| # taz.de -- Die Wahrheit: Bob Dylans Albtraum endlich vorbei | |
| > Erleichterung in der Welt der Popkultur: Der neue | |
| > Literaturnobelpreisträger ist seinen alten Stalker Alan J. Weberman für | |
| > immer los. | |
| Er ist leider kein Unbekannter: Alan J. Weberman, der menschliche Aasgeier, | |
| der dadurch berühmt wurde, dass er im Jahr 1971 Bob Dylans Müll | |
| durchwühlte, eine „Dylan Liberation Front“ gründete und dauernd behauptet… | |
| dass Dylan ihm in seinen Songs geheime Botschaften sende. Später streute er | |
| das Gerücht, dass Dylan seine Seele an den Teufel verkauft habe und an Aids | |
| erkrankt sei, und er belästigte auch Dylans Sohn Jakob mit üblen Nachreden. | |
| Trotz alledem ist Weberman jedoch davon überzeugt, dass nicht er von Dylan | |
| besessen sei, sondern Dylan von ihm. Auf YouTube kann man sich ansehen und | |
| anhören, wie er Dylan einen Rassisten, einen „fucking Nazi“ und „a sick | |
| motherfucker“ nennt. | |
| Es war zu ahnen, dass das alles irgendwann auf A. J. Weberman zurückfallen | |
| musste, und nun ist es passiert. Ein Reporter der traditionsreichen New | |
| Yorker Wochenzeitung The Village Voice hat sich in den Besitz von Webermans | |
| Mülltonne gebracht und den Inhalt aufgelistet und ausgewertet. Zwischen | |
| Zigarillokippen, angegangenem Thunfischsalat und mumifizierten Kakerlaken | |
| ist dabei das Manuskript einer Polemik aufgetaucht, in der Weberman Dylan | |
| vorwirft, in seinem Song „Just Like a Woman“ den radioaktiven Fallout im | |
| Gefolge eines Nuklearkriegs verharmlost zu haben, und zwar in den Zeilen: | |
| „Nobody feels any pain / Tonight as I stand inside the rain“. Dazu hat | |
| Weberman vermerkt: „Yeeeeeeeech!!! Now I got him! This sonnaffabitch!“ | |
| ## Aufruf zur Gründung eines „Vierten Reichs“ | |
| Außerdem heißt es dort, in dem Song „In the Summertime“, habe Dylan die | |
| diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und dem rassistischen Staat | |
| Südafrika gegen die Kritik von Apartheidsgegnern in Schutz genommen: | |
| „Strangers, they meddled in our affairs, / Poverty and shame was theirs.“ | |
| Und die Zeile „I long to reach for you in the night“ in dem Song „Lay, | |
| Lady, Lay“ sei ein verklausulierter Aufruf an die Deutschen zur Gründung | |
| eines „Vierten Reichs“ („reach for“). | |
| Diese Deutungen scheinen jedoch selbst Weberman so hirnrissig vorgekommen | |
| zu sein, dass er sie zum Abfall tat. Aufschlussreicher als seine | |
| Interpretationen sind ganz andere Dinge, die sich in seiner Restmülltonne | |
| angefunden haben – ein aufblasbares Gummihuhn mit dem Aufdruck „Three | |
| Entrances of Love“, der Entwurf eines Erpresserbriefs an die Erben von | |
| Michael Jackson, eine enorm ausgeleierte Damenstrumpfhose, ein | |
| Schmucktelegramm von Donald Trump („We should by all means sit down | |
| together and talk“), Teile eines Granatwerfers aus der Produktion der Firma | |
| Rheinmetall, 174 Babyschnuller und ein stark zerlesenes Mängelexemplar des | |
| Romans „Fifty Shades of Grey“ mit handschriftlichen Randnotizen von | |
| Weberman („Whooopeee!“, „Aarrrgh“, „Oh shit“, „Terrific“, „Ma… | |
| Die bedeutendste Trouvaille bildet aus deutscher Sicht zweifellos das | |
| Bündel der Briefe, die ihm der Klatschreporter Franz Josef Wagner | |
| geschrieben hat. Von 1971 bis 1984 bat Wagner Weberman insgesamt | |
| achtzehnmal eindringlich um die Fortsetzung seiner Recherchen in Dylans | |
| Mülltonnen und versprach ihm sogar eine Volontärsstelle bei der | |
| Bild-Zeitung für den Beleg, dass Dylan „haschischsüchtig“ sei. „Wir war… | |
| hier ein wenig ungeduldig auf das Material, das wir benötigen, um diesen | |
| Bänkelsänger endlich bloßstellen zu können“, schrieb Wagner am 28. Dezemb… | |
| 1978 an Weberman. „Die Übersendung einer gebrauchten Haschischspritze aus | |
| dem Müll von Mr. Dylan würde vollauf genügen!“ | |
| Aber damit konnte Weberman nicht dienen, obwohl er sich redliche Mühe gab. | |
| Über ein Inserat in einer Underground-Zeitung versuchte er sich eine | |
| Urinprobe von Dylan zu beschaffen, und nach und nach erwarb er tatsächlich | |
| insgesamt 328 Liter Urin aus diversen Quellen und in den | |
| unterschiedlichsten Behältnissen – teils in Colaflaschen, teils in | |
| zweckentfremdeten Schwimmreifen und teils auch in tiefgefrorener Form –, | |
| doch das einzige Ergebnis dieses Kaufrauschs war eine Strafanzeige der | |
| Nachbarn, die den aus Webermans Apartment dringenden intensiven Geruch | |
| nicht länger hinnehmen wollten. Die staatliche Gesundheitsbehörde griff | |
| damals ein und stellte außer den Urinproben den stark verwesten Kadaver | |
| eines Drogenspürhunds sicher. | |
| ## Ein altes Tonband bekundet seine sonderbare Stimme | |
| All das geht aus den Dokumenten, die sich im Hausmüll fanden, hervor. | |
| Darunter hat sich auch ein schätzungsweise vierzig Jahre altes Tonband mit | |
| Gesangsaufnahmen befunden, die beweisen, dass Weberman ein sonderbar | |
| meerschweinchenhaftes Timbre in die Wiege gelegt worden ist. Aus den | |
| mittlerweile im Internet verbreiteten Kostproben ragt eine schräge Version | |
| von „All Along the Watchtower“ hervor, bei der Weberman sich selbst auf | |
| einem Badmintonschläger begleitet zu haben scheint. Kurz nach der ersten | |
| Strophe hört man jemanden rufen: „Alan, please! Shut the fuck up! We’re all | |
| sick of it!“ Und dann murmelt Weberman: „It’s the same old story … the | |
| prophet is at last being heard in his own land …“ | |
| An der Ostküste hat der Artikel von The Village Voice solche Wellen | |
| geschlagen, dass Weberman abgetaucht ist. Berichten zufolge soll er zuletzt | |
| in einem arg stockfleckigen Regenmantel auf dem Highway 61 zwischen Lake | |
| City und Red Wing gesichtet worden sein und einem Mädchen eine Packung | |
| Kaugummi entwunden haben, um sich dann in die Büsche zu schlagen. | |
| ## Eine Psychoanalytikerin kennt den Weg des Stalkers | |
| „Da gehört er auch hin“, sagt die Psychoanalytikerin Gizella Zounds, die | |
| Webermans Lebensweg nun seit mehr als zwanzig Jahren verfolgt. „Es würde | |
| ihn jedenfalls überhaupt niemand vermissen. Und das weiß er auch. Das macht | |
| ihn ja so aggressiv. Wenn er sich jetzt irgendwo in der Pampa niederlässt, | |
| wird er garantiert auch dort wieder jemanden finden, auf dem er herumhacken | |
| kann. Und sei’s eine Bisamratte, die er beschuldigen wird, dass sie in das | |
| Attentat auf John F. Kennedy verwickelt sei. Aber Mutter Natur wird das | |
| dann schon regeln. Da bin ich gar nicht bange. Hauptsache, er verschwindet | |
| in der Versenkung …“ | |
| Ein frommer Wunsch. Doch wird er auch in Erfüllung gehen? In einem winzigen | |
| Nest in Massachusetts hat sich inzwischen eine „Weberman Liberation Front“ | |
| formiert, mit dem erklärten Ziel, den höchst umstrittenen Mann aus der | |
| Wildnis zurückzuholen. Das Motto dieser Splittergruppe lautet: „Let’s make | |
| A. J. Weberman great again!“ Wie das geschehen soll, bleibt freilich bis | |
| zum heutigen Tage völlig unklar, zumal Weberman niemals „great“ gewesen | |
| ist, sondern immer nur, was die Amerikaner „a pain in the ass“ nennen oder | |
| – wenn sie sich gewählter ausdrücken möchten – „some blithering idiot�… | |
| May he stay forever lost. | |
| 12 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Gerhard Henschel | |
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