| # taz.de -- Die Wahrheit: Dumping Jack Flesh | |
| > Exzesse auf dem deutschen Fleischmarkt: Das Versandunternehmen Mail Order | |
| > Flesh Incorporated schlachtet einen Blauwal-Kadaver. | |
| Bild: Versandfrisch vom Schlachter: lecker Schweinekopf | |
| Im Grunde war es eine brillante Geschäftsidee. Das räumt sogar ein Sprecher | |
| des Bundesgesundheitsamts ein, das sich mit den Folgen dieser missglückten | |
| unternehmerischen Initiative herumschlagen muss: „Sie hatten es gut | |
| gemeint, doch an einem bestimmten Punkt mussten wir einschreiten …“ | |
| Blenden wir zurück: Im Februar 2014 gründeten die Zwillinge Falko und | |
| Roland Müller in Zeulenroda-Triebes ein Start-up-Unternehmen namens Mail | |
| Order Flesh Incorporated, mit dem sie dem Versandriesen Amazon auf einem | |
| Gebiet Konkurrenz machen wollten, das er bis dahin sträflich vernachlässigt | |
| hatte – dem Fleischverkauf. Es begann mit selbstgemachten | |
| Hackfleischbällchen, die die Brüder zunächst noch persönlich im eigenen | |
| Stadtgebiet per Fahrrad zustellten. | |
| In rascher Folge kamen Currywürste, Schaschlikspieße, Beefsteaks, | |
| Hammelkoteletts, Beinscheiben und Chicken Wings hinzu. Die Nachfrage stieg, | |
| das Geschäft florierte, und schon bald versorgten zwölf motorisierte | |
| Angestellte den halben Landkreis mit manuell zubereitetem Fleisch aus dem | |
| improvisierten Schlachthof, den die Müllers in der Doppelgarage ihrer | |
| Eltern betrieben. | |
| ## Betäubung mit dem Spaten | |
| „Man hat da manchmal ganze Schafherden hineingehen sehen“, sagt eine | |
| Nachbarin, die sich über das Treiben anfangs recht wenig Gedanken gemacht | |
| hatte. „Und anschließend haben sich die Knochen im Garten getürmt. Wir | |
| haben uns natürlich gewundert, mein Mann und ich, auch über die Geräusche | |
| und über das viele Blut, aber wir grillen ja selber ganz gern mal, | |
| besonders mein Mann – der hat sich doch voriges Jahr erst diesen großen | |
| Kugelgrill gekauft, der hier auf der Terrasse steht, nicht wahr, so dass | |
| man kaum noch dran vorbeikommt, wenn man mal zum Schnittlauchschneiden in | |
| den Garten muss. Einmal hab ich auch gesehen, wie sie in der Einfahrt mit | |
| einem Spaten zwei Ochsen betäubt haben …“ | |
| Um die zahlreichen, immer öfter auch aus entlegeneren Regionen und | |
| Ballungsräumen eingehenden Bestellungen schneller abarbeiten zu können, | |
| nahmen die Zwillinge schließlich die Dienste der Post in Anspruch, ohne | |
| jedoch zu bedenken, dass Fleisch eine leicht verderbliche Ware ist. Es | |
| grenzt an ein Wunder, dass der Vertrieb noch mehr als ein Dreivierteljahr | |
| lang ohne Zwischenfälle aufrechterhalten werden konnte. | |
| Bis in die Sächsische Schweiz und ins Erzgebirge lieferten die Müllers die | |
| in schlichtes Packpapier gewickelten und in Kartons verstauten Erzeugnisse | |
| ihrer Garagenmetzgerei aus. Da konnte es schon mal vorkommen, dass ein | |
| Paket wegen der Pfingstfeiertage fünf bis sieben Tage lang unterwegs war | |
| und dem Empfänger nur wenig Freude bereitet haben dürfte. Es sei denn, er | |
| hätte sehr viel Sinn für blau schillernde Verfärbungen und lustig | |
| umeinanderwuselnde Maden gehabt. | |
| Für den Umstand, dass es dennoch über einen langen Zeitraum keine | |
| Beschwerden gab, macht der Ernährungssoziologe Dr. Peter Fröhlich vom | |
| Münchner Fraunhofer-Institut die robusten Verdauungsorgane des Kundenstamms | |
| in den neuen Bundesländern verantwortlich. „Die Bürger sind dort nicht so | |
| verzärtelt wie im Westen“, hat er in einem Gespräch mit dem Journal | |
| fleischmagazin erklärt, einer internationalen Fachzeitschrift für die | |
| Fleischwirtschaft. „Die können einfach mehr ab. Denen vergeht auch nicht so | |
| schnell der Appetit wie jemandem, der in hygienischen Verhältnissen | |
| aufgewachsen und von klein auf mit Bioprodukten verwöhnt worden ist. | |
| Insofern möchte ich den überlebenden Mail-Order-Flesh-Konsumenten ein | |
| Kompliment aussprechen: Sie bringen die besten Voraussetzungen für ein | |
| Leben in der freien Wildbahn mit.“ | |
| ## Spur nach Zeulenroda-Triebes | |
| Auf die Schliche kam die Polizei den Brüdern erst Ende Dezember vorigen | |
| Jahres, nachdem sich die Salmonellose im Vogtland plötzlich seuchenartig | |
| ausgebreitet hatte. Die Spur der daran schuldigen | |
| Dumping-Fleischfrikadellen führte umweglos nach Zeulenroda-Triebes in die | |
| mittlerweile auf das Zehnfache der ursprünglichen Größe ausgebaute | |
| Doppelgarage der Müllers. | |
| Der Polizeieinsatz, den ein Passant mit seinem Fotohandy festgehalten hat, | |
| ist auf YouTube inzwischen mehr als elf Millionen Mal angeklickt worden: | |
| Drei SEK-Beamte zerlegen das Garagentor mit Handkreissägen, eine | |
| Blendgranate detoniert, desgleichen eine Nebelbombe, ein Dutzend | |
| Scharfschützen dringt in den Schlachthof ein, und als der Qualm sich | |
| lichtet, sieht man Falko und Roland Müller zu Boden gehen, während hinter | |
| ihnen der halbierte Kadaver eines Blauwals sichtbar wird. Dieses Tier | |
| hatten sie sich nach Auskunft des thüringischen Landeskriminalamts auf | |
| einem Anglerschwarzmarkt in Murmansk beschafft, um Fischstäbchen daraus | |
| anzufertigen. Die bereits angerührten 14.000 Kilo Panade konnten ebenso wie | |
| der Blauwal sichergestellt werden. | |
| Von solchen Rückschlägen sollten sich die Einwohner der neuen Bundesländer | |
| aber, wie die Industrie- und Handelskammer ausdrücklich hervorhebt, bloß | |
| nicht von kreativen neuen Konzepten abbringen lassen. Doch an die Gesetze | |
| müssten sie sich schon halten. Die Müller-Zwillinge sitzen jetzt freilich | |
| in Bautzen ein und sehen ihrer Auslieferung an die Russen entgegen. | |
| 20 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Gerhard Henschel | |
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