# taz.de -- Die Wahrheit: Der kurze Penis-Prozess | |
> Die Wahrheit wird 25! Greatest Hits (4): Die Schniepelverlängerung eines | |
> „Bild“-Chefredakteurs und die Folgen. | |
Bild: Vor dem Prozess erschien auf der Seite das tägliche Penisometer | |
Die Wahrheit feiert am 25. November 2016 ihren 25. Geburtstag. Aus diesem | |
hohen Anlass lässt die Wahrheit in diesen Tagen einige ihrer besten | |
Geschichten noch einmal Revue passieren. | |
Im Hof des taz-Gebäudes in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße stehen den | |
ganzen Tag über giggelnde Japanerinnen, grinsende Spanier oder höhöhende | |
Deutsche – Schüler auf Klassenfahrten oder Reisegruppen auf | |
Hauptstadtbesuch. Alle zücken ihre Smartphones und knipsen das | |
Wandkunstwerk unter dem Titel „Friede sei mit Dir“. Eine Anspielung auf die | |
Verlegerin Friede Springer, zu deren Konterfei sich ein gigantischer | |
lachsfarbener Penis hinaufschlängelt, weshalb das Werk auch als „Pimmel | |
über Berlin“ bekannt ist. | |
Das Vorbild für den überdimensionalen Schniepel lieferte der heutige | |
Bild-Herausgeber Kai Diekmann. Ihm dichtete einst der Wahrheit-Autor | |
Gerhard Henschel eine Penisverlängerung an, und deshalb ist das | |
Pimmelkunstwerk heute weltweit in Reiseführern als bekannte Berliner | |
Sehenswürdigkeit verzeichnet. | |
Henschels Satire führte zum sogenannten Penis-Prozess. Schon länger hatte | |
sich der Wahrheit-Autor mit den Machenschaften des damaligen | |
Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann beschäftigt, der das Blut-und-Sperma-Blatt | |
in seiner Amtszeit knallhart sexualisierte. Immer mehr Nacktbilder | |
überschwemmten die Boulevard-Zeitung, die zudem verstärkt auf | |
Prominentenberichterstattung setzte. Dazu gehörte auch die Geschichte des | |
Schweizer Botschafters Thomas Borer und seiner Frau Shawne Borer-Fielding. | |
Im Jahr 2002 wurde Borer vom Schweizer Boulevardblatt Blick ein Verhältnis | |
mit einem sogenannten Botschaftsluder unterstellt. Nach einer Fehlgeburt | |
seiner texanischen Frau brachte Bild die Geschichte in besonders | |
widerlicher Form auf ihre Titelseite. | |
## Wichtige Operation am besten Stück | |
Vor diesem Hintergrund schrieb Henschel seine Untenrum-Satire mit dem Titel | |
„Sex-Schock! Penis kaputt?“. Der Boulevardist habe die Operation angeblich | |
in Texas für „500 Dollar“ vornehmen lassen. Dabei, so Henschel, sei wohl | |
etwas schiefgegangen. Mehr darf man heute leider aus dem Text nicht | |
zitieren, aber bereits die „500 Dollar“ zeigen, dass Henschel das komische | |
Stilmittel der Litotes, also der Untertreibung, brillant einsetzt, um dem | |
Durchschnittsleser zu verdeutlichen, dass es sich um eine Satire handelt. | |
Wer würde schon nur 500 Dollar für eine solch wichtige Operation an seinem | |
besten Stück bezahlen? Sicher nicht ein Bild-Chef, der Millionen verdient. | |
Im Text aber war der Eingriff in die Intimsphäre so offensichtlich, dass | |
man sich wegen der möglichen juristischen Folgen mit dem Hausjustiziar und | |
der Chefredaktion abstimmen musste. Die Einschätzung war unentschieden: | |
fifty-fifty. Die Chefredaktion meinte, dass Diekmann gerade versuche, in | |
der Branche als seriöser Journalist eines ernsthaften Leitmediums | |
wahrgenommen zu werden. Deshalb sei er bestimmt nicht so dumm, wegen einer | |
Satire zu klagen. Also riskierten wir es. Der Text erschien am 8. Mai 2002. | |
Und Diekmann tat uns den Gefallen: Er klagte. | |
30.000 Euro Schmerzensgeld verlangte der Schwerverletzte. Dazu wären die | |
immensen Prozess- und Anwaltskosten gekommen, die gern das Zehnfache des | |
Streitwerts annehmen können, was für die taz eine durchaus | |
existenzbedrohende Summe hätte sein können. Die Abwehrstrategie umfasst in | |
solchen Fällen fünf Schritte. Als Erstes wird der Autor aus der Schusslinie | |
genommen, um die Blicke der Angreifer auf die Redaktion zu ziehen. Als | |
Zweites müssen die Reihen in der eigenen Familie geschlossen werden, vor | |
allem die Chefredaktion wird auf den gemeinsamen Gegner eingeschworen. Als | |
Drittes liefert man dem Consilgiere für die rechtliche Auseinandersetzung | |
fundierte Argumente zu den künstlerischen Stilmitteln und der | |
Vorgeschichte. Als Viertes sucht man sich Verbündete in anderen medialen | |
Familien zur Unterstützung und Feindbeobachtung. Und als Letztes gehen die | |
Wahrheit-Redakteure auf die Matratzen und essen viel Spaghetti Bolognese: | |
„Wir führen Krieg, Don Michele.“ | |
Da die taz keinen hohen Werbeetat für Anzeigenkampagnen hat, muss man bei | |
solchen Gelegenheiten ein redaktionelles Marketing betreiben und den | |
Vorgang medial ausschlachten, auch um ein günstiges öffentliches und damit | |
rechtliches Klima zu schaffen. Die Penis-Affäre gab bald Anlass für viele | |
süffisante Medienberichte, deren Autoren sichtlich genossen, es der | |
mächtigen Bild-Zeitung einmal heimzuzahlen. Es wurde sogar eine | |
TV-Reportage für den NDR über den Fall gedreht: „Witze vor Gericht.“ | |
Wir hatten viel Spaß mit Diekmanns Penis! Ein meisterliches Werk der | |
Penis-Kunst stammte von Wahrheit-Zeichner ©Tom, der in der Woche vor dem | |
ersten Prozess auf der Seite einen Countdown startete – einen täglich immer | |
kürzer werdenden geflickten Pimmel. Und allein den gegnerischen Anwalt zu | |
erleben, den feinsinnigen Juristen Peter Raue mit seiner gediegenen Fliege, | |
der sich sonst nur mit Hochkunst in der Berliner Nationalgalerie | |
beschäftigt und nun dauernd im Gericht angewidert das Wort | |
„Penisverlängerung“ in den Mund nehmen musste, war die Arbeit wert. | |
## Punktsieg für die Wahrheit | |
Juristisch ging der Vorgang durch zwei Instanzen, bis das Berliner | |
Kammergericht das letzte Urteil fällte: Zwar handle es sich bei dem Stück | |
von Henschel um eine Satire, aber es läge eindeutig eine | |
Persönlichkeitsrechtsverletzung vor, befanden die Richter, die jedoch auch | |
darauf erkannten, dass die Verletzung nicht so schwerwiegend sei, dass dem | |
Kläger daraus ein Schmerzensgeld zustände. Vielmehr müsse der | |
Bild-Chefredakteur hinnehmen, dass für ihn andere juristische Maßstäbe | |
gelten: „Die Kammer hält dafür“, heißt es in der Urteilsbegründung, „… | |
derjenige, der – wie der Kläger – bewusst seinen wirtschaftlichen Vorteil | |
aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung anderer sucht, weniger schwer durch | |
die Verletzung seines eigenen Persönlichkeitsrechtes belastet wird. Denn er | |
hat sich mit Wissen und Wollen in das Geschäft der | |
Persönlichkeitsrechtsverletzungen begeben und wird daher – nach allgemeinen | |
Regeln menschlichen Zusammenlebens – davon ausgehen, dass diejenigen | |
Maßstäbe, die er anderen gegenüber anlegt, auch für ihn selbst von Belang | |
sind.“ | |
Verständlicher gesagt: Wer den ganzen Tag die Unterhosen fremder Menschen | |
aus dem Fenster hängt, der sollte einmal spüren, wie es ist, wenn die | |
eigene Unterhose im Wind flattert. Abschließend verfügte das Gericht, dass | |
der Text nicht mehr veröffentlicht werden darf. Jeder Verstoß würde ein | |
Ordnungsgeld von 250.000 Euro nach sich ziehen. Die Kosten des Verfahrens | |
wurden im Verhältnis 2/5 beziehungsweise 3/5 zu Lasten des Klägers Kai | |
Diekmann aufgeteilt. Im Boxen nennt man so etwas einen Punktsieg – für die | |
Wahrheit. | |
Die außerordentliche juristische Bewertung hatte durchaus publizistische | |
Konsequenzen. Die brutalen Intim-Entgleisungen auf dem Boulevard sind | |
seltener geworden, und Bild ist heute etwas zahmer. Zehn Jahre später | |
sprach Kai Diekmann in einem Interview mit der türkischen Zeitung Hürriyet | |
vom größten Fehler seines Lebens. | |
## Genosse Kai Guevara | |
2009 schuf der vom Bodensee stammende Künstler Peter Lenk sein Werk „Friede | |
sei mit Dir“. Manchmal sitzt Kai Diekmann nun im Garten des taz-Cafés unter | |
seinem Penis und lässt sich bestaunen. Inzwischen ist er sogar taz-Genosse, | |
einmal erschien er auf der Geno-Versammlung in einem T-Shirt mit einem Bild | |
von ihm als Che. | |
Da die taz derzeit in der Friedrichstraße ein großes neues Haus baut und | |
2018 beziehen wird, überlegt man nun, was nach einem Umzug mit dem | |
Penis-Kunstwerk in der Rudi-Dutschke-Straße geschehen soll. Vielleicht | |
kauft es ja Kai Diekmann, es soll allerdings über 200.000 Euro wert sein. | |
Was sich der Springer-Mann durchaus leisten könnte. Nach Schätzungen | |
verdient er mindestens 1,5 Million Euro brutto im Jahr. Dann könnte er es | |
zu Hause in Potsdam als Kunst am Bau anbringen und sich von seinen Nachbarn | |
darunter ständig bewundern lassen. | |
3 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Ringel | |
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