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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Abknispler
> Die Deutsche Bahn hat Probleme, auf der Schiene zu bleiben. Unter anderem
> wird sie bedroht – vom Unhold des „Nicht“.
Vor zwanzig Jahren waren die Waggons der Deutschen Bahn noch serienmäßig
mit Fallrohrtoiletten ausgestattet. In jeder Kabine klebte ein Schild mit
der Aufschrift: „Während des Aufenthaltes auf den Bahnhöfen ist die
Benutzung des WC nicht gestattet.“ Und es ging ein Scherzbold um, der sich
einen Spaß daraus machte, überall das Wort „nicht“ abzuknispeln, weil er …
lustig fand, den Satz lesen zu können: „Während des Aufenthaltes auf den
Bahnhöfen ist die Benutzung des WC gestattet.“
Wie der Alltag des Knisplers aussah, wurde seinerzeit an dieser Stelle
eingehend erörtert (taz vom 26.4.1996): „Morgens pulscht er seinen Kaffee
hinab, feilt den Knispelnagel scharf und klemmt sich das Kursbuch unter die
Achsel. ‚Schatz, du musst dich beeilen‘, ruft das Knisplerweibchen. ‚In
zehn Minuten fährt dein Zug!‘ Und schon hastet der Doofmann zum Bahnhof,
reist nach Hamburg, München, Dresden, Elsterwerda, Paderborn und sonstwohin
und geht auf den Zugtoiletten kichernd und knispelnd seiner ehrenamtlichen
Tätigkeit nach. Abends schlurft er wieder heim. „Hattest du einen schönen
Tag, Schatz?“ schreit das Weibchen. „Ich habe eine Überraschung für dich!…
Es gibt Buchstabensuppe. In der Terrine schwimmt der Satz: ‚Während des
Aufenthaltes auf den Bahnhöfen ist die Benutzung des WC nicht gestattet.‘
Gierig frisst der Knispler das ‚nicht‘ auf. Und kichert in sich hinein.
Wenn Tristesse wehtäte, würde er vor Schmerzen schreien.“
Doch als mit den Fallrohrtoiletten auch die Hinweisschilder verschwanden
und die WCs plötzlich auch während des Aufenthaltes auf den Bahnhöfen
benutzt werden durften, brachen harte Zeiten für den Knispler an, denn es
gab nichts mehr abzuknispeln. Jedenfalls kein „nicht“, sondern allenfalls
ein „es vorzufinden“ in dem Satz „Bitte verlassen Sie dieses WC so, wie S…
es vorzufinden wünschen“, und das ist nicht dasselbe. Für den Abknispler
des „nicht“ hätte es einen tiefen sozialen Abstieg bedeutet, sich mit dem
noch primitiveren Abknispler des „es vorzufinden“ gemein zu machen.
## Der Kummer des Knisplers
Vermutlich hat der arbeitslose Abknispler des „nicht“ seinen Kummer
jahrelang in klarem Schnaps der Marke Nichts ertränkt und sich in
Buchhandlungen und Antiquariaten an den Schutzumschlägen einschlägiger
Bestseller abreagiert (Joachim Fest: „Ich nicht“, Rainer Barzel: „So
nicht!“, Arthur Miller: „Nicht gesellschaftsfähig“, Betty Mahmoody: „N…
ohne meine Tochter“, Franz Josef Degenhardt: „Spiel nicht mit den
Schmuddelkindern“). Sowie natürlich an dem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel
seiner Enkelkinder. Beziehungsweise beim erbitterten Herumknispeln in einer
nur zu diesem Zweck erworbenen Gesamtausgabe der Werke Martin Heideggers
(„Das Nicht entsteht nicht durch die Verneinung, sondern die Verneinung
gründet sich auf das Nicht, das dem Nichten des Nichts entspringt“).
Seit einiger Zeit jedoch – Himmel hilf! – geht er wieder auf die Pirsch,
der Abknispler des „nicht“, und sucht Deutschlands Bahnhöfe heim, um das
kleingeschriebene „nicht“ von den Schildern abzuknispeln, auf denen es
heißt: „Zur Verbesserung der Sauberkeit und aus Rücksichtnahme auf
Nichtraucher ist das Rauchen in diesem Bahnhof grundsätzlich nicht
gestattet.“ Weil es ihn nun einmal köstlich amüsiert, auf den beknispelten
Schildern den Satz lesen zu können: „Zur Verbesserung der Sauberkeit und
aus Rücksichtnahme auf Nichtraucher ist das Rauchen in diesem Bahnhof
grundsätzlich gestattet.“
Ja, er ist immer noch der alte Schelm. In Essen, Freiburg, Uelzen,
Hamburg-Harburg, Bayreuth und Königs Wusterhausen hat er bereits
zugeschlagen, und noch heute könnte er auch in Ihrer Stadt sein putziges
Geschäft verrichten. Sachdienliche Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle
entgegen.
In der taz wurde 1996 der Schriftsteller und Verleger Michael Rudolf
verdächtigt, der Abknispler des „nicht“ zu sein – zu unrecht, wie sich
inzwischen gezeigt hat, denn Michael Rudolf ist 2007 leider verstorben, und
der wahre Abknispler des „nicht“ befindet sich bis heute auf freiem Fuß.
Wer legt diesem Unhold jetzt endlich sein schmutziges Handwerk?
3 Jan 2017
## AUTOREN
Gerhard Henschel
## TAGS
Deutsche Bahn
Kleinkriminalität
Toilette
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Geert Wilders
Bob Dylan
Schlachthof
Krieg
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