# taz.de -- Stadtleben an der ukrainischen Frontlinie: Donezk – so nah und do… | |
> Awdijiwka liegt an der Front zum Gebiet der Separatisten. Donezk ist fünf | |
> Kilometer entfernt, doch dorthin braucht man jetzt 24 Stunden. | |
Bild: Trostloser Alltag in Awdijiwka | |
Awdijiwka taz | Eine Frau zieht ihren kleinen Sohn auf dem Schlitten über | |
die Eisenbahnkreuzung. Irgendwo in der Nähe donnert Granatfeuer. Weder die | |
Mutter noch der Sohn nehmen davon Notiz. „Wir haben längst gelernt, die | |
Geräusche zu deuten. Es ist weit genug weg, keine Gefahr!“, erklärt die | |
Frau. | |
Awdijiwka liegt nur fünf Kilometer von der Stadt Donezk entfernt, die | |
prorussische Kämpfer besetzt halten. Awdijiwka wird von der Ukraine | |
kontrolliert. Vor dem Krieg zählte die Stadt 35.000 Einwohner, heute leben | |
hier 23.000. Während der erbitterten Kämpfe 2014 bis 2015 wurden viele | |
Wohnhäuser und Schulen zerstört, die Menschen hausten in Kellern, die Stadt | |
war wie leer gefegt. Heute wird lediglich am Stadtrand gekämpft, das Leben | |
kehrt langsam zurück. Einige Schulen sind wieder offen, die Bewohner in | |
ihre Häuser zurückgekommen. | |
„Haben Sie bereits unsere neue Sehenswürdigkeit gesehen?“, fragt der | |
Taxifahrer und gibt Gas. Er hält an der Ecke eines neunstöckigen | |
Wohnhauses. Ein australischer Künstler hat an die Außenwand des halb | |
zerstörten Gebäudes ein großes Bild der örtlichen Lehrerin für ukrainische | |
Sprache gemalt. Sie blickt Richtung Donezk. „Jetzt sind wir weltbekannt!“, | |
freut sich der Fahrer. In einem der Aufgänge wohnen immer noch um die 20 | |
Familien. | |
Vor dem Krieg verkehrte zwischen Donezk und Awdijiwka eine Straßenbahn. Sie | |
verband den Stadtteil „Spartak“ – die Schlafstadt von Donezk – mit der | |
Kokerei in Awdijiwka. Heute braucht man 24 Stunden, um in die jeweils | |
benachbarte Stadt zu kommen. | |
## An Kontrollposten vorbei | |
Auf dem Weg überquert man mehrere Kontrollposten an der Demarkationslinie. | |
„Wir, die Bewohner von Awdijiwka, waren mit Donezk immer eng verbunden. Wir | |
gehörten zusammen. Die heutige Trennlinie verläuft mitten durch jeden von | |
uns“, erzählt Wassilij, ein älterer Mann, der eine Jacke mit dem Emblem des | |
Fußballclubs Schachtjor Donezk trägt. | |
Die Koksfabrik ist der wichtigste Arbeitgeber in Awdijiwka. Jeder Fünfte | |
ist hier beschäftigt. Im Werk wird Kohle zu Koks umgewandelt – Brennstoff | |
für die Metallurgie. Der Krieg aber hat nicht nur Land und Menschen | |
getrennt, sondern auch die Wirtschaft. Die Gruben befinden sich nun auf dem | |
Territorium, das nicht unter Kiewer Kontrolle ist. Mit Mühe ist es | |
gelungen, die Kohlelieferungen über die Demarkationslinie zu sichern. Das | |
ist umstritten und wird von vielen als Schmuggelei oder Handel mit den | |
Besatzern gebrandmarkt. Aber selbst die Kritiker verstehen: Wenn der | |
Betrieb schließt, fallen die Einwohner von Awdijiwka der Kälte und dem | |
Hunger anheim. | |
Im Dezember gab es kein Trinkwasser in Awdijiwka, weil die Wasserleitungen | |
zerstört worden waren. Eine Reparatur war ohne vollständige Waffenruhe | |
nicht möglich. Erst Silvester kam das Wasser wieder. Auch die Strom- und | |
Heizungszufuhr sind immer wieder unterbrochen. | |
Abgeschnitten ist Awdijiwka auch vom ukrainischen Informationsraum, und das | |
seit über zwei Jahren. Wer keine Satellitenschüssel oder kein | |
Kabelfernsehen besitzt, ist auf TV-Programme aus Russland oder der | |
selbsternannten „Donezker Volksrepublik“ angewiesen. „So wird uns Tag für | |
Tag von Alexander Sahartschenko (Führer der sogenannten Donezker | |
Volksrepublik) persönlich via TV-Bildschirm eingebläut, was genau bei uns | |
an der Front passiert“, witzelt ein ukrainischer Militärangehöriger mit dem | |
Spitznamen „Glückspilz“. | |
## Brennpunkt der Frontlinie | |
Seit 2016, als sich die Kampfhandlungen vom Stadtzentrum an den Stadtrand | |
verlagert haben, gilt Awdijiwka als einer der Brennpunkte an der gesamten | |
ukrainischen Frontlinie. Schwere Kämpfe und ständiger Beschuss gefährden | |
das Leben der Zivilbevölkerung dieses Stadtteils von Awdijiwka. Hier lebt | |
auch die Familie Sawkewitsch. | |
Switlana und Oleksij Sawkewitsch haben zwei Kinder – den 11-jährigen Danylo | |
und die 8-jährige Marijka. „In unserer Straße ist eine Frau von einer | |
Granate getroffen worden. Sie schaute gerade nach dem verlassenen | |
Nachbarhaus. Sie kochte im Hof Brei und fütterte die Hunde. Dann war sie | |
einfach weg …“, erinnert sich Switlana an die schlimmen Ereignisse von | |
2015. | |
Zum orthodoxen Weihnachten, das in der Ukraine am 7. Januar begangen wird, | |
hat sich die Stadt mit Menschen gefüllt, die über die Feiertage zu ihren | |
Verwandten gekommen sind. Die wenigen Cafés der Stadt sind bis auf den | |
letzten Platz besetzt. | |
Wie überall in der Ukraine bilden sich an diesen Tagen vor den Läden lange | |
Schlangen. „Ich habe nur einen Traum. Ich appelliere an alle: Gebt uns | |
endlich den Frieden zurück! Den Rest erledigen wir selbst“, sagt die | |
Einwohnerin Oksana, während sie an der Kasse mit einer Tüte voll Mandarinen | |
wartet. | |
Übersetzung aus dem Russischen von Irina Serdyuk | |
4 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Anastasia Magasowa | |
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