | |
Assad-Opposition. Und einige der in der Anklage genannten Orte und IS-Kader | |
gebe es überhaupt nicht. | |
Für die Ermittler ist auch das eine Herausforderung. Wie kommt man an | |
gerichtsfeste Beweise aus Syrien, ohne Zuarbeit dortiger Behörden, ohne | |
lokale Unterlagen? Bei Al-M. pocht die Bundesanwaltschaft auf die | |
abgefangenen Chats. Dort sei festgehalten, wie der Syrer seine | |
Ausspähergebnisse übermittelte und seine Hilfe für Anschläge anbot. Diesen | |
Vorwurf greifen auch die Verteidiger am Mittwoch nicht an. | |
## Definition „Gefährder“ bleibt Einzelfallentscheidung | |
Für die Sicherheitsbehörden ist der Fall Shaas al-M. indes nur einer von | |
vielen. 549 islamistische Gefährder zählen diese derzeit. Rund die Hälfte | |
ist in Deutschland, 80 sitzen in Haft. Anis Amri war einer von ihnen. | |
Personen, denen die Behörden jederzeit schwere Straftaten zutrauen. Denen | |
aber gerichtsfest auch noch nichts nachzuweisen ist. Die Zahl ist zuletzt | |
stetig angestiegen: 266 Gefährder waren es noch im Januar 2015. | |
Eine Vollzeitüberwachung aller Gefährder ist laut Polizei nicht zu leisten. | |
Rund 30 Beamte bräuchte es dafür pro Islamist. Eine feste Definition, wer | |
Gefährder ist und wer nicht, gibt es nicht – nur die Einzelfalleinschätzung | |
der Sicherheitsbehörden. | |
Dazu kommt ein neuer Täter-Typus. Lange hatten sich die Ermittler vor allem | |
auf den „Lone Wolf“ eingestellt: Selbstradikalisierte, hierzulande | |
aufgewachsene Einzeltäter wie der junge Arid Uka, der 2011 auf dem | |
Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschoss. Die jüngsten Terrorfälle | |
aber zeigten, dass die Täter inzwischen direkt mit Drahtziehern im Ausland | |
vernetzt sind – und von dort dirigiert werden. | |
So stießen Ermittler nach den Attacken von Islamisten im Juli in Würzburg | |
und Ansbach auf Chatnachrichten, in denen diese Instruktionen von | |
mutmaßlichen IS-Leuten erhielten. Und auch zu Anis Amri sucht die | |
Bundesanwaltschaft weiter dessen Kontaktmann, dem der Tunesier noch aus dem | |
LKW heraus eine Sprachnachricht schickte. „Ich bin jetzt im Auto“, soll | |
Amri gesagt haben. „Bete für mich, Bruder.“ | |
Union und SPD wollen nach der Terrortat von Berlin nun die Zügel anziehen. | |
Elektronische Fußfesseln für verurteilte Gefährder sind im Gespräch, | |
verschärfte Meldeauflagen oder Haft für Ausreisepflichtige, wenn eine | |
„Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ vorliegt. Ein zweiter Anis Amri | |
wäre für sie der GAU. | |
Auch die Bundesländer haben die Beobachtung der Gefährder nach dem Anschlag | |
nochmal intensiviert. „Die Gefährdung ist nach wie vor hoch“, heißt es et… | |
aus Bayern. „Die Szene haben wir fest im Blick.“ Andererorts konstatiert | |
ein Verfassungsschützer: „Es ist doch klar, dass nach solch einem Ereignis | |
nochmal besonders genau hingeschaut wird.“ | |
Erst zu Silvester nahmen Sondereinsatzkräfte in Saarbrücken einen | |
38-jährigen Syrer fest. Auch er soll einen Anschlag mit einem Lkw geplant | |
gehabt haben. Von einem IS-Mann in Syrien soll er 180.000 Euro angefordert | |
haben. Damit wolle er Fahrzeuge kaufen, diese mit Sprengstoff bestücken und | |
in eine Menschenmenge fahren. Auch hier kam der entscheidende Hinweis von | |
außen: von einem Hinweisgeber, der das BKA kontaktierte. | |
5 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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